Die Geburt der Schamanin. Hans-Peter Vogt

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Die Geburt der Schamanin - Hans-Peter Vogt

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manchmal in einen Hund verwandelte. Sie begann, sich selbst manchmal in einen Hund zu verwandeln, und sie lernte, dass ein Hund mit anderthalb Jahren eine gewaltige Ausdauer hat. Sie musste aber auch lernen, dass Papa und Para ihr verboten, sich überall und in jedes Tier zu verwandeln. Sie lernte, was ein Geheimnis ist.

      Auch das war zunächst ein sehr diffuses Wissen, doch Para und Papa erklärten ihr das immer wieder und immer wieder, bis sie begriff, dass es gefährlich war, sich in manche Tiere zu verwandeln. Sie lernte, dass es in ihrer Familie Fähigkeiten gab, die man fremden Menschen nicht offen zeigen durfte.

      Das war ein harter Lernschritt und er formte das Bewusstsein der kleinen Théra. Sie merkte, dass sie anders war, als andere Menschen. Nicht wie Para oder Papa, aber anders als alle anderen und sogar anders als Mama. Sie lernte auch, dass es einige Menschen gab, denen sie ihre Fähigkeiten zeigen durfte. Dazu gehörten Onkel Bübchen, Tante Apanache, der Koch Moses und der „kleine Spanier“, aber nur, wenn sonst niemand in der Nähe war. Anderen durfte sie das nicht zeigen, dass sie gerade lernte, die Gestalt von Tieren anzunehmen und sich nach Belieben wieder zurückzuverwandeln konnte in ein kleines Mädchen.

      Papa und Para verboten ihr strikt, sich in eine Spinne, eine Fliege oder eine Maus zu verwandeln. Das Leben dieser Tiere ist gefährlich, erklärten sie. Wie leicht konnte Théra zur Beute werden. Sie begriff, dass sie verletzt oder getötet werden konnte, wenn sie das Falsche tut.

      Para und Papa waren in diesem Punkt wirklich energisch. Sie zeigten ihr, wie Fliegen von Vögeln gefressen werden, wie sie sich in Spinnennetzen verfangen, oder wie Mäuse von den Hunden gejagt, gefangen und aufgefressen werden. Das ist der Lauf der Dinge, hatten sie Théra erklärt. Das ist die Natur. Setze dich nicht unnötig einer solchen Situation aus, die dein Leben in Gefahr bringt.

      Auch das war ein schmerzhafter Prozess. Théra begann die Tiere mit anderen Augen zu sehen, und sie verstand bald, was sie als Baby bei den Tieren nur als eine Art immerwährenden Zyklus des Lebens sehr diffus beobachtet hatte.

      Théra war schließlich mit anderthalb Jahren ihren Altersgenossen weit vorraus, aber sie war - natürlich - immer noch ein sehr kleines Mädchen.

       9.

      In diesem Sommer erzählten Para und Papa viel von der alten Stadt, die dort ausgegraben wurde. Sie erzählten von einer längst vergangenen Kultur, von der Sonnenkönnigin und von Kriegern der Théluan.

      Sie nahmen Théra überall hin, sie verstand (wenn auch zunächst noch sehr verschwommen), dass diese Ruinen einmal eine richtige Stadt gewesen waren mit vielen Häusern und Bewohnern. So richtig konnte sie sich das noch nicht vorstellen, aber sie sah natürlich diese vielen Hütten der Arbeiter, und das war für Théra zunächst eine Stadt.

      Théra ahnte, dass etwas zwischen dieser Stadt und ihren Bewohnern besonders war. Etwas, das sie mit diesen Bewohnern verband. Vielleicht war es diese besondere Hochachtung, die Para und ihr Vater bei diesen Indios genossen, die dort in der Erde wühlten und die gegenüber in ihrer eigenen Stadt wohnten.

      Sie sah, wie ganze Karawanen von Lamas und Maultieren mit Körben voller Erde und Schutt beladen, und weggebracht wurden. Ein immerwährender Strom von Tieren.

      Unten am Fuß des Berges wurden diese Körbe auf Lastwagen umgeladen und weggebracht. Sie sah, dass hier etwas wichtiges passierte, aber sie verstand die Bedeutung noch nicht. Ihre Mutter war immer mittendrin in all diesem Gewimmel. Sie dirigierte, sie leitete an, sie gab Befehle. Es gab Besprechungen, an denen Théra manchmal teilnehmen durfte, bis es ihr zu langweilig wurde. Sie durfte auch Scherben, Steine, Goldstücke und andere Funde in die Hand nehmen. Papa und Para erzählten ihr dann geduldig von diesen Dingen.

      Papa und Para nahmen Théra oft mit in ihr Tal des Wasserfalls. Das Tal wurde Théra bald zu ihrer zweiten Heimat. Ein Teich war angelegt worden. Sie konnte mit den Maultieren, den Gänsen und den Schweinen viel besser reden als ein Jahr zuvor. Théra nahm alles viel bewusster auf. Sie lernte auch mit den anderen Kindern zu spielen, auch wenn es so war, dass die Kinder der Indiofmilie mehr auf Théra aufpassten, als wirklich mit ihr zu spielen. Der Altersunterschied war einfach zu groß.

      Im Tal des Wasserfalls gab es Füchse, Eulen und es gab noch viele andere Wildtiere. Para zeigte ihr die Rehe und die Wildschweine, die Eichhörnchen, die Wiesel, die Raben, die Kaninchen und die Luchse.

      Manchmal nahm Para sie mit auf die Hochebene. Dort lernte Théra eine ganz andere Welt kennen. Eine Welt aus Gras und Gestrüpp, eine Welt mit klaren und kalten Seen. Eine Welt, in der es Adler, Riesengürteltiere und Pumas gab. Es gab hier wilde Hunde. Füchse und Mäuse gab es überall. Manchmal rief Théra die Mäuse und ließ sich von ihrer Welt auf der Hochebene erzählen.

      Als es dann Winter wurde, ging Papa wieder fort. Alle andern blieben. Théra erlebte ihren zweiten Winter, ihr zweites Weihnachten und sie merkte bald, dass ihre Mutter einen dicken Bauch bekam. Es war Para, der ihr erklärte, dass in diesem Bauch ein kleines Mädchen wuchs. Théra würde im Sommer eine kleine Schwester bekommen.

      Mama ließ sie den Bauch befühlen. Théra konzentrierte sich ganz stark, und sie konnte bald den Herzschlag dieses kleinen Wesens spüren, das hier wuchs. Es gab zwei Herzschläge. Den von Mama und den von ihrer kleinen Schwester. Théra konnte das bald deutlich voneinander unterscheiden.

      Dann schmolz der Schnee. Das erste Grün zeigte sich, die Hunde tollten wieder draussen herum und bellten vor Freude die Blumen und die Sonne an.

      Papa kam wieder.

      Théra hatte ihn lange vermisst. Sie lag an diesem abend lange in Papas Armen, und sie erzählte Dennis von ihren Erlebnissen im Winter und von all diesen Tieren, die Para ihr gezeigt hatte. Ihre menschlichen Worte waren einfach, aber sie hatte ja ihren Strom von Energiewellen, die Papa viel besser erzählten, was sie alles erlebt hatte, als sie das mit ihren wenigen menschlichen Worten beschreiben konnte. Später lag sie mit Papa und Mama in dem großen Bett. Sie spürte die Wärme und die Liebe von Papa und Mama und sie war glücklich.

       10.

      In diesem Jahr sah Théra, wie die Stadt langsam wuchs. Überall um das Hotel herum entstanden neue Gebäude. Die Siedlung der Arbeiter wurde zu einem Teil durch feste Bauten ersetzt. Viele neue Arbeiter zogen zu. Es waren vorwiegend Aymara und Quechua Indianer, so wie sie.

      Papa ließ ein Appartementhaus errichten, in dem die Angestellten des Hotels kleine und saubere Einzimmerappartements bezogen.

      Nur ihr eigenes Holzhaus - in dem sie mit Mama und Papa lebte - blieb unverändert. Sie liebte dieses Haus.

      Sie hatte schon mehrere Unwetter in diesem Holzhaus erlebt. Sturm und Regen. Das Haus lebte wirklich. Es knackte und knarrte. Die Balken bogen sich manchmal ein wenig unter der Last des Sturms. Sie sah, wie Spinnen, Käfer, Wespen und Mäuse Zuflucht suchten, wenn sich das Wetter änderte. Sie sah auch, wie ihre Hunde manchmal die Nasen schnüffelnd in die Luft hoben, und die Luft prüfend durch die dicken Nasen einsogen. Sie lernte, selbst auf solche Wetterveränderungen zu achten, und begann sie zu spüren, längst bevor solche Ereignisse eintrafen.

      Im Winter lebte sie mit Mama und Para im Hotel. Das bot mehr Sicherheit und es war warm.

      In diesem Winter hatte ihr Para etwas gezeigt. Er war mehrfach mit ihr ins Tal des Wasserfalls gezogen. Einmal ritt sie auf einem Maultier. Ein anderes Mal verwandelten sich Para und Théra in große Hunde und liefen zusammen neben den Maultieren

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