Die Vereinigung der Kraft. Hans-Peter Vogt
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Polia sah das alles. Sie hatte immer ein waches Auge auf ihre Kinder. Sie lächelte. Sie stupste Faroa an und machte eine Kopfbewegung in die Richtung von den Hunden. Faroa sah zu Para. Er wollte etwas sagen wie „Hunde sind Hunde“, er meinte damit, dass man ihnen befehlen müsse, aber Polia sah ihn an und lächelte. Sie nahm seine Hand. „Para macht das auf seine Weise.“
Den andern Krieger der Péruan sahen dieses Spiel zwischen Para und den Hunden, aber es war nicht ihr Sohn. Es war nicht ihre Aufgabe, sich da einzumischen, und sein Großvater, der Takilada des Dorfes sah in die Runde. „Para ist einer von uns, aber er hat die weißen Haare und die blauen Augen seines Vaters.“
Alle wussten, was der Takilada damit meinte. Para war der Sohn des Thénnis. Er war ein Sohn Gottes.
4.
Para lebte sich schnell ein. Im Grunde war die Familie der Buschindianer nicht viel anders, als seine bisherige Familie der Knechte und Mägde in der großen Stadt. Es gab andere Kinder. Die Erwachsenen waren freundlich, manche Frauen hatten dicke Bäuche.
Auch mit den andern Kindern schloss er schnell Freundschaft. Sie hatten ihn zunächst scheu und argwöhnisch angesehen, aber sie hatten auch gesehen, dass Para von dem Dorfältesten mit großem Respekt behandelt wurde. Vor dem Dorfältesten wiederum hatten sie großen Respekt. Er war der Anführer des Dorfes. Keines der Kinder hätte es gewagt, dem Takilada zu widersprechen. Sie wären von ihren Eltern oder ihren größeren Geschwistern sofort zur Ordnung gerufen worden.
Die kleine Familie bezog eine der Hütten. Paras Urgroßmutter gesellte sich dazu. Sie begann einen Teil der Erziehung der beiden Kinder zu übernehmen. Vera war noch viel zu klein, um das alles mitzubekommen. Para akzeptierte die alte Frau sofort. Er spürte diese Güte, doch er akzeptierte auch, dass sie streng sein konnte. Es gab hier im Busch vieles, was er erst noch lernen musste.
Er sah Feuer, die den ganzen Tag und die ganze Nacht brannten. Er spürte die Hitze der Flammen und merkte, wie schmerzhaft diese Hitze sein konnte. Er sah das Wasser des Flusses. Er sah, wie sich das Dorf morgens und abends diesem Ritus des Waschens unterzog. Der Fluss war neu für ihn. Wasser machte Spaß.
Aber er sah auch die Blumen auf der Lichtung, die Lianen und Schlingpflanzen, die sich zum Wasser beugten, er sah bald auch die Fische und die Krokodile.
Er merkte sehr schnell, dass mit diesen Krokodilen nicht zu spaßen war. Er merkte, dass sie ihn verstanden, aber er merkte auch, dass sie ihn fressen würden. „Es ist ihre Bestimmung“, sagte Paras Großmutter. „Sie tun, was sie tun müssen. Sie wollen leben. Ein Leben ohne Fressen gibt es nicht.“
Para hatte sie lange angesehen. Er verstand, dass dies anders war. Tiere waren in ihrer Art unterschiedlich.
Was Para mit den Krokodilen nicht gelang, das gelang ihm mit den Fischen. Wenn er ins Wasser ging, dann versammelte er manchmal eine große Anzahl von Fischen um sich. Sie waren ohne Scheu, sie knabberten an seiner Haut. Es kitzelte und es tat gut. Die andern Kinder lachten und warfen sich in den Fischschwarm, so dass alle auseinanderstoben. Para konnte dann ernstlich böse werden.
Die Kinder lachten ihn zunächst aus, doch dann wurde Para richtig grob. Zunächst hatte er auf einen der größeren Jungen einschlagen wollen, der ihn ärgerte, doch er besann sich. Er fing an, hohe surrende Geräusche auszustoßen. Die Kinder lachten zunächst, doch dann begannen sie sich die Ohren zuzuhalten. Es waren unangenehme Geräusche. Bald wimmelte die Luft von großen Bienen, die sich auf die Kinder stürzten.
Die Erwachsenen sahen das und stießen Schreckensrufe aus. Die Kinder tauchten zum Schutz ins Wasser, aber sie konnten die Luft nicht lange anhalten. Wenn sie auftauchten, waren die Bienen sofort wieder da.
Dann waren die Bienen auf einmal weg. Para stand mitten im Wasser. Selbstbewusst und ohne einen einzigen Stich. Die Erwachsenen begannen ihn auszuschimpfen. Doch Para sah sie mit seinen großen Augen an. „Auch Fische muss man achten“, sagte er.
Es wurde an diesem Tag viel über dieses Ereignis geredet.
Der Takilada musste ein Machtwort sprechen. „Ist einem unserer Kinder etwas geschehen?“ fragte er. Die Kinder sahen sich an. Das wurde verneint. Es war unglaublich. Niemand hatte nur einen Stich bekommen.
Der Takilada sah Para an. „Du hast sie gerufen“, fragte er. Para nickte selbstbewusst. Dann begann er mit seinen wenigen Worten zu erklären, dass die Kinder lernen müssen die Tiere zu achten. Er wollte nur eine Warnung aussprechen. Er wollte zeigen: nicht alle Tiere lassen sich quälen. Killerbienen gehören nicht dazu.
Der Takilada sah ihn lange an. „Ich verstehe, dass du die Fische schützen wolltest. Aber wir leben von den Fischen. Wir essen sie.“ Wieder begann Para auf seine kindliche Weise zu erklären. „Jagen ist jagen“, sagte er auf seine Art. „Quälen ist quälen. Beides ist nicht dasselbe. Wenn wir jagen, um die Fische zu essen, dann ist das unsere Bestimmung.“
Der Takilada sah ihn lange an. Dann sah er in die Runde seiner Krieger und der Frauen und Kinder.
„Der kleine Para hat da etwas sehr kluges ausgesprochen. Gibt es irgendjemanden, der etwas dazu zu sagen hat?“
Einige der Dorfältesten meldeten sich. „Wir leben nach dem Gesetz des Dschungels“, sagten sie. Wir töten um zu leben. Aber wir achten die Tiere, die unser Leben sind. Unsere Kinder haben eine Dummheit gemacht, aber Para sollte lernen, dass wir seine Familie sind. Er sollte die Bienen lieber von uns fernhalten, statt sie auf uns zu hetzen. Wir verstehen, dass er eine Warnung ausgesprochen hat, aber so etwas darf nie wieder passieren.“
Die Dorfältesten hatten ausgesprochen, was richtig war. Para und auch die andern Kinder hatten einen Rüffel verdient. Die Kinder wurden an diesem Abend von ihren Eltern ermahnt.
Auch Paras Großmutter sprach an diesem Abend sehr ernsthaft mit ihm. „Wir sind deine Familie“, sagte sie. „Vergiss das nie.“
Para wachte in dieser Nacht auf und er weinte. Polia nahm ihn zu sich und beruhigte ihn mit ihrem warmen Körper.
Die andern Kinder hatten nun gehörig Respekt vor Para. Er wurde zunächst gemieden. Doch es zeigte sich bald, dass Para nicht der Typ war, um ein Außenseiter zu sein. Er nahm teil, wenn sie Blüten und Früchte sammelten. Er fing Fische, er stellte Reusen auf, er tat alles, was auch die andern Kinder auch taten, ohne sich anzubiedern. Sie vergaßen diesen Konflikt. Das Ereignis blieb in den Köpfen haften.
Es gab andere Dinge, die Para den Respekt der Gruppe verschafften.
Er hatte gelernt, mit den Affen zu reden. Er ließ sich zu guten Plätzen führen, in denen es Früchte im Übermaß gab. Er teilte diese Funde. Er begann mit den Schmetterlingen und Faltern zu reden. Selbst die gefährlichsten von ihnen akzeptierten ihn und sie taten ihm nichts.
Er lernte Heilkräuter kennen und ihre Wirkung und er ließ sich auch von den Tieren zeigen, wie sie Wunden und Infektionen behandeln.
Als er größer wurde, durchstreifte er mit seiner kleinen Schwester den Wald. Sie sammelten Kräuter, Beeren, Triebe und Rinden. Vera hatte ein großes Gespür für diese Kräuter. Sie sammelten, sie brühten auf, sie zermatschten. Sie entwickelten sich zu Medizinmännern des