Die Vereinigung der Kraft. Hans-Peter Vogt
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Para lernte, ganz in den Tieren aufzugehen. Es geschah erstmals, als er mit seiner Schwester Beeren sammelte. Sie wurden begleitet von einer Horde von Affen. Para sprach mit ihnen, wie er immer sprach und plötzlich wurde er einer von ihnen. Er nahm ihre Gestalt an.
Vera sah ihn mit großen Augen an. Para begann mit den Affen zu turnen und in die Bäume zu klettern. Dann kehrte er mit einigen seltenen Blüten und Früchten zurück. Dann nahm er wieder die Gestalt des Menschen an. Vera fiel ihm um den Hals. Sie weinte ein wenig. Vor Schreck und vor Glück. Para war selbst überrascht und er bat Vera, nichts davon zu erzählen. Noch nicht.
Nun begann Para das öfter zu tun. Es gelang ihm, sich in die verschiedenen Tiere zu verwandeln. Selbst in Ameisen, Spinnen und Kröten.
Einmal begegneten sie einem Panther. Sie waren leichte Beute. Para rief die Affen zu Hilfe. Während die Affen den Panther ablenkten, beobachtete Para dieses riesige Tier. Dann begann Para zu fauchen. Er ging auf den Panther zu. Er nahm Drohgebärden an und dann verwandelte er sich plötzlich selbst in einen schwarzen Panther. Para griff an. Nicht wirklich. Er drohte. Die Affen schrien. Es war ein irres Spektakel. Die beiden Panther funkelten sich an, dann begann der andere Panther den Rückzug anzutreten. Para folgte ihm eine Weile, dann veränderte er seine Laute und wurde beschwichtigend.
Schließlich liefen sie eine Weile nebeneinander. Sie berochen sich. Der andere Panther sprang schließlich auf einen der Bäume und Para kehrte zurück zu Vera.
Als sie den schwarzen Panther erneut auftauchen sah, blieb ihr das Herz stehen vor Schreck, doch Para verwandelte sich zurück in seine Menschengestalt, und er ging auf seine Schwester zu. Er nahm sie in den Arm und beruhigte sie.
„Machen wir das noch einmal“, schlug er vor. Als Vera ihn ansah, verwandelte er sich wieder in einen Panther, aber diesmal sprach er in seiner eigenen Sprache. „Fass mich an“, bat er und Vera begann, ihm ins Fell zu greifen und die Stärke dieser Muskeln zu spüren, diese unbändige Kraft. Para verwandelte sich zurück.
„Wir müssen lernen, mit den Tieren zu leben“, sagte er. „Sie sind nicht gut und sie sind nicht böse. Sie sind Teile des Waldes, so wie die Früchte und das Wasser. Wir müssen lernen, sie besser zu verstehen.“
Vera nickte. Paras Fähigkeiten hatte sie nicht. Sie konnte sich gegen einen Panther nicht verteidigen, aber vielleicht würde sie lernen mit ihm zu leben. Sie konnte sich das noch nicht vorstellen, wie das gehen sollte. Aber sie nahm sich vor, die Augen und Ohren offen zu halten, um zu lernen.
Auch hier bat Para, dem Dorf zunächst nichts zu erzählen.
5.
Auf Dauer ließ sich das nicht geheim halten. Es gab Situationen, in denen Para seiner Familie beistehen und ihnen helfen musste.
So nahm er immer öfter Tiergestalt an und er lernte mit den Tieren des Waldes zu leben. So wie er mit den Menschen sprach, so konnte er die Tiere rufen und um ihre Hilfe bitten.
Er wusste, dass seine Familie von Fleisch lebt und von Früchten, die auch von den Tieren gegessen wurden. Es gab Konkurrenzsituationen. Aber Nahrung gab es im Urwald im Überfluss.
Para nahm an der Jagd nach Fleisch nicht mehr teil. Er überließ das den anderen Stammesmitgliedern.
Seine außerordentlichen Fähigkeiten begannen sich im Urwald herumzusprechen.
Immer öfter wurden er und Vera von anderen Stämmen um Hilfe gebeten, wenn es galt, kostbare Heilmittel zu finden und sie zuzubereiten. Para und Vera waren bald so etwas wie die heiligen Medizinmänner des Urwaldes. Obwohl sie noch Kinder waren, wurden sie von den Indianern der Péruan mit großer Hochachtung behandelt.
Para hatte nicht nur die Fähigkeiten Kräuter zu finden und sie zuzubereiten. Er entwickelte so etwas wie „heilende Hände“. Es geschah erstmals, als der Häuptling eines Nachbardorfes krank wurde. Niemand wusste, was er hatte. Die Dorfbewohner schickten nach Para und seiner Schwester.
Para setzte sich neben den Kranken. Er legte seine Hand auf die schweißnasse Stirn. Er legte sie ihm auf die Brust und die Arme. Er legte sie auf die Beine, die Füße und Genitalien des Mannes. Er lauschte und schwieg. Er schloss die Augen und hörte in den Kranken hinein. Dann gab er Vera die Anweisung nach einer bestimmten Sorte von Früchten und Blättern zu suchen. „Viele Blätter“, sagte er. „Viele Früchte“. Vera nahm einige der Frauen mit. Sie wusste, wo sie suchen musste.
Während sie in den Wald ging, legte Para seine Hände auf die Brust des Kranken und er begann zu summen. Ein leichtes Zittern ging durch Paras Körper, dann begann sich ein elektrisches Feld um ihn zu spannen. Blau und feingeädert.
Die Péruan sahen das Geschehen mit Entsetzen, aber sie wagten nicht einzugreifen. Para saß da. Das elektrische Feld spann sich zwischen seinen Händen und dem Brustkorb des Kranken. Dann begann sich die Hütte mit Ameisen zu füllen. Schwarze große Ameisen. Sie krochen auf den Körper des Kranken, sie krochen in die Nasenlöcher und die Ohren. Sie bedeckten den ganzen Körper wie eine zweite Haut. Tausende.
Die Péruan waren starr vor Angst.
Dann veränderte sich die Stimme von Para und die Ameisen verschwanden. Der Kranke war trocken. Der Schweiß und das Salz waren von den Ameisen aufgegessen worden. Sie hatten Schleim und Blut aus seiner Nase geholt und verzehrt und sie hatten den Kranken viele Male gebissen, so dass das Gift nun in dem Körper des Kranken wirkte.
Para saß weiter dort und sang. Mal weich und melodisch, mal abgehackt und zerstückt. Das elektrische Feld war immer noch da.
Als Vera kam, bereitete sie die Beeren zu. Sie brachte Para die Blätter, und Para bat, den Kranken ganz mit den Blättern zu bedecken. Er ließ die Hände unter den Blättern liegen. Der Schein des elektrischen Feldes leuchtete durch die Blätter. So saß Para die ganze Nacht. Er sang und brabbelte.
Am nächsten morgen schlug der Takilada die Augen auf. Para befahl, ihm vom Saft der Beeren zu trinken geben. „Kleine Schlucke“, bat er.
Er saß weiter neben dem Kranken und ließ ihn durch Vera ständig mit dem Saft der Beeren versorgen. Am Abend begannen sich seine Wangen zu röten. Er erhielt wieder den Saft der Beeren, und Para saß und wachte auch die zweite Nacht bei dem Kranken.
Am nächsten Morgen hatte der Kranke die Augen ganz offen. Er atmete ruhig. Er verlangte nach Wasser. Para befahl, die Blätter wegzunehmen und den Kranken abzutrocknen. Dann brach Para zusammen.
Vera versorgte den Kranken mit Wasser und dem Saft der Beeren. Sie befahl, Para zuzudecken und ihn schlafen zu lassen.
Am nächsten Morgen setzte sich der Takilada auf. Er sah die Menschen seines Dorfes an. Er atmete tief durch. „Ich fühle mich gut“, sagte er. Er stand auf. Er war noch ein wenig kraftlos, aber das war kein Wunder. Dann ging er zu Para. Er legte ihm die Hand auf die Schulter und sah Vera an. „Lass ihn schlafen“, bat sie. „Er hat viel Kraft verbraucht, um dir zu helfen.“
Para