Ein Leben für die Freiheit. Michael Koch
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Es mag ein trauriges Zeugnis über den Zivilisationsgrad des weißen Amerika sein, dass gerade in Nähe dieser Stätten übelster Massaker an den Cheyenne Ortschaften die Namen der beiden Kriegsverbrecher „Chivington“ und „Custer“ tragen und beide über 150 Jahre später immer noch als Helden von Teilen der weißen Bevölkerung ver- und geehrt werden.
Die sogenannten Indianerkriege endeten mit dem Massaker von Wounded Knee im Jahr 1890, 16 Tage, nachdem der Lakota-Medizinmann Sitting Bull bei seiner Festnahme durch indianische Polizisten in Kanada erschossen wurde. 300 meist unbewaffnete Indianer, darunter viele Frauen, Kinder und Alte, waren unter Führung ihres an einer schweren Lungenentzündung erkrankten Häuptlings Spotted Elk (Big Foot) auf dem Weg zur Pine Ridge Agency, um dort bei Häuptling Red Cloud in Sicherheit den harten Winter überstehen und Schutz vor den sie verfolgenden Soldaten finden zu können. Keinen Tagesritt von Pine Ridge entfernt trafen die Minneconjou-Lakota nahe des Flüsschens Wounded Knee, in der Nähe jenes geheimen Ortes, an dem die Lakota das Herz des in Fort Robinson, Nebraska, ermordeten Häuptlings Crazy Horse bestattet haben sollen, auf Soldaten und wurden durch diese zu einem Lagerplatz der Kavallerie gebracht. Dort wurden sie von dem zu diesem Zeitpunkt noch die Operation leitenden Major Samuel Whiteside recht fair behandelt. Den entkräfteten Indianern wurden Zelte und Proviant übergeben, und der Regimentsarzt kümmerte sich um den erkrankten Häuptling, vor dessen Zelt sogar ein Ofen aufgebaut wurde. Die Situation änderte sich am späten Abend, als Colonel J. W. Forsyth mit dem Rest der 7. US-Kavallerie eintraf und die Leitung der Gesamtoperation übernahm. Forsyth feierte mit seinen Soldaten die Festnahme Big Foots – es wurde massenhaft Whiskey getrunken. Ein indianischer Zeuge, der sich von den Soldaten unbemerkt angeschlichen hatte, hörte bereits in der Nacht, dass die alkoholisierten Soldaten immer wieder in Rachegedanken aufgrund der Niederlage am Little Big Horn und des Todes von George Armstrong Custer verfielen und warnte daraufhin seine Leute. Als am kommenden Tag die Indianer entwaffnet werden sollten und sich dabei ein Krieger, der nach Aussagen eines Nachfahren von Big Foot schwerhörig gewesen ist, weigerte sein Gewehr abzugeben und bei der Rangelei bei seiner Entwaffnung sich ein Schuss aus seinem Gewehr löste, eröffneten die Soldaten sofort mit Gewehren und später auch mit Hotchkiss-Kanonen das Feuer auf das indianische Camp.
Laut Zählung starben bei diesem Massaker 153 Minneconjou-Lakota, viele waren verwundet und einige konnten auch schwerverletzt in die umliegenden kleinen Rinnen und Schluchten (Ravines), in denen auch einige Frauen und Kinder Zuflucht gefunden hatten, entkommen. Die Soldaten forderten die sich dort versteckenden Lakota auf, aus den Ravines hochzukommen, dann würden sie medizinisch versorgt werden. Für diejenigen, die diesen Worten glaubten, und dies war die Mehrzahl der sich dort verbergenden Lakota, sollte ihr Vertrauen tödliche Folgen haben. Sobald sie den oberen Rand der kleinen Senken erreicht hatten, wurden sie durch die Soldaten erschossen.
Die Bilder des im Schnee liegenden steif gefrorenen Leichnams von Big Foot und der in Massengräber geworfenen Leichen der getöteten Lakota zählen bis heute zu den meistverbreiteten Aufnahmen jener Zeit und sind damit Zeugnisse jenes grausamen Mordens und Tötens der US-Kavallerie, das noch am 30.12.1975 offiziell durch das US-Verteidigungsministerium als legitime Schlacht bezeichnet wurde.
Eine weitere zentrale Todesursache für viele Native Americans lag in den Folgen von Unterernährung und Hunger. Diese wiederum korrespondierten mit drei Entwicklungen.
Erstens starben viele Indianer an Unterernährung verbunden mit Erschöpfung im Rahmen ihrer territorialen Vertreibung und Zwangsumsiedlung – entweder direkt im Verlauf dieser ethnischen Säuberungsaktionen oder aber, da es in den zugewiesenen Reservationsgebieten kaum ausreichende Jagd-, Fischerei- oder Anbaumöglichkeiten gab.
Zweitens wurden einige Reservate permanent so verkleinert bzw. nach dem „General Allotment Act“ von 1887, auch „Dawes Act“ genannt, so parzelliert, dass die zugewiesenen Parzellen auf die Dauer für die Ernährung der Familien kaum ausreichend waren.
Drittens wurden mit der gezielten Ausrottung der Bisons den nordamerikanischen Indianern eine ihrer wesentlichsten Lebensgrundlagen entzogen.
„Der Bison war alles für die Indianer. Er war ihr Leben. Er war Tag und Nacht. Was sie sahen, rochen, aßen oder anfassten, bestand aus Bison. Er war das Zentrum ihrer Kultur.“ Bisons lieferten nicht nur ausreichend Fleisch für die Ernährung. Bisonmägen dienten lange Zeit als Koch- und die Blase als Aufbewahrungsbehälter. Hirn, Niere und Leber wurden als Gerbmaterial eingesetzt. Gegerbtes Fell mit und ohne Haare wurde zur Herstellung von Decken, Winterkleidung, Material für Sättel, Zeltplanen, Satteltaschen und Bekleidung genutzt. Ungegerbte Rohhaut diente der Herstellung von Aufbewahrungsboxen, Trommeln, Messerscheiden usw. Seile und Schnüre wurden aus Bisonhaar gedreht, und aus Haut- und Hufresten wurde Leim gekocht. Hörner wurden als Löffel, Trink- und Pulverhörner verwendet, Zähne und Knochen dienten der Schmuckherstellung und Bisonschädel als Altarbestandteile bei indianischen Zeremonien. Die Sehnen konnten als Nähmaterial oder Bogensehnen genutzt werden, und der getrocknete Büffeldung ersetzte oftmals Holz als Feuerungsmaterial.19
Somit wird deutlich, dass die Beziehung zum Bison gerade für die Plains- und Prärieindianer auch erheblich deren Kultur als nomadische Jäger determinierte. Die systematische Ausrottung der Büffel in den USA betraf die indianischen Völker daher sowohl existentiell als auch kulturell und war eindeutig Bestandteil geplanter Ausrottungspolitik. „(Büffeljäger) haben in den vergangenen zwei Jahren mehr zur Lösung der ärgerlichen Indianerfrage beigetragen als die gesamte Armee in den vergangenen 30 Jahren. Sie zerstören damit den Proviant der Indianer … Sendet ihnen (den Büffeljägern, MK) Pulver und Blei …, lasst, um einen dauerhaften Frieden zu sichern, sie töten, häuten und handeln, bis alle Büffel ausgerottet sind.20
Und General William Tecumseh Sherman wurde zitiert mit seiner Aussage „Es wird klug sein, all jene Sportsmänner aus England und Amerika zu einer großen Büffeljagd einzuladen, um richtig Tabula rasa zu machen.“21 Tausende Jäger strömten in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts in die Great Plains, wobei jeden Tag ca. 5000 Bisons abgeschlachtet wurden. 1875 war die südliche und 1882 die nördliche Bisonherde der USA ausgelöscht. Mit ursächlich hierfür war auch, dass 1870 in Deutschland ein neuartiges Gerbverfahren entwickelt wurde, dass Bisonhaut zu hochwertigem Leder werden ließ. Allein in diesem Jahr wurden über 2 Millionen Bisons getötet. Lag die Zahl der Bisons in Nordamerika bis zum 16. Jahrhundert bei über 50 Mio. Tieren (manche Wissenschaftler gehen sogar von einer Zahl von über 80 Millionen Tieren aus), so lebten nach der systematischen Ausrottung 1889 in den USA gerade noch ca. 542 Exemplare und in Kanada ca. 250 Exemplare.22 Andere Zählungen ergaben, dass es in den USA 1884 gerade noch 325 und 1902 gar nur noch 23 frei lebende Bisons (Pelican Valley) in den USA und in Kanada nur 8 frei lebende Büffel gab.
Mit dem ausgehenden 19. Jahrhundert nahm der Genozid an den Indianern ein neues Gesicht an. Die militärische Bekämpfung und Massaker wurden nun vor allem durch Strategien der „Pazifizierung“ und der kulturellen Entwurzelung und Entfremdung (Ethnozid) abgelöst. Die Indianer sollten aus ihren bisherigen gemeinschaftlichen Lebensformen herausgelöst und im Sinne der europäischen Ideologie individuellen Grundbesitzes „zivilisiert“ werden. Ich will dies anhand einiger Beispiele kurz aufzeigen.