Ein Leben für die Freiheit. Michael Koch
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Nun sollten also die Reservationsländereien nach einem ausgeklügelten System privatisiert werden, wobei der damit verbundene weitere Landraub erst einmal verdeckt blieb. Nach dem Gesetz sollte jedes Familienoberhaupt 160 acres (ca. 480 km2), jeder unverheiratete Mann 80 acres und jedes Kind 16 acres erhalten. Dies klingt zwar nach großen Flächen, ist jedoch in Anbetracht der Größe der eigentlichen indianischen Gebiete, selbst der Reservationsgebiete, nur ein Bruchteil des Landes. Das nicht verteilte Land sollte dann an weiße Siedler durch das BIA langfristig verpachtet werden.
1888 sollte ein Folgegesetz vor allem die Zerschlagung der „Great Sioux Reservation“ regeln. Statt einem gemeinsamen großen Reservat sollten in diesem Gebiet sechs kleine Reservationen entstehen und dann das restliche Land zur Besiedlung durch Weiße freigegeben werden (über 36.000 km2). Allerdings lehnten die Lakota mehrheitlich bei einer Befragung (traditionell müssen 75 % der befragten männlichen Lakota bzw. der auf dem Reservat lebenden Indianer solche Gesetze unterzeichnen) dieses Gesetz ab. Langfristig konnten sie aber diese Zersiedelungspolitik nicht verhindern.
Ein weiteres Folgegesetz aus den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts erlaubte dann den indianischen Eigentümern den Verkauf dieser zugewiesenen Ländereien, zunächst bis zu maximal 120 acres und später die gesamten 160 acres.
Dabei wurden Verkauf oder aber auch Verpachtung ebenfalls durch das Bureau of Indian Affairs vorgenommen, das dann die Transaktionen managte, die Einnahmen kassierte, verwaltete und den verkaufenden oder verpachtenden Familien ihr Geld irgendwann auszahlte.
Dies ist bis heute noch so. Die Pachtgebühr kassiert das gesamte Jahr über das BIA und zahlt dann die wenigen Centbeträge pro acre zum Jahresende/-anfang an die indianischen Eigentümer aus. Solche Verpachtungen laufen dann noch über sehr lange Zeiträume.
1914 war von den US-Reservationen 1 % im Besitz des Staates, 19 % im Privatbesitz indianischer Familien und 80 % im Besitz des Stammes, der diese Ländereien wiederum bis heute an weiße Farmer und Rancher, Firmen und Industrien verpachten kann.
Bei den Lakota der Pine Ridge Reservation sind z. B. ca. 25 % des Gebiets für einen Zeitraum von 50 Jahren an Weiße verpachtet. Wohin die Einnahmen dann tatsächlich gehen, ob damit das Wohl der jeweiligen Stämme und Gemeinden gemehrt wird und ob die Investition dieser Gelder im Interesse der Mehrheit der jeweiligen Reservationsbewohner ist, mag an dieser Stelle dahingestellt bleiben.
Deutlich werden die Folgen des Dawes Act, wenn man sich vorstellt, wie über Generationen die Ländereien aufgrund der Anzahl der Erben immer kleiner werden:
Der Muskogee-Creek Medizinmann und Bürgerrechtler Philip Deere beschreibt die Auswirkungen und neuen Konflikte, die durch den „General Allotement Act“ für sein Volk bis in das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts entstanden sind, sehr deutlich in dem von Daniel C. Rohr herausgegebenen Buch „Das entzündete Feuer - Botschaften und Reden“(1986, S. 73 f).
Diese Fraktionalisierung des Landes führte dazu, dass in Wisconsin sich 2.300 Natives das Eigentum an 0,3 Quadratkilometern Land teilen oder in der Pine Ridge Reservation 6.000 Parzellen im Besitz von ca. 200.000 Eigentümern sind, die über jede Nutzung dann mehrheitlich entscheiden müssen.
Derzeit verwaltet das Innenministerium (DOI) treuhänderisch ca. 226.000 Quadratkilometer indianischen Landes, davon ca. 43.370 Quadratkilometer für einzelne Indianer, aufgeteilt in 493.909 Parzellen bei nahezu 3 Mio. Anteilseignern. Die restliche Fläche ist Stammesland. Für die Eigentümer bringt diese treuhänderische Verwaltung kaum Ertrag: fast 50 % des Landes erzielt keinen Gewinn, und 2013 erhielten 60 % der indianischen Eigentümer lediglich 25 Dollar oder weniger für die Fremdnutzung ihres Landes.23
Drei weitere Gesetze sollen an dieser Stelle noch kurz erwähnt werden. Bereits drei Jahre vor Erlassen des „General Allotment Act“ wurde 1884 ein Verbot der Ausübung indianischer Religion erlassen. 1924 erhielten alle Indianer der USA den Status US-amerikanischer Staatsbürger. In manchen Reservationen wurden erst vier Jahre zuvor die letzten bewaffneten Reservationswachen der Armee abgezogen. Das Gesetz räumte der indianischen Bevölkerung zwar mehr Rechte ein, doch eine mögliche weitere Bedeutung dieses Gesetzes sollte erst drei Jahrzehnte später im Rahmen der Umsiedlungs- (relocation) und Termination-Politik der US-Regierung deutlich werden. 1934 wurde unter Präsident Franklin D. Roosevelt der „Indian Reorganisation Act“ verabschiedet. Dieses Gesetz sollte dazu beitragen, „die kulturelle und kommunale Identität der Stämme wieder aufzubauen. Die Indianer konnten Stammesräte wählen und erhielten nicht verteiltes Land zurück sowie deutlich mehr finanzielle Unterstützung für Landwirtschaft, Bildung, Kunsthandwerk und Gesundheit.“24
Traditionelle Indianer sahen hierin allerdings einen weiteren Versuch der Zerstörung ihrer Kultur und Selbstbestimmung. Für die Traditionellen war immer noch das Häuptlingssystem Leitbild der Stammesorganisation. Manche Stämme wie die Diné kannten nicht einmal ein hierarchisches Häuptlingssystem. Konkreter Anlass für die Schaffung der Stammesräte war tatsächlich das Bestreben, die reichen Kohlevorräte auf dem Land der Diné und Hopi abzubauen, doch für Verträge bedurfte es eines Vertragspartners. Also wurden mit den Stammesräten eben solche neu geschaffen. An dem Modell der sogenannten Stammesregierungen (Tribal Council) kritisierten und kritisieren auch heute noch viele Natives, dass mit der Übernahme des Regierungsmodells der westlichen Demokratien Machtmissbrauch, Korruption, Interessenspolitik und die Spaltung der Community Einzug gehalten haben. (In diesem Zusammenhang sei an dieser Stelle auf die Junta de Buen Gobierno, den Rat der guten Regierung, in den zapatistischen Gemeinden in Süd-Mexiko verwiesen. Dieses Modell versucht in den indigenen Gemeinden der Zapatisten mit einem Modell horizontaler, rotierender und kollektiver Instanzen die Entstehung personen- oder gruppenbezogener Macht aufgrund von Regierungsverantwortung zu verhindern.25
Die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts markierten eine erneute Wende. Der zunehmende Energie-, Wasser- und sonstige Ressourcenbedarf des Nachkriegsamerikas führte dazu, zur Deckung dieses Bedarfs neue Talsperren zu bauen, Grundwasservorkommen für die Versorgung fern gelegener Städte zu nutzen und zwecks Uran-, Kohle-und Kupferabbau ganze Landschaften zu verwüsten. Die Regierung bezeichnete diese Gegenden als „nationale Opfergebiete“ (national sacrifice areas), die den Interessen des „amerikanischen Gemeinwohls“ zu opfern seien. Und wieder wurden Indianer umgesiedelt, deren heilige Orte entweder geflutet oder zu Abbaugebieten erklärt. Längst war den Regierenden und Herrschenden klar geworden, dass über 60 % aller relevanten Bodenschätze auf indianischem Gebiet lagen. Was lag also näher als einen erneuten Versuch der Vertreibung zu unternehmen? Schließlich waren die Indianer doch nun Bürger der USA. Für was also Sonderrechte und Staatsausgaben für Bildungs- und Gesundheitswesen, Sozialprogramme und Lebensmittelhilfen in indianischen Reservationen? Wäre es nicht endlich Zeit für die Reservationsbewohner, diese Orte der Armut und Ausgrenzung zu verlassen und in die Großstädte zu ziehen und endlich die Reservationen aufzulösen? So könnten auch alle Garantien aus den Verträgen zwischen den indianischen Völkern und den USA hinfällig werden, die bislang regelten, dass Grund und Boden in Reservationen einen besonderen Gemeinschaftsstatus haben und daher nicht einfach individuell genutzt bzw. weiterverkauft werden können.
Die unter Präsident Eisenhower gestartete Terminations- und Umsiedlungs-Politik