Natur-Dialoge. Astrid Habiba Kreszmeier

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Natur-Dialoge - Astrid Habiba Kreszmeier Systemische Therapie

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und in den öffentlichen Diskurs gekommen.

      Die Ideen des Getrenntseins zum Beispiel von Menschen und Natur, von Innen und Außen, von Gestern und Heute haben ihr kreatives und gleichermaßen gewalttätiges Potenzial verschiedentlich unter Beweis gestellt. Es ahnen oder wissen heute viele, dass es Zeit wird für andere Herangehensweisen. Dabei scheint es für viele – seien sie in elitären Kreisen, im mittleren Kader, in Basisschichten oder Randkulturen tätig – auf der Hand zu liegen: Die Schlucht, die uns vom Lebendigen trennt, kann durch ein Erkennen einer All-Einheit überbrückt werden. Wir sind eine Menschheit, in einer Welt, in der alles mit allem verbunden ist. Wir suchen nach universellen Lösungen, in denen kohärente und nachhaltige Weltökonomie möglich ist. Andere suchen die Matrix, die uns Menschen zu neuer Vernunft kommen lässt und mit unserem Herzen in Einklang ist. Es scheint, als hätten sich viele Menschen kulturell darauf eingeschwungen, dass das Gegenteil von Getrenntsein ein Einssein ist.

      Hier werden Verschiedenheit mit Getrenntheit sowie Verbundenheit mit Einheit gleichgesetzt. Diese Schlüsse erscheinen mir unglücklich. Sie bringen uns um die wundervolle und wichtige Erfahrung, mit einer konkreten, vielfältigen Welt verbunden zu handeln. Es ist eine alte systemische Erkenntnis, die mir hier in den Sinn kommt: Die Aufhebung von Unterschieden macht keine Verbindung – im Gegenteil. Das gilt auch für all jene, die sich nach tieferer Beziehung mit der »Natur« sehnen, für jene, die ihre Bezogenheit zu unserem Planeten ändern wollen, und eben auch für Menschen wie mich, die das Verhältnis von Mensch und Raum als ein wesentliches Element von Gesundheit und Bildung erachten.

      In dem hier beschriebenen Ansatz, der Denkimpulse und Handlungsformen zur Rückkopplung an unsere irdische Gebundenheit ermöglichen will, ist nicht die Suche nach der einen Idee, der einen Ordnung, der einen Formel, dem einen Geschichtsstrang von Belang, sondern die konkrete Orientierung am vielfältigen Miteinander. Es setzt aus Überzeugung und Erfahrung im nur scheinbar bescheidenen Raum konkreter Handlungsbezüge an.

      »Nichts ist mit allem verbunden; alles ist mit etwas verbunden«, sagt Donna Haraway (2018, S. 48), Biologin und Wissenschaftshistorikerin und unermüdlich querdenkend Lehrende. Die Betonung der All-Verbundenheit holistischer und ökologischer Philosophien sei wenig hilfreich, führt sie in den Anmerkungen (ibid. S. 237) weiter aus:

      »Es ist eher so, dass alles mit etwas verbunden ist, das wiederum mit etwas verbunden ist. Es kann sein, dass wir am Ende alle miteinander verbunden sind, aber die Spezifik und das Maß der Nähe von Verbindungen sind von Gewicht – mit wem wir verbunden sind und auf welche Art und Weise. Leben und Tod finden innerhalb dieser Verhältnisse statt.«

      Sie spricht mir hier aus dem Herzen. Wie viele junge und ältere Menschen sind mir schon begegnet, die mit einer tiefen Gewissheit der All-Verbundenheit ausgerüstet, dennoch isoliert und verloren auf ihr konkretes Leben blickten? Wie, ach nur wie, dieses große Ganze in einen banalen Alltag packen und dem Anspruch an Selbst-Entwicklung in All-Verbundenheit gerecht werden? Nicht selten haben sich danach Geschichten der Erleichterung im Beforschen der konkreten Lebensumwelt, der menschlichen und auch der anders-als-menschlichen Weggefährten entsponnen. Auf diese Weise wurde dann, Schritt für Schritt, wirkungsvolles Handeln im eigenen Leben möglich.

      Wege zur Mit-Sprache

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      Seit gestern beschäftigt mich das Wort »Streunen«, das uns hier so wiederkehrend begleitet. Was wird etymologisch darüber erzählt, und haben Wörter mit euner, wie zum Beispiel Zigeuner, auch damit zu tun? Rund um letztere Frage bin ich nicht weitergekommen, konnte jedoch herausfinden, dass »streunen« auf das westgermanische Verb striunen zurückgeführt wird, das von »erwerben, gewinnen« erzählt. Dann kennt man aus dem Mittelhochdeutschen ein striunen, das von interessiertem, schnupperndem, neugierigem jedoch ziellosem Herumziehen spricht. Es gibt jedoch auch eine Strüne, die wiederum ein liederliches Frauenzimmer meint. Das ist ein weiterer, interessanter Bedeutungsfächer, der unserer Praxis des Streunens vielfältig zuspielt.

      Ja, beim Streunen, jenem Tun, in dem unsere atmende Bewegung nicht zielgerichtet ist, aber dennoch voll Interesse und Neugierde für das, was auftaucht, bei diesem Tun lässt sich viel gewinnen, ja sogar erwerben. Zugleich gibt es bei vielen Menschen, wenn sie vom Streunen hören, ein sattes Zögern. Man hört es in ihnen förmlich fragen: »Ist streunen erlaubt?«, »Geziemt sich ein ziellos neugieriges Herumstreifen?«, »Bringt das etwas?« Oder auch etwas philosophischer: »Wie kann Neugierde ohne Zielgerichtetheit in Bewegung außerhalb des Kloster- oder Zengartens funktionieren?«

      Die Einladung zum Streunen wirft allerhand Fragen auf, und manche von uns bringt es sogar in Schwierigkeiten; wer will schon ein liederliches Frauenzimmer sein? Unser Ich muss sich über geltende Ideen von Vernunft und Tüchtigkeit hinwegsetzen, will es sich streunend in Bewegung bringen. Das gelingt nicht immer und einfach grade so. Hier ist mit Rückfällen und Hindernissen zu rechnen, aber wer einmal den Geschmack des Streunens in der Nase hat – und das passiert bei entsprechender Rahmengestaltung doch häufig –, der trägt ihn als süße Erinnerung latent in sich. Welch hervorragender Dünger für ein gutes Leben und Zusammenleben.

      Fassen wir kurz zusammen: Für das Streunen verlassen wir unseren häuslichen Bezugsraum und ziehen neugierig, atmend, aufmerksamkeitsoffen durch die Welt. Diese ist erstens idealerweise nicht voller Werbeplakate, überlässt also unsere Aufmerksamkeit für eine gewisse Zeit sich selbst. Da dies heute fast nur mehr in wilden Räumen der Fall ist, findet es am besten dort statt. Zweitens ist es auch hilfreich, das Smartphone im Flugmodus mitzutragen oder es, noch besser, zu Hause zu lassen, was allerdings die wenigsten aus Risikoerwägungen und Verantwortungsbewusstsein noch tun werden – also Flugmodus. Gerade kommt mir ein schrecklicher Gedanke: Was, wenn wir weiterhin corona- oder anders bedingt so wenig fliegen und allenfalls sogar mehr streunen? Dann wird es nicht lange dauern, und wir finden auf unseren Minicomputern, die ja auch schon riechen können, einen Streunmodus. Oh du meine Güte, dann müssen wir uns eine Alternative einfallen lassen!

      Hier erleben wir gerade, was geschieht, wenn wir denkstreunend etwas zusammenfassen wollen. Das geht eigentlich nicht, weil streunende Aufmerksamkeit die Welt aufblättert oder auch auffaltet, eben erscheinen lässt. Wenn wir sie zusammenfassend einfalten wollen, müssen wir den Modus ändern. So beginne ich also noch einmal von vorne.

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      Fassen wir kurz zusammen: Für das Streunen verlassen wir unseren häuslichen Bezugsraum und ziehen neugierig, atmend, aufmerksamkeitsoffen durch die Welt. Dabei werden manche unserer üblichen Denk- und Handlungsmuster verstört. Es kann zu Erfahrungen wechselseitig lebendiger Begegnungen kommen, die sich unvorhersehbar spontan – nicht zu verwechseln mit irrelevant oder beliebig – in offener Aufmerksamkeit entwickeln. Es könnte sein, dass wir in dieser Bewegung begreifen, wie sehr wir als Erlebende mit Elementen oder Lebewesen unserer Mitwelt in einer kooperativen Verschränkung aktiv sind und dass dieses Miteinander auf alle einwirkt. Es kann sein, dass in diesem Modus des nicht zielgerichteten Seins manches in besonderer Weise in unsere Aufmerksamkeit rutscht, vor uns erscheint, so wie wir auch anderem erscheinen. Und es kann sein, dass dieses Auftauchen und Gesehensein, dieses Gegenwärtigsein-lassen und Gegenwärtig-sein, zusammen mit allem anderen, eine Atmosphäre kreiert oder eben da sein lässt, die wir als liebevoll, pulsierend verbunden, als Leben bewahrend und Lebendigkeit bildend beschreiben können. Und mit ein bisschen Glück können wir erahnen, was es heißt, miteinander Welt zu gestalten, und dass solches Zusammenleben nicht nur möglich ist, sondern auch stattfindet, wenn man nur dem Leben etwas Chance dazu gibt.10

      Sympoietische Annäherungen

      Etwas

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