Natur-Dialoge. Astrid Habiba Kreszmeier

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Natur-Dialoge - Astrid Habiba Kreszmeier Systemische Therapie

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Abenteuer illegaler Grenzüberschreitung haben ihn an einen lebenswerten Ort geführt. Der Hafen von Patras wurde übrigens am Stadtrand neu gebaut und mit neuen soliden Mauern versehen. Das änderte an der Situation der Migrationsbewegung jedoch wenig.

      Wer dieses Hin und Her auf allen (Un-)Wegen eindämmen will, muss auf Erden gewaltige Mauern, eiserne Vorhänge und Zäune bauen, muss zu Wasser und zu Land patrouillieren und überdies in der Luft kontrollieren und organisieren. Diese Projekte sind allesamt sehr aufwändig und fehleranfällig, werden als bedrohlich bis unwürdig erlebt und führen uns Tag für Tag vor Augen, dass saubere Trennungen von Ländern oder politischen Gebilden illusorisch sind. Diese Trennungsideen mögen noch viel menschliches Leid und weite Auslöschungen von kultureller und biologischer Diversität mit sich bringen, aber auch der beständige lebendige Austausch wird gesehen und ungesehen fortdauern und »Mauern fallen lassen«.

      Ebenso wie Grenzübergänge nicht das ganze Land sind, umfassen die kulturellen Vereinbarungen, die heute unser Verständnis von psycho-sozialer Beratung prägen, noch lange nicht das ganze soziale Geschehen, das uns bewegt. Es sind lediglich Netzwerkpunkte, die wir zu einem vereinfachenden und vermeintlichen Ganzen zusammenfassen. Hier wie dort geraten dabei die grünen Grenzräume für gewöhnlich aus dem Blick, und auch hier wirken Trennungsideen bzw. Handlungsabkommen.

      Unsere moderne Welt fordert zwei wesentliche Unterscheidungen: Sie besteht darauf, dass wir als Menschen von einer nichtmenschlichen Dingwelt getrennt sind. Sie gründet demnach in der Vorstellung, dass das Menschliche eine eigene Welt, ja oft sogar eine extraterrestrisch verstandene Welt bildet. Zusätzlich verweist sie darauf, dass das einzelne menschliche Individuum autonom und selbstbestimmt von den anderen Menschen verstanden werden muss. Diese Fokussierungen auf das unabhängige, frei kreative Menschliche, gepaart mit dem Glauben an das abgegrenzte, autonome Individuum an sich, bilden die Basis unserer Moderne und finden ihren Widerhall in allen gesellschaftlichen Bereichen.15

      Nicht verwunderlich, dass sich auch die anerkannte Psychotherapie in diesen Sichtweisen entwickelt hat und ihr Knowhow diesen beiden Grundannahmen zur Verfügung stellt. Sie blickt auf das zwischen-menschliche Geschehen, als sei es vom natürlichen Raum losgelöst, und unterstützt das Individuum bei Einsicht und Selbstermächtigung.16

      Politisch korrekte Psychotherapie hat sich darauf verständigt, Grenzverschiebungen entlang der gegebenen Straßen zu bewirken, und hält sich selbst und ihre Klienten mithilfe von Diagnose- und Abrechnungsschlüsseln nachweislich auf rechten Wegen. So können tiefenpsychologische Schulen dem Unbewussten Raum geben, müssen in der Reflexion jedoch im vorgegebenen patriarchalen Analyse-Schema bleiben. Humanistische Schulen erlauben zwar emotionale und körperorientierte Expression, jedoch nur mit dem Ziel, das Individuum mit sich selbst zu verbinden. Systemische Schulen denken in familiären und anderen systemischen Bezügen, lassen die »natürliche« oder auch »politische« Umwelt aber oft außen vor.

      Unzulässige Verbindungen

      Wenn dennoch das ständig-wilde Treiben der vergessenen Ränder, das in unseren Seelenräumen, Erinnerungen, Identitätsfragen und Weltbetrachtungen vielleicht spirituelle, politische, vielleicht ökologische Fragen aufwirbelt und in die gut desinfizierten Praxisräume eindringt, dann bleibt dem Professionellen nur die Empfehlung seiner Klienten in andere Welten. Die gibt es sowohl im klinischen, privat- oder alternativklinischen Bereich als auch im Feld des sogenannten freien Marktes. Allerdings ist auch hier große Vorsicht geboten. Nicht nur die juristische Sachlage, sondern auch die fachlich-kollegiale Grenz- und Tugendwacht sind einigermaßen scharf gestellt.

      Auch hierzu fallen mir zwei kleine Geschichten ein. Die eine aus jüngerer, die andere aus fernerer Vergangenheit, und doch sind beide miteinander verwoben.

      Die erste Begebenheit: Schon vor und besonders während des Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 waren Online-Kongresse vermehrt im Umlauf. Mehrere Institute und Berufsverbände haben zu der Zeit in gemeinsamer Orchestrierung einen Gratis-Online-Kongress, eine Sammlung von 34 Vorträgen namhafter Psychotherapeut:innen inklusive des Dalai Lama (zwar meines Wissens kein Psychotherapeut, aber weise auf alle Fälle), empfohlen. Ein offenes Angebot, ein historisches Zeitdokument, ein breites Stimmenspektrum von prägenden Frauen und Männern. Als kurz nach Ankündigung dieses Online-Services der Vorstand eines großen österreichischen Berufsverbandes – offenbar aufgrund empörter Stimmen von Mitgliedern – sich offiziell dafür entschuldigen musste, dass er nicht explizit darauf hingewiesen hatte, dass manche der dort vorkommenden Redner:innen dem aktuellen, anerkannten Rahmen nicht entsprächen, da wurde mir mulmig zumute.

      Womit dürfen wir uns als Professionelle beschäftigen, ohne in Verruf zu geraten? Muss ein Vorstand eines Berufsverbandes dafür sorgen, dass seine Mitglieder keine falsche Kost zu sich nehmen? Muss das Geschichtsfeld gesäubert werden? Wenn ja, wovon, von wem, und wer kann darüber befinden? Was darf man denken oder erfahren, ohne ermahnt zu werden? Was darf gleichzeitig und nebeneinander sein? Und auch: Was darf-kann miteinander gedacht sein, was darfkann miteinander gesehen, in Bezug und in Dialog gebracht werden?

      Besonders jene letzten Fragen ziehen sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Sie haben mich in allerlei schöne, aber auch peinliche Situationen geführt und sind offenkundig auch die Leitfragen dieses Buches. Sie sind ergiebig und können in viele Kontexte hineingestellt werden. Besonders nützlich sind sie, wenn wir sie in Zwischenkontexte stellen oder – wozu sie eben neigen – durch sie Zwischenkontexte entstehen.

      Vor ungefähr dreißig Jahren war ich als blutjunge, in Ausbildung befindliche Psychotherapie-Lernende durch eine Verkettung von Umständen Teilnehmerin eines Aufstellungsseminares unter der Leitung von Bert Hellinger17. Zu jener Zeit war diese Arbeit noch eher ein Geheimtipp, die Gruppen umfassten zwischen zwanzig und dreißig Menschen, gearbeitet wurde in einem Dachzimmer einer Pension irgendwo nördlich von Salzburg. Es war ungeheuer aufregend, inspirierend und irritierend zu erleben, in welcher süßlichen Strenge dieser damals schon ältere Herr den Menschen im Raum konzentrierte Aufmerksamkeit schenkte und welche Bilder und Geschichten sich daraus entspinnen konnten. Es war unglaublich beeindruckend und empörend zugleich, welche Atmosphären sich im Raum entwickelt haben: wo Tränen geflossen sind und wo sie verboten wurden. Wo Segen ausgesprochen und nahezu sichtbar wurde, und dann wieder süffisante Kälte jemanden gemeinsam mit seinen Anliegen in Ungnade fallen ließ. Als zuschauende, mitschauende Lernende blieb mir der Mund offen. Hier war ein Vater-Meister am Werk, der sich widerspruchsfreien Hoheitsraum schaffte und in ihm Verknüpfungen und Deutungen einführte, die wahrlich gewagt waren, oft aber scheinbar Sinn stifteten. Hier wurde jemandes Seitenblick zum absolut gewissen Hinweis auf ein verstorbenes Kind; eine Körperhaltung sprach unmissverständlich von unterbrochenen Beziehungslinien; ein Ton in der Stimme erzählte von einer gekränkten Tante, und manchmal musste jemand nur in gewisser Weise einatmen, um Bert Hellinger die Gewissheit zu geben, dass und was nicht in der Ordnung ist, die Ordnung schafft. Hier war eine priesterlich-geistig-primärtherapeutisch-tiefenpsychologisch-szenisch-körperlich-gestische-mystische Mischung am Werk, die sich die Freiheit nahm, Erfahrungen und Wahrnehmungen mit Konzepten und Hypothesen in neue und oft auch bewegende Zusammenhänge zu stellen. Verständlicherweise gebannt von diesem Geschehen, war ich in diesem Dachzimmer mit seinen kleinen Fenstern in all der Zeit doch auch verbunden mit dem Wetter draußen. Wechselhaft zogen Sonne, Regen, Wolken und Winde durchs Land und haben die

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