Politisch motivierte Kriminalität und Radikalisierung. Stefan Goertz
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Ebd.
Ebd.
Ebd. S. 18.
1.2.1 Kategorisierung des salafistischen Spektrums in puristischen, politischen und jihadistischen Salafismus
Bei der islamistischen Ausprägung des Salafismus handelt es sich um ein heterogenes Spektrum, das unterschiedliche (salafistische) Strömungen beinhaltet: Den puristischen, den politischen und den jihadistischen Salafismus. Allerdings muss festgestellt werden, dass bei allen drei Strömungen fließende Übergänge zueinander zu verzeichnen sind. Allerdings nutzt lediglich der Verfassungsschutz des Bundeslandes Berlin die Kategorie des puristischen Salafismus. Alle anderen Landesämter für Verfassungsschutz und das Bundesamt für Verfassungsschutz operieren lediglich mit zwei dieser drei Kategorien: Mit dem politischen – teilweise auch „missionarisch“ genannten Salafismus – und mit dem jihadistischen Salafismus.[1]
Jedoch darf bei aller Wichtigkeit einer analytischen Kategorisierung auf keinen Fall verdrängt werden, dass die religiös-theologisch-ideologische Grundlage aller drei salafistischer Strömungen im Wesentlichen gleich ist und dass die drei salafistischen Kategorien vornehmlich nach ihren Strategien, Taktiken und der Funktion von Gewalt unterschieden werden. Eine Kategorisierung von Salafismus in unterschiedliche Bereiche suggeriert die Chance einer Grenzziehung und dadurch ein besseres analytisches Verständnis. Daher werden kategorische Systematisierungen verwendet, die wie die Kategorie des puristischen Salafismus eher wissenschaftstheoretischen Wert besitzen, als einen entscheidenden Einfluss auf eine korrekte rechtliche und polizeiliche Behandlung haben.[2] Diese vermeintliche Chance einer akademischen Kategorisierung birgt jedoch große Risiken, da die Übergänge zwischen den drei Strömungen – aufgrund der entscheidenden gemeinsamen Ebene, ihrer religiös-theologisch-ideologischen Grundlage – fließend sind und daher sowohl durch die Sicherheitsbehörden als auch durch die wissenschaftliche Forschung häufig kaum zu identifizieren sind.[3]
Anmerkungen
BSI 2015, S. 11-16.
Amghar 2014, S. 381-410.
Roex 2014, S. 51-63; Goertz 2017d, S. 18.
a) Puristischer Salafismus
Der puristische Salafismus, auch quietistisch[1] genannt, basiert auf den Grundgedanken der Salafiya-Bewegung und wurde islamisch-theologisch geprägt durch Jamal Al Afghani, Mohammed Abdu, Rashid Rida, Mohammed Nasir Al-Din Al-Albani und Shaikh Muqbil Ibn Hadi Al-Wadi.[2] Der theoretisch-strategische Imperativ des puristischen Salafismus lautet, dass sich Muslime strikt von politischen Angelegenheiten fernhalten und lediglich Dawa (Missionierung) betreiben sollen.[3] Der puristisch-quietistische Salafismus präsentiert sich also apolitisch und Gewalt ablehnend, wobei auch er das Demokratieprinzip als unislamisch ablehnt, da die Herrschaft über die Menschen allein Gott gebühre.[4] Der entscheidende, abgrenzende Unterschied des puristischen Salafismus vom politischen und jihadistischen Salafismus ist, dass puristische Salafisten keine „aktiven [womöglich gar Gewalt als Mittel nutzende] politischen Bestrebungen gegen den demokratischen Rechtsstaat aufweisen“.[5] Im Verständnis der Extremismusforschung und unter einer juristischen Betrachtung durch den Berliner Verfassungsschutz ist der puristische Salafismus daher nicht extremistisch, sondern lediglich radikal-fundamentalistisch und muss daher nicht als aktiv verfassungsfeindlich eingestuft werden.[6]
Anmerkungen
Der Begriff „quietistisch“ (von lat. quietus, ruhig, zurückgezogen) beschreibt unpolitische Einstellungen und Haltungen mit der Prämisse des Verzichts auf politische Aktivität.
Goertz 2017d, S. 19.
www.selefiyyah.de; www.basseera.de; https://quranundhadith.wordpress.com/; 2.1.2021; Goertz 2017d, S. 19.
MIK NRW 2009, S. 9.
LfVBerlin 2014, S. 17 ff.
Ebd; Goertz 2017d, S. 19.
b) Politischer Salafismus
Politische und jihadistische Salafisten haben die gleichen religiös-ideologischen Grundlagen wie der puristische Salafismus. Allerdings unterscheiden sie sich in der Wahl ihrer taktischen Mittel, mit denen sie ihre religiös-politischen Ziele anstreben. Die reine Ausübung spiritueller Handlungen und ein – ihrer Meinung nach – moralisch aufrechtes Verhalten, wie es von puristischen Salafisten praktiziert wird, reicht politischen Salafisten (mitunter auch als mainstream-Salafisten oder patchwork-Salafisten bezeichnet) nicht aus.[1] Politische Salafisten legen ihren Schwerpunkt auf die Verbreitung ihrer islamistisch-salafistischen Ideologie durch Dawa, sprich: Missionierung und Rekrutierung neuer Anhänger durch Propagandaaktivitäten.[2] Durch ihre Dawa, ihre rhetorisch offensive Missionierung neuer Mitglieder – sowohl in der realen Welt als auch in der virtuellen Welt –, zielen politische Salafisten darauf ab, die Gesellschaft, in der sie leben – hier also Deutschland bzw. Europa – durch ein salafistisches Religionsverständnis grundlegend zu verändern.[3] Problematischerweise lehnen viele politische Salafisten Gewalt als Mittel zur Erreichung ihrer politischen Ziele nicht grundsätzlich ab, so dass ihr Verhältnis zum Jihadismus (bzw. islamistischen Terrorismus) als ambivalent bezeichnet werden muss. Diese Ambivalenz des politisch-salafistischen Spektrums und daraus abgeleitet eine Nähe zum Jihadismus stellen ein erhebliches Problem für westliche Demokratien wie Deutschland dar, da sich viele Tausend politische Salafisten scheinbar auf legalem, verfassungskonformem Terrain bewegen, allerdings ein erhebliches Rekrutierungspotenzial für den jihadistischen Salafismus aufweisen.[4] Zusammenfassend ist das Spektrum des politischen Salafismus eine strukturell amorphe, hybrid strukturierte, aggressiv missionierende, vordergründig Gewalt ablehnende Bewegung, deren Übergang zum jihadistischen Salafismus fließend ist.
Anmerkungen