Rechtsmedizin. Ingo Wirth
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Wird eine noch gut erhaltene Wasserleiche geborgen, ist dennoch Eile bei der erkennungsdienstlichen Behandlung geboten. Durch die besonderen Umstände des Aufenthalts im Wasser verfallen gelandete Leichen rasch der Fäulnis und werden dadurch unkenntlich.
Äußerlich werden die frühesten Fäulnisveränderungen in der rechten Unterbauchregion sichtbar. Der Dickdarm liegt an dieser Stelle der Bauchwand dicht an, sodass die Darmbakterien rasch in die Haut gelangen können und eine Grünverfärbung hervorrufen. Die grüne Farbe entspricht einem Abbauprodukt des roten Blutfarbstoffs, das durch die Einwirkung von Schwefelwasserstoff entsteht (Sulfhämoglobin). Mit dem Fortschreiten der Fäulnis breitet sich die Grünverfärbung nach und nach über den Bauch auf die gesamte Körperoberfläche aus. Die in den Blutgefäßen ablaufenden Zersetzungsprozesse führen durch Gasbildung dazu, dass die oberflächlich liegenden Blutadern zuerst als rot-violette und später als grünlich-schwarze Verästelungen sichtbar werden. Man spricht vom Durchschlagen des Venennetzes. Es kommt weiter zur Auftreibung des Rumpfes. Aus Mund und Nase tritt rötlich-braune Fäulnisflüssigkeit aus. Die Oberhaut wird leicht verschieblich und löst sich schon bei leichten Berührungen ab. In der Haut bilden sich flüssigkeitsgefüllte Fäulnisblasen, die zu ausgedehnten Hautsäcken zusammenfließen können, schließlich einreißen und zusammensinken. Die Oberhaut hängt dann in Fetzen am Körper. Freiliegende Partien der Unterhaut vertrocknen zu einer bräunlichen, harten Schwarte. Die Grünverfärbung der Haut geht in eine tiefgrün-schwarze Farbe über. Eine Durchsetzung der Weichteile mit Fäulnisgasen führt nicht selten zur monströsen Auftreibung von Körperteilen, sodass eine Fettleibigkeit oder ein gedrungener Körperbau vorgetäuscht wird. Das Gesicht ist bis zur Unkenntlichkeit entstellt, auch die Augenfarbe verändert sich. Schließlich lassen sich die Kopfhaare leicht ausziehen und Finger- und Zehennägel mit der Oberhaut handschuh- bzw. sockenartig abziehen. Der weitere Fortgang hängt maßgeblich davon ab, welche anderen Leichenveränderungen beteiligt sind. Zum einen können Eintrocknung und Mumifikation den Endzustand prägen, und zum anderen ist, meist infolge Fliegenmadenbefalls, eine Skelettierung möglich.
Im Körperinneren verlaufen die Fäulnisveränderungen meist langsamer als außen. Der Magen-Darm-Kanal wird durch Fäulnisgase stark aufgebläht. In der Leber führen die Gase zu Hohlraumbildungen, sodass eine sog. Schaumleber entsteht. Die Milz nimmt eine grau-schwarze Farbe an und ist zerfließlich. Das Gehirn verfärbt sich zunächst rötlich, später wird es grün-grau und verflüssigt sich breiig. An Blutgefäßen und Herz zeigt die Innenhaut eine rot-violette Verfärbung infolge Durchtränkung mit Fäulnisflüssigkeit. In den Lungen sowie in der Brust- und Bauchhöhle sammeln sich reichlich Fäulnisgase und Fäulnisflüssigkeit an. Verflüssigtes Körperfett bildet im Bauchraum Fettseen. Auf den Organüberzügen und auf den Auskleidungen der Körperhöhlen können Kristallbildungen aus organischen und anorganischen Fäulnisprodukten entstehen. Die Nieren, die Gebärmutter und die Prostata widerstehen der Fäulnis länger als die übrigen inneren Organe.
Bei der Verwesung handelt es sich um mikrobiell bedingte, oxidative Prozesse, die mit einem trockenen, zundrigen Gewebszerfall einhergehen, oft begleitet von sichtbarem Schimmelpilzbefall. Fäulnis und Verwesung können kombiniert ablaufen, wobei mal das eine, mal das andere überwiegt.
Wegen der nahezu regellos verlaufenden Abbauvorgänge bei Fäulnis und Verwesung sind Rückschlüsse auf die Leichenliegezeit nur sehr begrenzt möglich. Dennoch muss der Ermittlungsbeamte über ausreichende Kenntnisse der Fäulnisveränderungen verfügen, um Verwechselungen mit Folgen einer äußeren Gewalteinwirkung zu vermeiden. Häufig festzustellende Fehlinterpretationen sind:
• | Austritt von Fäulnisflüssigkeit aus Nase und Mund als Blutablaufspuren, |
• | Hervorquellen von Zunge und Augen als Erstickungszeichen, |
• | Farbveränderungen der Halshaut als Würgemale, |
• | Einschnürung des Halses bei fäulnisbedingter Anschwellung als Strangfurche, |
• | Fäulnisblasen am Körper als Brandblasen, Erfrierungsblasen oder Blasen bei Vergiftung, |
• | Spreizung der Beine als Hinweis auf ein Sexualdelikt. |
II. Tod und Leichenuntersuchung › 3. Späte Leichenveränderungen › 3.2 Tierfraß
3.2 Tierfraß
Am häufigsten ist der Fliegenmadenbefall. Bereits in der Sterbephase können die ersten Fliegeneier auf dem Körper abgelegt worden sein. Bevorzugt werden feuchte Körperstellen, wie Augenwinkel, Nasen- und Mundöffnung, aber auch offene Wunden. Durch Madenfraß können vorhanden gewesene Wunden unkenntlich gemacht oder vergrößert werden. Je nach Fliegenart und Umweltbedingungen schlüpfen die Maden (Larven) unterschiedlich schnell und zehren von der Leiche. Auf diese Weise kann in den Sommermonaten innerhalb weniger Tage eine vollständige Skelettierung eintreten. Dem Larvenstadium folgen die Verpuppung und das Schlüpfen neuer Fliegen. Den Abschluss des Generationsgangs (= Metamorphose = Gestaltwandel) zeigen die leeren Puppenhüllen an. Aufgrund des zeitlichen Ablaufs dieses Gestaltwandels der einzelnen Fliegenarten und der vorgefundenen Artenzusammensetzung sind überschlägige Schätzungen der Leichenliegedauer möglich. Weiterhin können toxikologische und molekularbiologische Untersuchungen an den Leicheninsekten vorgenommen werden. Derartige Analysen erfordern eine sachkundige Asservierung der Tiere.
Auch andere Insekten, vor allem Ameisen und Käfer, sind an der Leichenzerstörung beteiligt. Darüber hinaus verursachen viele Wirbeltiere ebenfalls Fraßspuren, am häufigsten Ratten, Mäuse, Vögel, Füchse, Wildschweine, gelegentlich auch Hunde und Katzen. Sind solche Haustiere längere Zeit mit einem Verstorbenen eingesperrt, so nutzen sie den Leichnam als Nahrungsquelle. Groteske Fraßdefekte sind beobachtet worden. Bei Wasserleichen kommen neben Wassertieren die Larven der Köcherfliegen als Leichenzehrer in Betracht.
Von kriminalistischer Bedeutung ist der Tierfraß, weil eine Verwechselungsgefahr mit zu Lebzeiten entstandenen Verletzungen besteht. Hautveränderungen durch Ameisen können Würgespuren oder Verätzungen vortäuschen. Vögel verursachen Verletzungen, die mitunter an Stich- oder Schrotschusswunden erinnern. Durch Waldtiere werden gelegentlich Leichenteile abgefressen und verschleppt, sodass der Eindruck einer Leichenzerstückelung entsteht. Entscheidend für die richtige Einordnung von Verletzungen als Tierfraß ist es, von vornherein an diese Möglichkeit der Leichenzerstörung zu denken.
II. Tod und Leichenuntersuchung › 3. Späte Leichenveränderungen › 3.3 Konservierende Leichenveränderungen
3.3 Konservierende Leichenveränderungen
Eine natürliche Leichenkonservierung durch Mumifikation tritt dann ein, wenn die Austrocknung des Körpers schneller voranschreitet als die Leichenzersetzung durch Fäulnis. Diese Situation ist bei mageren Leichen in trockenem, luftigem Milieu gegeben. Einer Mitwirkung von Giften, Strahlen und Bakterien bedarf es nicht.
Bereits kurze Zeit nach dem Tod sind die ersten Vertrocknungserscheinungen an den Hornhäuten der Augen, am Lippenrot und an zarten Hautpartien wie Hodensack, Vorhaut und Schamlippen zu beobachten. Der Flüssigkeitsverlust der Gesichtshaut lässt die Bartstoppeln deutlich hervortreten, wie auch das Eintrocknen der Finger- und Zehenkuppen die Nägel länger erscheinen lässt.