Rechtsmedizin. Ingo Wirth

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Rechtsmedizin - Ingo Wirth Grundlagen der Kriminalistik

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später Leichenveränderungen ist wegen der nahezu regellos verlaufenden Abbauprozesse selbst für den erfahrenen Rechtsmediziner außerordentlich problematisch (Tabelle 3).

      Deshalb sollte der Leichenschauarzt im Zweifelsfall auf eine Angabe zur Leichenliegezeit gänzlich verzichten und dem etwaigen Drängen des Ermittlungsbeamten auf eine Zeitangabe widerstehen.

      Der Einfluss der Umgebungstemperatur auf den Fortgang von Fäulnis und Verwesung ist kaum zu überschätzen. So darf es nicht erstaunen, wenn Leichen in warmen Räumen bereits nach 24 Stunden stark in Fäulnis übergegangen sind. Die Leichenveränderungen können in so kurzer Zeit ein Ausmaß annehmen, das unter anderen Umgebungsbedingungen erst nach Wochen entsteht.

      Ebenfalls stark temperaturabhängig sind die Vertrocknungsvorgänge an der Leiche. Während Teilmumifizierungen bevorzugt an Nasenspitze, Ohrmuscheln, Finger- und Zehenkuppen schon nach einigen Tagen erkennbar werden können, dauert eine vollständige Mumifikation Wochen bis Jahre.

Bedingungen: Lagerung der Leiche bei einer Raumtemperatur von 18–20 °C, geringe Luftbewegung, keine Infektionskrankheit, keine Antibiotikabehandlung, mittlerer Ernährungszustand, Hausbekleidung.
Nach 2 Tagen: Grau-grünliche Verfärbung der Haut im rechten Unterbauch, anschließend bei Rückenlage der Leiche im linken Unterbauch.
Nach 5 bis 7 Tagen: Flächenhafte Grünfärbung der Haut von Mittel- und Unterbauch. „Durchschlagen“ der Venen, insbesondere an den Schultern vorn, an der Brust und an den Oberschenkeln.
Nach 8 bis 14 Tagen: Bildung flüssigkeitsgefüllter, z. T. auch großflächiger Hautblasen. Auftreibung des Rumpfes. Austritt von rötlicher Flüssigkeit aus Mund und Nase. Auftreibung des Hodensackes.
In der 3. und 4. Woche: Flächenhafte Ablösung der Haut. Haare leicht ausziehbar. Gesicht mit wulstförmigen Auftreibungen der Lider und Lippen. Geschwollene Zunge liegt zwischen den Zahnreihen bzw. ragt aus dem Mund hervor.

      Noch seltener wird für den Leichenschauarzt die Situation eintreten, sich aufgrund einer Fettwachsbildung zur Liegezeit äußern zu müssen. Bei der zeitlichen Beurteilung ist das Ausmaß der Umwandlung von körpereigenem Fettgewebe zu berücksichtigen. Das lässt sich nur bei einer Leichenöffnung feststellen. Deshalb sollte der Leichenschauarzt von vornherein die Hinzuziehung eines Rechtsmediziners empfehlen. Lässt sich Fettwachs in geringer Ausbildung nachweisen, so deutet das auf eine Liegezeit von 3 bis 6 Wochen hin. Bei größerer Ausdehnung sind es etwa 8 bis 10 Wochen. Die Umwandlung ganzer Extremitäten läuft in einem Zeitraum von 3 bis 6 Monaten ab. Eine vollständige Fettwachsleiche entsteht frühestens nach 1 Jahr.

      Eine exakte Datierung der Liegezeit bei kriminalistisch relevanten Skelettfunden ist nicht möglich. Mit dem Verschwinden der Weichteile im Erdgrab kann frühestens nach etwa 3 bis 4 Jahren gerechnet werden. Nach mehr als 10 Jahren wird der anfänglich fettige und schwere Knochen zunehmend trockener, leichter und morsch.

      In der warmen Jahreszeit sind die Ablage von Fliegeneiern auf der Leiche, Madenbefall, Puppen und Puppenhüllen keineswegs selten zu beobachten. Der Entwicklungszyklus der Leicheninsekten und die vorgefundene Artenzusammensetzung lassen ungefähre Rückschlüsse auf die Leichenliegezeit zu. Die Beurteilung erfordert Sachkunde und sollte einem forensisch erfahrenen Entomologen überlassen werden.

      Da Pollen und Sporen resistent gegenüber Fäulnis- und Verwesungsprozessen sind, eignen sich diese biologischen Spuren für eine Liegezeitschätzung. Um festzustellen, zu welcher Jahreszeit eine verstorbene Person zuletzt geatmet hat, kann die Spülflüssigkeit aus dem Nasen-Rachen-Raum untersucht werden.

      Seit Langem werden verschiedene, insbesondere biochemische Vorgänge, die in Organen und Körperflüssigkeiten nach dem Tod ablaufen, auf ihre Brauchbarkeit für die Todeszeitschätzung untersucht. Dazu liegt eine umfangreiche Spezialliteratur vor. Keines der zahlreichen Verfahren hat sich bisher als praktikabel erwiesen.

      Bei der Leichenöffnung können aus dem Verdauungszustand des Mageninhalts und aus der Magen-Darm-Passage gewisse Anhaltspunkte für die Todeszeit abgeleitet werden. Allerdings ist unbedingt zu berücksichtigen, dass Art und Zusammensetzung der Nahrung sowie physische und psychische Einflüsse die Verdauung beschleunigen oder zum Stillstand bringen können.

      Neben medizinischen Befunden lassen sich auch kriminalistische Ermittlungsergebnisse heranziehen. Am Leichenfundort können auf die Todeszeit hinweisen: Licht in der Wohnung, zugezogene Vorhänge, benutztes Bett, Zustand von Speiseresten, Kalenderblatt, aufgeschlagene Fernsehprogrammzeitschrift, letztmalige Nutzung elektronischer Medien sowie Zeitungen und Post im Briefkasten. Darüber hinaus liefern Zeugenaussagen (wann zuletzt lebend gesehen, Lebensgewohnheiten) mitunter wichtige Anhaltspunkte für die Todeszeitschätzung.

      Anmerkungen

       [1]

      Dürwald, W. (1990): Gerichtliche Medizin. 4. Aufl., Leipzig: Barth, S. 67.

       [2]

      Reinhardt, G., Mattern, R. (1999): Rechtsmedizin. In: Ökologisches Stoffgebiet (Hrsg. A. Bob u. K. Bob), 3. Aufl., Stuttgart: Hippokrates, S. 311.

       [3]

      Schulz, E., Hein, P. M. (1989): Todeszeitbestimmung. In: Rechtsmedizin 3/1989 (Hrsg. E. Schulz u. R. Vock), Institut für Rechtsmedizin der Universität Würzburg, S. 54-55.

      II. Tod und Leichenuntersuchung4. Ärztliche Leichenschau › 4.3 Feststellung der Todesursache

      Der Begriff Todesursache bezieht sich auf die Krankheiten, Verletzungen oder Vergiftungen, die zum Tod geführt oder dazu beigetragen haben. In der Praxis sind die Feststellung von Todesursache und Todesart nicht voneinander zu trennen.

      Auf den Todesbescheinigungen wird zwischen unmittelbarer Todesursache und Grundleiden unterschieden. Eine solche Unterscheidung kommt sowohl für natürliche als auch für nichtnatürliche Todesfälle in Betracht. Die Zusammenstellung der Krankheiten und Verletzungen zur Kausalkette nach medizinischen Gesichtspunkten ist Sache des Leichenschauarztes. Um eine vergleichbare Medizinalstatistik zu gewährleisten, soll sich der Arzt bei der Bezeichnung der Krankheiten, Verletzungen und Todesursachen an die Internationale statistische Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation halten.

      In Deutschland ist die Reihenfolge der Häufigkeiten bei den Todesursachen seit Langem unverändert. Mit Abstand an der Spitze stehen die Herz-Kreislauf-Krankheiten und die Krebserkrankungen. Erst an sechster Stelle finden sich die nichtnatürlichen Todesfälle durch Verletzungen und Vergiftungen. Das sind gegenwärtig rund 40 000 Sterbefälle im Jahr, die etwa 4 % der Gesamtsterblichkeit der Bevölkerung ausmachen. Damit kamen so viele Menschen auf nichtnatürliche Weise ums Leben wie Bautzen

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