Europäisches Prozessrecht. Christoph Herrmann
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In den letzten Jahren, und insbesondere seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, stellt sich die Frage, wie der GHEU seiner Rechtsprechungsaufgabe aus Art. 19 I 1 EUV, die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge zu sichern, effektiv nachkommen kann. Mit der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten in die EU, neuen Sachbereichskompetenzen für den GHEU und dem voranschreitend direkten Verwaltungsvollzug durch EU-Stellen geht ein beständig ansteigender Arbeitsaufwand für den GHEU einher.
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Zur Reform des Gerichtshofs wurden in den letzten Jahren zahlreiche Vorschläge gemacht.[45] Drei Reformansätze werden im Folgenden kurz beleuchtet.
I. Vergrößerung des Europäischen Gerichts
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Das EuG wird nach einer Änderung der GHEU-Satzung durch die VO (EU, Euratom) 2015/2422[46] zwischen Dezember 2015 und September 2019 auf das Doppelte seiner bisherigen Richterstellen vergrößert. Damit werden letztendlich zwei Richter je Mitgliedstaat an dem dann aus 56 (bzw. nach dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU noch 54) Richtern bestehendem EuG arbeiten. Gleichzeitig wurde das Gericht für den öffentlichen Dienst aufgelöst und die sachliche Zuständigkeit für dienstrechtliche Streitigkeiten dem Gericht übertragen.
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Sowohl der Prozess, der zu dieser GHEU-Reform führte, als auch die sachliche Rechtfertigung für die Aufstockung der Richterstellen, scheinen kritikwürdig.
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Im Jahr 2011 schlug der GHEU nämlich die Aufstockung des EuG um zwölf Richter vor, um die Arbeitsbelastung des Gerichts und die dortigen Verfahrensdauern zu reduzieren. Die Mitgliedstaaten scheuten jedoch die Mehrkosten und waren sich uneinig darüber, welcher Mitgliedstaat zwei Richter stellen sollte. Im Jahr 2013 schlug der GHEU noch neun neue Richter vor. Ein Jahr später wurde der letzte Vorschlag des GHEU, wiederum 28 zusätzliche Richter zu installieren, von den Mitgliedstaaten gebilligt.[47] Zu Gunsten dieser Veränderung wird angeführt, dass so das GHEU-System vereinfacht und durch die Möglichkeit interner Kammerbildung am EuG flexibilisiert werde. Außerdem müssten einzelne Mitgliedstaaten anders als früher beim GöD oder bei neuen Fachgerichten nicht auf einen „eigenen“ nationalen Richter verzichten.
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Obgleich die Verfahren zugenommen haben, hat der GHEU in den letzten Jahren Verfahrensrückstände aufarbeiten können. Der Anstieg an Rechtssachen muss darüber hinaus ins Verhältnis zu einer durch die EU-Beitritte sich stetig erhöhenden Richterzahl betrachtet werden. Die bloße Erhöhung der Richterstellen könnte daher teure Überkapazitäten schaffen. Alternativvorschläge wären etwa die Erhöhung der Zahl der Rechtsreferenten am EuG oder die Schaffung eines Fachgerichts (vgl. Art. 257 AEUV) für Klagen im Bereich des geistigen Eigentums, die 2014 immerhin ca. 33 Prozent aller neuen Rechtssachen ausmachten.[48] Alemanno und Pech geben zu bedenken, dass die Arbeitsabläufe innerhalb der Gerichte verbessert werden müssten und machen dazu ebenso wie der ehemalige EuGH-Richter Dehousse detaillierte Vorschläge.[49] Die als Vorteile genannten Gründe der Reform seien nicht evidenzbasiert.[50] Möglicherweise um dieses Versäumnis nachzuholen, sieht das GHEU-Reformprogramm vor, dass ein Bericht die Arbeitsweise des Gerichts und die Zuständigkeitsverteilung für Vorabentscheidungen evaluieren soll. Ende des Jahres 2020 soll der Bericht – begleitet von (neuen) Vorschlägen zur Änderung der GHEU-Satzung – fertiggestellt werden.
II. Parlamentarische Mitwirkung bei der Richterwahl
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Momentan werden die Richter und Generalanwälte von den einzelnen Mitgliedstaaten, deren Staatsangehörigkeit die Richter besitzen, vorgeschlagen und im gegenseitigen Einvernehmen durch die Regierungen aller Mitgliedstaaten ernannt (Art. 253, 254 II AEUV). Zuvor ist ein mit dem Vertrag von Lissabon 2009 neu errichteter Ausschuss dazu aufgerufen, seine Stellungnahme zur Eignung der Kandidaten abzugeben (Art. 255 AEUV). Dieser Ausschuss wird wiederum durch den Rat berufen und ist mit hervorragend befähigten Juristen u.a. der höchsten europäischen Gerichte besetzt. Ein Mitglied des Ausschusses wird durch das Europäische Parlament vorgeschlagen.
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Teilweise wird ob dieses Befundes gefordert, bei der Auswahl der Richter am GHEU dem Europäischen Parlament eine stärkere Rolle zukommen zu lassen. Dies sei nach derzeitigem Stand der europäischen Integration notwendig.[51] Dem ist entgegenzuhalten, dass die Unabhängigkeit der europäischen Judikative einer Einflussnahme anderer Gewalten Grenzen setzt und eine demokratische Legitimation des GHEU nicht zwingend erforderlich ist. Durch eine im ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahren erlassene Verordnung steht es dem EU-Gesetzgeber immerhin frei, die GHEU-Satzung in großen Teilen zu ändern (vgl. Art. 281 II AEUV). Gleichwohl erscheinen absehbare Änderungen in der Bestellung der Richter aufgrund der primärrechtlichen Verankerung und des Willens der EU-Mitgliedstaaten, ihren diesbezüglichen Einfluss zu behalten, nicht sehr wahrscheinlich. Vielmehr steht das Anliegen der einzelnen Staaten im Vordergrund, mit mindestens einem Richter an den jeweiligen Gerichten repräsentiert zu sein. Andererseits zeigt das Beispiel des EGMR – die dortigen Richter werden von den Vertragsstaaten vorgeschlagen und von der parlamentarischen Versammlung des Europarates aus jeweils drei Kandidaten ausgewählt –, dass internationale Richterstellen sich auch anders besetzen lassen. Kritiklos ist die Richterwahl an den EGMR im Europarat freilich auch nicht. Aufgrund qualitativer Probleme mit einzelnen Richtern wurde mittlerweile auch dort ein beratender Expertenausschuss eingerichtet, der dem Ausschuss nach Art. 253, 255 AEUV ähnlich ist. Er überprüft, ob die Kandidaten die Voraussetzungen des Art. 21 I EMRK erfüllen.[52]
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Immerhin wurden die Voraussetzungen, von Deutschland als deutscher Richter am EuGH vorgeschlagen zu werden, etwa zeitgleich mit dem Vertrag von Lissabon geändert. Zuvor wurden die Richter allein durch die Bundesregierung ausgewählt, mittlerweile benennt die Bundesregierung die Kandidaten zumindest im Einvernehmen mit dem Richterwahlausschuss (§ 1 III Richterwahlgesetz).
III. Änderung der GHEU-Verfahrensvoraussetzungen
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Teilweise wurde für die erhöhte Arbeitsbelastung die großzügige Handhabung der Annahmevoraussetzungen für Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV) verantwortlich gemacht.[53]
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Daher gibt es Literaturstimmen, die das grundsätzlich freie Vorlagerecht mitgliedstaatlicher Gerichte aus rechtlichen und praktischen Erwägungen beschränken möchten. Denkbar wäre es nach der Ansicht von Groh, Art. 267 I AEUV die ungeschriebene Voraussetzung eines unionsrechtlichen Auslegungsbedürfnisses zu entnehmen, um Vorlagefragen nicht beantworten zu müssen, die von den befassten Gerichten unproblematisch selbst beantwortet werden können.[54] Ebenfalls könnte der GHEU die Frage nach der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage selbst prüfen, anstatt sie den vorlegenden Gerichten zu überlassen und sich auf eine Missbrauchskontrolle zu beschränken. Nach anfänglicher Mehrarbeit könnte daraus eine Entlastung des EuGH resultieren, da und soweit mitgliedstaatliche Gerichte restriktiver vorlegen würden. Auf der anderen Seite dienen die Vorlageverfahren dazu, die einheitliche Auslegung des Unionsrechts und die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zu sichern. Insofern besteht ein unionsrechtliches Interesse an der Bereitschaft der mitgliedstaatlichen Gerichte, (relevante) unionsrechtliche