Europäisches Prozessrecht. Christoph Herrmann
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Die Richter werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten im gegenseitigen Einvernehmen nach Anhörung eines Ausschusses gemäß Art. 255 AEUV ernannt (Art. 254 AEUV). Ihre Amtszeit beträgt sechs Jahre, eine Wiederernennung ist zulässig. Sie wählen aus ihrer Mitte für die Dauer von drei Jahren den Präsidenten des Gerichts. Die Richter üben ihr Amt in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit aus. Anders als der Gerichtshof verfügt das Gericht nicht über ständige Generalanwälte. Ausnahmsweise kann diese Funktion aber einem der Richter übertragen werden.
2. Spruchkörper
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Die beim Gericht anhängigen Rechtssachen werden von Kammern mit drei oder fünf Richtern oder in bestimmten Fällen auch vom Einzelrichter entschieden. Das Gericht kann außerdem als Große Kammer (15 Richter) tagen, wenn die rechtliche Komplexität oder die Bedeutung der Rechtssache dies rechtfertigt. Die Präsidenten der Kammern mit fünf Richtern werden unter den Richtern für drei Jahre gewählt.
3. Fachgerichte
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Für einzelne Sachgebiete sieht Art. 257 I AEUV die Möglichkeit vor, Fachgerichte zur Entlastung des EuG und des EuGH zu bilden. Dies geschieht durch eine im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassene Gründungsverordnung.
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Das GöD war das (bisher) einzige Fachgericht der EU. Es befasste sich mit Streitsachen, die den öffentlichen Dienst der Europäischen Union betrafen. Es nahm im Jahr 2005 seine Tätigkeit auf.[15] Im September 2016 wurde das GöD aufgelöst und zuständigkeitshalber in das EuG integriert. Es fungiert seitdem nicht mehr als eigenständiges Gericht.[16]
§ 3 Der Gerichtshof der EU › C. Zuständigkeit des GHEU
C. Zuständigkeit des GHEU
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Der GHEU ist zuständig, wenn die Verbandszuständigkeit der EU und die Organzuständigkeit des GHEU gegeben sind. Daran anschließend ist zu klären, ob GHEU-intern der Gerichtshof oder das EuG zuständig ist.
I. Verbandszuständigkeit der EU
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Die Zuständigkeit der EU ist gegeben, wenn der Union primärrechtlich Hoheitsrechte zur eigenen Ausübung im Einzelfall übertragen worden sind (Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, Art. 5 I EUV), von denen sie unter Achtung der Subsidiarität in verhältnismäßiger Weise Gebrauch gemacht hat (Art. 5 III f. EUV). Die EU wurde nach Art. 19 I UA 1 EUV von den Mitgliedstaaten mit einem Rechtsprechungsorgan zur Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des gesamten Unionsrechts ausgestattet (vgl. Rn. 41). Daraus ergibt sich, dass jegliche das Unionsrecht betreffende Rechtsfragen auch in eigener Verbandszuständigkeit der Union geklärt werden. Lediglich Sachverhalte, in denen ausschließlich das nationale Recht zur Anwendung kommt, liegen außerhalb dieser Verbandszuständigkeit.
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Darüber hinaus hat der GHEU auch verbandsintern keine Kompetenz zur Auslegung oder Anwendung von mitgliedstaatlichem Recht, selbst wenn er aufgrund von Unionsrechtsbezug für einen Rechtsstreit eigentlich zuständig ist. Kommt es im mittelbaren Unionsrechtsvollzug zu Rechtsstreitigkeiten, bleiben daher die nationalen Gerichte für die Überprüfung des nationalen Vollzugsakts zuständig, während der GHEU die zugrunde liegende Unionsrechtsnorm überprüft.[17]
II. Organzuständigkeit des GHEU
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Die Kompetenzabgrenzung zwischen dem GHEU und den anderen Unionsorganen wird nach Art. 13 II, Art. 19 III EUV nach den EU-vertraglich explizit bestehenden Verfahrenszuständigkeiten vorgenommen. Mangels rechtswegeröffnender Generalklauseln (wie etwa § 40 I VwGO für den deutschen Verwaltungsrechtsweg) kann daher von einem numerus clausus der – kompetenzbegründenden – Verfahrensarten gesprochen werden. Darin bestehen Ähnlichkeiten zu Art. 93 I GG im Hinblick auf die Zuständigkeiten des deutschen Bundesverfassungsgerichts. Um zuständig zu sein, muss folglich erstens ein Verfahren vorgesehen sein in dem die Rechtsstreitigkeit geklärt werden kann; zweitens folgt aus der parallelen Ausgestaltung aller Verfahrensarten, dass der GHEU explizit mittels Klageerhebung, Antrag oder gerichtlicher Vorlage mit der Sache befasst worden sein muss. Er kann dies nicht selbst tun.
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Das Grundgerüst des von Art. 13 II 2 EUV avisierten interinstitutionellen Gleichgewichts ist primärrechtlich somit bereits fest angelegt. In seiner Rechtsprechung ist der GHEU ebenfalls an die in den Verträgen festgelegte EU-Kompetenzordnung gebunden. Diese überträgt rechtsetzende, regierende und verwaltende Aufgaben den übrigen EU-Organen, namentlich der Kommission, dem Rat und dem Parlament. Deswegen ist der GHEU gehalten, richterliche Zurückhaltung bei der Rechtsfortbildung insbesondere des Sekundärrechts und in politischen Beurteilungs- und Ermessensspielräumen zu wahren.
III. Zuständigkeitsbeschränkungen
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Primärrechtlich vorgesehene Ausnahmen zu der Jurisdiktion des GHEU bestehen insbesondere in souveränitätssensiblen Politikbereichen der Union und der Mitgliedstaaten. Daher hatte der Europäische Gerichtshof historisch gesehen in der durch den Vertrag von Maastricht eingeführten „Säulenstruktur“ der EU keine Zuständigkeiten in der zweiten, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) betreffenden und in der dritten, die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) betreffenden Säule. Mit dem Vertrag von Lissabon wurde die Säulenstruktur der Union formal aufgelöst. Dies hat zur Folge, dass grundsätzlich eine umfassende Jurisdiktionsgewalt des EuGH vorausgesetzt werden kann. Es bedarf nun einer ausdrücklichen Regelung, wenn Bereiche der GASP oder der PJZS von der Rechtskontrolle durch den GHEU ausgenommen werden.[18]
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Solche Regeln behält der Vertrag von Lissabon für die EU-Verträge in der Tat bei. Der grundsätzliche Ausschluss der GASP bleibt bestehen (Art. 24 I UA 2 S. 6 EUV, Art. 275 I AEUV). Rückausnahmen gelten hinsichtlich der Einhaltung der Organkompetenz und der Verfahrensvorschriften nach Art. 40 EUV und hinsichtlich der Rechtmäßigkeitskontrolle von individualbelastenden Maßnahmen im Rahmen der GASP (Art. 275 II AEUV). Damit sollen vor allem Maßnahmen, die in Umsetzung von UN-Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung ergehen, justiziabel gemacht werden. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind diese Einschränkungen seiner Jurisdiktion im Lichte von Art. 2, 21, 23 f. EUV, Art. 275 AEUV und Art. 47 GRC restriktiv auszulegen.[19]
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Für die PJZS, die mit dem Vertrag von Lissabon dem „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, d.h. Titel V der internen Politiken und Maßnahmen der Union nach den Art. 67 ff. AEUV zugeordnet wurde,