Europäisches Prozessrecht. Christoph Herrmann
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Das Verfahren vor dem EuGH gliedert sich in die Verfahrenseinleitung, das schriftliche und das mündliche Verfahren sowie den Verfahrensabschluss.
I. Verfahrenseinleitung
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In den Direktklageverfahren wird das Verfahren durch Erhebung der Klage in Gang gesetzt. Diese muss den in Art. 21 I GHEU-Satzung genannten Anforderungen entsprechen, und damit u.a. den Namen und Wohnsitz des Klägers, die Bezeichnung des Beklagten, den Streitgegenstand und die Anträge und Klagegründe enthalten.
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Fehlt es an den Voraussetzungen des Art. 21 I GHEU-Satzung, liegt ein sog. konstitutiver Mangel vor, der dazu führt, dass bereits keine Klage i.S.d. Art. 120 VerfO-EuGH vorliegt. Damit wird die laufende Klagefrist nicht unterbrochen, da die Klage auch nicht registriert wird. Allerdings eröffnet der Gerichtshof bei nicht-konstitutiven Mängeln die Möglichkeit, den Mangel zu heilen (Art. 122 III VerfO-EuGH). Gleiches gilt analog für konstitutive Mängel, wobei der Zeitpunkt der Klageeinreichung nicht auf den Zeitpunkt der unvollständigen Klageeinreichung rückdatiert wird.
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Im Vorabentscheidungsverfahren übermittelt das vorlegende Gericht einen Vorlagebeschluss an den Kanzler des Gerichtshofs (Art. 23 GHEU-Satzung, Art. 20 I VerfO-EuGH). Der Beschluss muss neben den Vorlagefragen eine kurze Darstellung des Streitgegenstands nebst anwendbaren Rechtsvorschriften und einschlägiger Rechtsprechung sowie die Begründung für Zweifel bezüglich der Auslegung oder der Gültigkeit des Unionsrechts und des Zusammenhangs mit dem anwendbaren nationalen Recht enthalten (Art. 94 VerfO-EuGH).[23]
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Der Kläger kann nach Art. 36, 37 I VerfO-EuGH die Verfahrenssprache innerhalb der 24 bestehenden Amtssprachen der EU frei wählen. Richtet sich die Klage gegen einen Mitgliedstaat, so ist dessen Amtssprache allerdings automatisch auch die Verfahrenssprache. Gleiches gilt für die Verfahrenssprache bei Vorabentscheidungsersuchen, die die Amtssprache des vorlegenden Gerichts ist. In der Verfahrenssprache erfolgt sodann das gesamte schriftliche und mündliche Verfahren sowie schließlich das Urteil, das nur in der Verfahrenssprache verbindlich ist (allerdings regelmäßig auf Französisch aufgesetzt wird). Einzige Ausnahme sind hier die Schlussanträge der Generalanwälte, die in deren Muttersprache erstellt werden können und in die Verfahrenssprache übersetzt werden.
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Nach der Einleitung des Verfahrens wird die Rechtssache in das Register der Kanzlei eingetragen (Art. 21 VerfO-EuGH), ein richterlicher Vorberichterstatter bestimmt und die Rechtssache einem Generalanwalt zugeteilt.
II. Schriftliches Verfahren
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Im anschließenden schriftlichen Verfahren (Art. 20 II GHEU-Satzung) werden Schriftsätze ausgetauscht, bis die letzte Frist für die Einreichung eines Schriftsatzes verstrichen ist.
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Im Einzelnen umfasst dies in direkten Klageverfahren die Zustellung der Klageschrift und die Einreichung der Klagebeantwortung (nach deutscher Terminologie: der Klageerwiderung) binnen Zweimonatsfrist unter den in Art. 123 I VerfO-EuGH genannten Voraussetzungen. Diese können durch Erwiderung und Gegenerwiderung (Replik und Duplik) ergänzt werden. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Präklusionsvorschrift des Art. 127 I VerfO-EuGH, nach der
„[d]as Vorbringen neuer Klage- und Verteidigungsgründe im Laufe des Verfahrens (…) unzulässig [ist], es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind.“
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In diesem Zusammenhang ist außerdem die (teilweise kritisierte) Begrenzung der Schriftsatzlänge zu erwähnen, die sich aus Art. 58 VerfO-EuGH i.V.m. Nr. 12 ff. der Praktischen Anweisungen für die Parteien ergibt. Danach sollen die Klageschrift und die Klagebeantwortung 30 Seiten, die Erwiderung und die Gegenerwiderung etwa 10 Seiten nicht überschreiten. Die erlaubte Schriftsatzlänge kann allerdings im einzelnen Verfahren ggf. konkretisiert wird.
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Im Vorabentscheidungsverfahren wird das Ersuchen zunächst in alle Amtssprachen übersetzt und den Parteien des Ausgangsrechtsstreits, den Mitgliedstaaten und den beteiligten EU-Institutionen mit der Möglichkeit zur Stellungnahme zugestellt (Art. 23 GHEU-Satzung, Art. 98 VerfO-EuGH).
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In allen Verfahren entscheidet die Generalversammlung über die Verweisung der Rechtssache an die Spruchkörper auf Grundlage des Vorberichts des Berichterstatters (Art. 59 f. i.V.m. Art. 25 VerfO-EuGH). Die Zuweisung an den Vorberichterstatter durch den Präsidenten des EuGH und die Entscheidung der Generalversammlung nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens, die Rechtssache einem bestimmten Spruchkörper zuzuteilen, sind mit dem deutschen (Recht auf den) gesetzlichen Richter nach Art. 101 I 2 GG schwer zu vereinbaren. So muss in den deutschen Gerichtsbarkeiten bei Eingang der Rechtssache ohne Ansehung ihres konkreten Gegenstandes oder der Beteiligten anhand von abstrakt-generellen Kriterien bereits feststehen, welcher Spruchkörper die Rechtssache entscheiden wird. Damit soll unsachlichen Manipulationsversuchen der Rechtsschutzsuchenden, aber auch anderer Staatsgewalten und der Judikative selbst vorgebeugt werden.[24] Freilich ist dieser Grundsatz für den GHEU nicht bindend; die Anwendbarkeit seiner Ratio auf den GHEU kann aber durchaus kontrovers diskutiert werden.[25]
III. Mündliches Verfahren
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Das mündliche Verfahren (Art. 20 IV GHEU-Satzung) dient den Beteiligten dazu, ihren Standpunkt zu den strittigen Sach- und Rechtsfragen noch einmal darzustellen und erfüllt insofern den Anspruch auf rechtliches Gehör. Daneben haben die beteiligten Richter und der Generalanwalt die Möglichkeit, klärungsbedürftige Fragen zu stellen. Auf das mündliche Verfahren kann, ebenso wie auf eine Beweisaufnahme, verzichtet werden.
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