Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht. Stefan Storr
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2. Eingriff
Durch die Süßigkeitswerbeverbotsverordnung ist Werbung verboten und damit in die Meinungsfreiheit eingegriffen.
3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs
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Die Meinungsfreiheit kann beschränkt werden, um anderen den Genuss von Rechten oder die Erreichung bestimmter Gemeinwohlziele zu ermöglichen. Es gelten der Gesetzesvorbehalt und die Wesensgehaltsgarantie (Art. 52 Abs. 1 S. 1 GRC) sowie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wonach Einschränkungen nur vorgenommen werden dürfen, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen (Art. 52 Abs. 1 S. 2 GRC). Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen der Unionsorgane erkennt der EuGH diesen einen nicht unerheblichen Beurteilungsspielraum zu. Gerade bei gesetzgeberischen Entscheidungen in komplexen Regelungsbereichen soll es nur die Aufgabe des Gerichtshofes sein, zu prüfen, „ob den Organen beim Treffen einer solchen Entscheidung ein offensichtlicher Irrtum oder Ermessensmissbrauch unterlaufen ist oder ob sie die Grenzen ihres Spielraums offensichtlich überschritten haben“.[16]
GA Fenelly hat im Fall „Tabakwerbeverbot“ vorgeschlagen, der Rechtsprechung des EGMR zu folgen, der normalerweise verlangt, dass die Vertragsstaaten einen überzeugenden Beweis eines dringenden sozialen Erfordernisses für eine Beschränkung der Meinungsfreiheit beibringen müssen.[17] Dagegen werden Beschränkungen wirtschaftlicher Informationen als gerechtfertigt anerkannt, wenn die zuständigen Behörden die Beschränkungen aus vernünftigen Gründen für erforderlich halten.[18] Eine solche unterschiedliche Behandlung kann damit gerechtfertigt werden, dass Informationen wirtschaftlicher Natur und (etwa) politische Meinungsäußerungen mit dem Allgemeininteresse in unterschiedlicher Weise in Beziehung stehen. Während die politische Meinungsäußerung selbst außerordentlich wichtigen gesellschaftlichen Interessen dient, haben Informationen wirtschaftlicher Natur normalerweise keine weitere soziale Funktion als ihre Rolle, die Wirtschaftstätigkeit zu fördern, weshalb dem Gesetzgeber auch ein weites Ermessen zukommen kann, um Beschränkungen im Allgemeininteresse zu verhängen.[19]
Der Gesundheitsschutz ist einer der Gründe, den Art. 10 Abs. 2 EMRK als Beschränkung der Meinungsfreiheit zulässt. Ferner kommt dem Gesundheitsschutz in Art. 36 AEUV sowie in den eigenen Politiken der Union nach Art. 6 S. 2 lit. a AEUV, Art. 9 AEUV, Art. 114 Abs. 3 AEUV und Art. 168 AEUV eine herausragende Bedeutung zu. Angesichts der erheblichen Rolle des Süßigkeitenkonsums als Erkrankungsfaktor und als Ursache vielfältiger Gesundheitsprobleme in der Union wäre ein möglicher Rückgang des Süßigkeitenkonsums ein großer Gewinn für die allgemeine Gesundheit.
Die Beschränkung der Meinungsfreiheit beruht aber auf einer Verordnung die – wie ausgeführt – nicht den Binnenmarktzielen entspricht.
4. Ergebnis
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Ein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit liegt somit vor.
III. Unternehmerische Freiheit
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Die unternehmerische Freiheit ist nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten gewährleistet (Art. 16 GRC). Der EuGH hat schon vor Inkraftsetzung der Grundrechte-Charta die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit als allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts anerkannt.[20]
Die unternehmerische Freiheit kann jedoch keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen und muss im Hinblick auf ihre soziale Funktion gesehen werden. Zwar kann der Schutz der Wirtschaftsteilnehmer keinesfalls auf bloße kaufmännische Interessen oder Chancen ausgedehnt werden, deren Ungewissheit zum Wesen wirtschaftlicher Tätigkeit gehört,[21] doch kann die unternehmerische Freiheit Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Union entsprechen und keinen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet (Art. 52 GRC).
Allein auf das hohe Schutzgut der Gesundheit bezogen erscheint ein umfassendes Süßigkeitenwerbeverbot nicht unverhältnismäßig. Zu berücksichtigen ist aber auch, dass die Verordnung keine Beschränkungen auferlegt, die den Binnenmarktzielen entsprechen. Daher kann ein Verstoß gegen die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit insoweit angenommen werden.
IV. Eigentumsgarantie
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Die Eigentumsgarantie ist durch Art. 17 GRC gewährleistet. Hierzu zählt auch der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb.[22] Das Eigentum ist nicht schrankenlos gewährleistet, weil es im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen werden muss. Eigentum kann durch Enteignung entzogen werden und seine Nutzung kann nach Maßgabe des Art. 17 Abs. 1 S. 3 GRC gesetzlich geregelt werden, soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist. Auch hier kann auf die angestellten Überlegungen verwiesen werden. Da die Verordnung nicht den Binnenmarktzielen entspricht, liegt eine unzulässige Beschränkung der Eigentumsgarantie vor.
C. Ergebnis
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Die Süßigkeitenwerbeverbotsverordnung ist insgesamt nichtig.
Frage 2
In Betracht kommt eine Verletzung der Warenverkehrsfreiheit, soweit die Produzenten von Süßigkeiten und Presseunternehmen betroffen sind. Werbeagenturen und Rundfunkunternehmen können in ihrer Dienstleistungsfreiheit betroffen sein.
A. Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit, Art. 34 AEUV
Es könnte ein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit vorliegen, soweit Süßigkeiten oder Medien zur Werbung für Süßigkeiten durch das Süßigkeitenwerbeverbot betroffen sind.
I. Schutzbereich
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Waren iSd Art. 34 AEUV sind Erzeugnisse, die einen Geldwert haben und deshalb Gegenstand von Handelserzeugnissen sein können.[23] Sowohl Süßigkeiten als auch Presseartikel sind daher Waren iSd Art. 34 AEUV.
Auch der persönliche Schutzbereich ist eröffnet: Auf Art. 34 AEUV kann sich jede Person oder jedes Unternehmen berufen, das ein Interesse an der Durchsetzung der Warenverkehrsfreiheit hat, insbesondere weil es Waren herstellt, vertreibt, kauft oder verkauft.
Es ist davon auszugehen, dass diese Waren im grenzüberschreitenden Verkehr angeboten und nachgefragt werden. Das gilt insbesondere auch für Presseartikel im Verkehr mit gleichsprachigem Ausland.
II. Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit
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Eine