Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht. Stefan Storr
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Das nationale Süßigkeitenwerbeverbot ist zunächst eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit, weil Presseerzeugnisse mit Werbung für Süßigkeiten nicht mehr vertrieben werden dürfen. Ferner wird auch in die Warenverkehrsfreiheit der Produzenten von Süßigkeiten eingegriffen, weil ein Werbeverbot absatzhindernde Wirkung hat.
Dieser weite Ansatz der „Dassonville-Formel“ bedarf aber einer tatbestandsmäßigen Reduktion. Denn tatsächlich führt die „Dassonville-Formel“ dazu, dass praktisch alle wirtschaftslenkenden Gesetze marktbeschränkende Wirkung haben. In der Entscheidung „Keck“ hat der EuGH das umfassende Beschränkungsverbot daher erheblich modifiziert: Nationale Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, sollen nicht geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne des Urteils „Dassonville“ unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren. Denn sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist die Anwendung derartiger Regelungen auf den Verkauf von Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedsstaat, die den von diesem Staat aufgestellten Bestimmungen entsprechen, nicht geeignet, den Marktzugang für diese Erzeugnisse zu versperren oder stärker zu behindern, als dies für inländische Erzeugnisse der Fall ist. Diese Regelungen fallen dann nicht in den Anwendungsbereich des Art. 34 AEUV.[26]
Demnach müsste das Süßigkeitenwerbeverbot eine Verkaufsmodalität darstellen und unterschiedslos für inländische und ausländische Unternehmer gelten. Hier ist nicht davon auszugehen, dass lediglich eine Verkaufsmodalität vorliegt. Zwar gilt das Süßigkeitenwerbeverbot unterschiedslos für inländische wie ausländische Unternehmer; einem Produzenten aber, der ein Produkt in einen nationalen Markt neu einführen will, stehen wegen des Werbeverbots kaum Möglichkeiten offen, potentielle Kunden auf sein Produkt aufmerksam zu machen. Dies geht insbesondere zu Lasten von Produzenten aus anderen Mitgliedstaaten, eben weil regelmäßig heimische Unternehmen auf dem inländischen Markt bereits etabliert sind, und es meistens ausländische Unternehmen sind, die versuchen werden, als Neueinsteiger auf dem Markt eines Mitgliedstaats Marktanteile zu erringen. Darin unterscheidet sich das absolute Werbeverbot von Verkaufsmodalitäten: Die Verbrauchergewohnheiten werden zementiert und der Marktzugang deshalb erschwert.[27]
Dafür, dass ein absolutes Werbeverbot für Süßigkeiten den Marktzugang betrifft, spricht ferner, dass gerade bei Erzeugnissen wie Süßigkeiten der Genuss mit herkömmlichen gesellschaftlichen Übungen sowie örtlichen Sitten und Gebräuchen verbunden ist, mit denen inländische Produzenten besser vertraut sind als ausländische.[28]
Das Werbeverbot hat daher unterschiedliche Auswirkungen auf den Absatz inländischer Erzeugnisse und Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten. Es liegt eine Marktzugangsregel vor. Von einer Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit ist somit auszugehen.
III. Rechtfertigung der Beschränkung
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Diese Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit kann gerechtfertigt sein.[29] Einerseits ist Art. 36 AEUV eine „Schranken-Schranke“ für diskriminierende Maßnahmen – Art. 36 AEUV lässt Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen zu –, andererseits hat der EuGH in „Cassis de Dijon“[30] entschieden, dass Hemmnisse für den Binnenhandel der Union, die sich aus den Unterschieden der nationalen Regelungen über die Vermarktung dieser Erzeugnisse ergeben, hingenommen werden müssen, soweit diese Beeinträchtigungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden, insbesondere den Erfordernissen einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes.
Die Maßnahme muss geeignet und angemessen sein. Sie darf weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen (Art. 36 S. 2 AEUV). Das Süßigkeitenwerbeverbot ist freilich geeignet, den Gesundheitsschutz zu fördern; es trägt zum Kampf gegen Krankheiten bei. Nichts deutet darauf hin, dass die Gründe des Gesundheitsschutzes missbraucht und zur Diskriminierung von Waren aus anderen Mitgliedstaaten oder zum mittelbaren Schutz bestimmter nationaler Produktionen verwendet werden. Das nationale Süßigkeitenwerbeverbotsgesetz würde daher nicht gegen die Warenverkehrsfreiheit verstoßen.
B. Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV
Ein Verstoß gegen den freien Dienstleistungsverkehr könnte in der Beschränkung der Tätigkeit von Werbeagenturen, Presseunternehmen und Rundfunkunternehmen liegen.
I. Schutzbereich
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Dienstleistungen im Sinne von Art. 56 AEUV[31] sind Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und die Freizügigkeit der Personen unterliegen (Art. 57 AEUV). Damit ist die Tätigkeit der Werbeagenturen eine Dienstleistung. Auch das Zurverfügungstellen von Anzeigenraum durch die Presse kann eine Dienstleistung darstellen.[32] Schließlich ist auch Rundfunk eine Dienstleistung.[33]
Der persönliche Anwendungsbereich ist ebenfalls eröffnet.
II. Beschränkung
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Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Dienstleistungen im grenzüberschreitenden Verkehr angeboten und nachgefragt werden.
Dabei ist die Dienstleistungsfreiheit nicht nur auf den grenzüberschreitenden Export von Dienstleistungen beschränkt, sondern kann auch auf die grenzüberschreitende Nachfrage bezogen sein. So kann die Dienstleistungsfreiheit dadurch beschränkt werden, dass ein Mitgliedstaat das Recht der im Gebiet dieses Mitgliedstaats niedergelassenen Presseunternehmen beeinträchtigt, möglichen Inserenten, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind, Anzeigenraum in ihren Veröffentlichungen anzubieten. Das gilt insbesondere – aber nicht nur – im Verkehr mit dem gleichsprachigen Ausland. Folglich betrifft das nationale Gesetz die aktive und die passive Dienstleistungsfreiheit.
III. Rechtfertigung der Beschränkung
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Eine derartige Beschränkung kann auch hier mit dem Gesundheitsschutz gerechtfertigt werden, Art. 62 AEUV iVm Art. 52 Abs. 1 AEUV. Insoweit kann auf die Prüfung zur Warenverkehrsfreiheit verwiesen werden.
C. Ergebnis
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Die Warenverkehrsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit werden beeinträchtigt, die Beeinträchtigung ist aber gerechtfertigt.
Anmerkungen
EuGH v. 12.12.2006, Rs. C-380/03 – „Tabakwerbe-Richtlinie II“, Rn 80.