Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz / Verwaltungszustellungsgesetz. Eva-Maria Kremer

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Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz / Verwaltungszustellungsgesetz - Eva-Maria Kremer Heidelberger Kommentar

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style="font-size:15px;">      Für die Finanzbehörden ist das Ermessen in § 5 AO im Zusammenhang mit der „Kann“-Bestimmung des § 328 Abs. 1 AO definiert. Sie entscheiden also ebenso nach pflichtgemäßem Ermessen über den Verwaltungszwang (BFH U 6.11.2012 – VII R 72/11, BFHE 239, 15 – BStBl. II 2013, 141).

      Daraus folgt, dass die Behörde auch ein bereits eingeleitetes Verwaltungszwangsverfahren in jedem Stadium des Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahrens einstellen sowie insgesamt von einem zulässigen Vollzug absehen kann. Es gibt für sie also keinen Automatismus und Zugzwang.

      „Das Prinzip des Rechtsstaates fordert, dass der einzelne wissen muss, inwieweit die Verwaltung in seinen Rechtskreis eingreifen darf. Es fordert aber weder, dass der Gesetzgeber die Verwaltung bindet, den möglichen Eingriff immer zu vollziehen, noch dass der Gesetzgeber tatbestandsmäßig genau umreißt, wann die Verwaltung von einem zulässigen, nach Tatbestand und Folge eindeutig geregelten Eingriff Abstand nehmen darf.“

      So lautet der Leitsatz folgender Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: BVerfG B 3.2.1959 – 2 BvL 10/56, BVerfGE 9, 137, 147–149 = NJW 1959, 931 = DVBl. 1959, 326 = DÖV 1959, 302 = VerwRspr. 12, 15.

      Insoweit ist der Aussage von Rudolph zuzustimmen (S. 25): Eine gesetzliche Verpflichtung zum Vollzug wäre auch rechtspolitisch verfehlt. Denn das Ansehen der Verwaltung in der Öffentlichkeit und damit die Bereitschaft zur freiwilligen Befolgung hoheitlich auferlegter Pflichten seitens der Bürger kann durch Verhandlungs- und Verständigungsbereitschaft der Behörden eher gefördert werden als durch die Brechung des entgegenstehenden Willens mit Zwangsmaßnahmen. Die Behörde würde aber natürlich unglaubwürdig werden, wenn sie ohne besondere Gründe von dem Vollzug absehen sollte.

      Allerdings kann es Ausnahmefälle geben, in denen das Ermessen reduziert und auf „Null“ geschrumpft ist. Hier ist „nur eine einzige ermessensfehlerfreie Entschließung, nämlich die zum Einschreiten, denkbar“ (BVerwG U 18.8.1960 – 1 C 42/59, BVerwGE 11, 95, 97 = NJW 1961, 793 = DVBl. 1961, 125 = BBauBl. 1961, 24 = ZMR 1961, 181 = BayVBl. 1961, 53 = VerwRspr. 13, 180 = BRS 12 S. 174). Dann ist die Behörde verpflichtet, ein Verwaltungszwangsverfahren durchzuführen (vgl. OVG Münster B 8.2.1995 – 20 B 73/95, NVwZ-RR 1996, 182 = NWVBl. 1995, 260). Eine Ermessensreduzierung auf Null kann sowohl das Entschließungsermessen, ob ein Verwaltungszwangsverfahren durchzuführen ist, als auch das Auswahlermessen, in welcher Weise zu vollstrecken ist, betreffen.

      Sollten jedoch spezialgesetzliche Vorschriften die Durchsetzung eines Verwaltungsaktes zwingend anordnen, muss die Behörde das Verwaltungszwangsverfahren durchführen. Das ist z.B. gemäß § 5 des EG-Verbraucherschutzdurchsetzungsgesetzes, § 30 Abs. 2 des Infektionsschutzgesetzes, § 41 Abs. 3, 4 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches, § 16a des Tierschutzgesetzes, § 2 Abs. 1 S. 1 des Katzen- und Hundefell-Einfuhr-Verbotsgesetzes, § 3 des Luftsicherheitsgesetzes, § 15 Abs. 4 des Versammlungsgesetzes, § 34a des Asylgesetzes und § 58 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes der Fall. Diese gesetzlich vorgeschriebene Handlungspflicht ergibt sich aus dem Legalitätsprinzip.

      Zwischen den reinen Ermessensvorschriften, nach denen die Vollstreckungsbehörde einen Verwaltungsakt durchsetzen kann, und den gebundenen Vorschriften, nach denen die Vollstreckungsbehörde einen Verwaltungsakt durchsetzen muss, liegen die sog. Soll-Vorschriften. Ein Beispiel bildet § 57 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes. Hiernach soll ein Ausländer, der in Verbindung mit der unerlaubten Einreise über eine Außengrenze aufgegriffen wird, zurückgeschoben werden. Derartige „Soll-Vorschriften“ verpflichten die Behörde im Regelfall, das Gesollte zu tun, lassen ihr in besonders gelagerten Ausnahmefällen (atypische Fällen) aber die Möglichkeit, von der Norm abzugehen. (Zu den „Soll-Vorschriften“ siehe im Einzelnen die Kommentierungen zu § 40 VwVfG.)

      Sofern der Verwaltungszwang die Wohnung des Verantwortlichen erfasst, ist auf Art. 13 Abs. 7 GG hinzuweisen; dort heißt es u.a.: „Eingriffe und Beschränkungen dürfen im Übrigen nur zur (...) Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere (...) zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.“ Hierbei handelt es sich nicht um Durchsuchungen. Der Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG gilt also nicht.

      Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung steht nach dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts erforderlichen Vollstreckungsmaßnahmen nicht entgegen (U 15.12.1983 – 1 BvR 209/83, BVerfGE 65, 1, 43, 44, 70, 71 = EuGRZ 1983, 577, 596 = NJW 1984, 419, 428 = DVBl. 1984, 128, 136). Im Bereich der Gefahrenabwehr muss es hier Ausnahmen geben (Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Rn. 179). Das gilt zum Beispiel bei Fahruntauglichkeit eines Kraftfahrers (BVerwG U 15.4.1988 – 7 C 100/86, NJW 1988, 1863 = DAR 1988, 247 = NZV 1988, 79 = VerkMitt. 1988, 82 = VRS 75, 133; VGH Mannheim U 14.9.2004 – 10 S 1283/04, NJW 2005, 234). Insoweit hat die Polizei gemäß § 2 Abs. 12 StVG eine Meldepflicht gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde.

      Hieraus ergibt sich: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist nicht schrankenlos gewährleistet. Der einzelne Bürger hat kein Recht im Sinne einer absoluten uneinschränkbaren Herrschaft über „seine“ Daten. Jenseits des unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung (vgl. hierzu BVerfGE 27, 344 [350 f.]; 120, 274 [335]; 130, 1 [22]; 141, 220 [276 Rn. 120, 278 Rn. 124]) kann es auf der Grundlage eines Gesetzes beschränkt werden, sofern dies im überwiegenden Allgemeininteresse liegt, sich Voraussetzungen und Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar aus dem Gesetz ergeben und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist (vgl. BVerfG U 15.12.1983 – 1 BvR 209/83 (ua), BVerfGE 65, 1, 44; BVerfG U 20.4.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09, 141, 220, 264 f). Hierzu jüngst BVerfG U 19.9.2018 – 2 BvF 1/15 –, juris Rn. 220 [Zensus 2011].)

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      Das Einschreiten der Aufsichtsbehörde gegen einen selbstständigen Verwaltungsträger durch Zwang ist kein Verwaltungszwang im Sinne des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes. Dabei handelt es sich um einen Sonderfall der Staatsaufsicht (Forsthoff, S. 290).

      Nach geltendem Recht ist die insoweit vorgesehene Ersatzvornahme durch die Aufsichtsbehörde allein deren Selbsteintritt. Dieser leitet sich aus den klassischen Aufsichtsrechten: Informationsrecht, Weisungsrecht und Eintrittsrecht her. Zum Selbsteintritt kann die Aufsichtsbehörde greifen, wenn die nachgeordnete Behörde eine ihr als Pflicht übertragene Auftragsangelegenheit nicht erfüllt. Das kann zum Beispiel im Baurecht der Fall sein (BVerfG B 29.5.2007 – 2 BvR 695/07, BVerfGK 11, 241 = NVwZ 2007, 1176 = LKV 2007, 509; BVerwG U 17.9.2003 – 4 CN 14/01, BVerwGE 119, 25, 43–45 = UPR 2004, 452).

      Auch die kommunalaufsichtliche Ersatzvornahme gegenüber einer Gemeinde (vgl. z.B. § 13 des Berliner Allgemeinen Zuständigkeitsgesetzes, § 116 der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg oder § 123 Abs. 2 Gemeindeordnung NRW) ist also keine Ersatzvornahme im Sinne des § 10 und des zulässigen Vollzugs gegen eine Behörde nach § 17 des Gesetzes. – Daher wird sie dort auch nicht behandelt. Gleiches gilt für das Vollstreckungsrecht der Länder (OVG Münster B 22.8.2007 – 15 B 1328/07, NVwZ-RR 2008, 50). Hierzu Kleerbaum/Palmen/Buttler, Gemeindeordnung NRW. Kommentar für die kommunale Praxis, 2008, Erl. III. 1. zu § 123 GO NRW; Maurer/Waldhoff, § 23 Rn. 26; Waldhoff, § 46 Rn. 102.

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