Der Tod setzt Segel. Robin Stevens
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Читать онлайн книгу Der Tod setzt Segel - Robin Stevens страница 6
»Nichts weiter«, antwortete Daisy. »Vergiss es.«
Das Flugzeug, das über den Asphalt getuckert war, schoss unerwartet vorwärts und stieß ein Heulen aus, das sich zu einem schrillen Kreischen entwickelte, was mir durch und durch ging. Keuchend klammerte ich mich an Daisys Hand, während wir rüttelnd in die Höhe stiegen. Mit einem abhebenden Vogel hatte das nun wirklich nichts gemeinsam, dachte ich bei mir, als das Flugzeug über das Nichts hopste und mein Magen gleich mitmachte.
»Ich glaube, Fliegen hasse ich fast so sehr wie Schiffe«, sagte ich durch klappernde Zähne und kniff die Augen fest zu. Amina warf den Kopf in den Nacken und lachte.
»Unfug, Watson«, sagte Daisy, die sich über mich beugte. »Oh, sieh nur, wie klein alles ist! Als wären wir Riesen. Ich glaube, ich könnte dort hinuntergreifen und das Haus da hochheben. Als würde man mit der Welt Puppe spielen.«
Es hätte mich nicht überraschen sollen, dass Daisy den Ausblick so genoss, nur konnte ich leider nur daran denken, wie sehr er mir missfiel. Die Luft roch irgendwie falsch so weit oben und in meinen Ohren knackte es.
»Weißt du …«, sagte Daisy, »wenn du sowieso nicht aus dem Fenster schauen willst, können wir dann den Platz tauschen?«
Durch ihr Hochgefühl vergaß sie sogar, Amina die kalte Schulter zu zeigen, und unterhielt sich den ganzen Flug über mit ihr, bis wir in Marseille aufsetzten – und das war der Moment, in dem mir bewusst wurde, welche Schrecken vor mir lagen. Auf und ab holperten wir: Marseille, Rom, Brindisi, Athen (wo wir in einem wunderschönen Hotel übernachteten, das einem Freund von Aminas Vater gehörte, und wo Daisy sich als amerikanische Erbin ausgab), Alexandria (unter uns das Mittelmeer, unglaublich klein, nachdem wir im Lateinunterricht so viel davon gehört hatten) und zu guter Letzt, durchgerüttelt bis auf die Knochen, die Landung in Kairo.
Ich erinnerte mich an den Augenblick, als wir im Frühling in Hongkong eingelaufen waren, und begriff endlich, wie seltsam Daisy sich dabei gefühlt haben musste. Nun kam ich selbst in einer fremden Großstadt an und hatte den Eindruck, orientierungslos in einem kilometertiefen, tiefschwarzen Meer zu schwimmen. Kairo war mir fremd, sogar fremder als London. Doch dann richtete ich mich auf und rief mir in Erinnerung, dass ich es immerhin geschafft hatte, mich in England einzuleben, also würde ich es auch in Ägypten schaffen. Innerlich mochte ich nervös sein, doch das würde ich mir nicht anmerken lassen. Ich war nicht mehr dieselbe Hazel Wong wie früher.
Dann eilte Amina kreischend vor Freude durch die Menschenmassen und warf sich einem Mann an den Hals, den ich wiedererkannte.
»Wo bleiben deine Manieren, Habibti!«, sagte Mr El Maghrabi – allerdings merkte ich ihm an, dass es ihm eigentlich gar nichts ausmachte. Er strahlte seine Tochter an und Amina strahlte zurück.
»Entschuldige, Baba!«, sagte sie. »Baba, du erinnerst dich an Daisy Wells und Hazel Wong?«
»Willkommen in Kairo!« Mr El Maghrabi schüttelte uns die Hand. »Wir freuen uns sehr, Sie bei uns als Gäste begrüßen zu dürfen, nach dem, was Sie im Sommer für uns getan haben. In schā' Allāh werden Sie eine wundervolle Zeit hier verbringen. Sie sind unsere Gäste – sollten Sie irgendeinen Wunsch haben, brauchen Sie es nur zu sagen. Miss Beauvais wird sich um Sie kümmern – Miss Beauvais! Hier drüben!«
Er winkte einer kleinen Europäerin, die sich durch das Gedränge an Reisenden kämpfte. Sie hatte dünner werdendes, braunes Haar und wirkte reichlich missmutig. Als sie Amina sah, zog sie ein noch längeres Gesicht, beinahe, als würde sie mit dem Schlimmsten rechnen.
»Das ist Miss Beauvais. Sie ist Aminas Gouvernante und Amina wird sich ihr gegenüber während der Ferien höchst anständig benehmen – nicht wahr, Amoona?«
»Oh ja, Baba«, antwortete Amina und schenkte zuerst ihrem Vater, dann Miss Beauvais ihr breites, verschmitztes Lächeln. Die Gouvernante zog ein Taschentuch aus dem Ärmel und drückte es sich gegen die Stirn. »Wohin wollen wir zuerst?«
Das war der erste von mehreren Tagen, in denen wir durch Kairo wirbelten, die Sehenswürdigkeiten und Gerüche in uns aufsaugten. Hocherfreut stellte ich fest, dass der unfassbar schnelle Verkehr, die aufsteigenden Düfte des Essens auf den Straßen, die Rufe der Menschen, die sich entweder nicht ausstehen konnten oder aber beste Freunde waren, die spielenden Kinder und die räudigen Straßenhunde, die in den gewundenen, staubigen Nebengassen kläfften, Kairo zu einem Echo Hongkongs machten. Doch während Hongkongs Hitze feucht ist, sodass die Luft schwer und köstlich auf der Haut liegt, ist die Hitze Ägyptens so trocken wie Sand und Knochen. Kairos Gebäude sind ganz weiß, gelb und rosa, ein Viereck auf dem anderen, trockene Ziegel, die zu staubigem Schmutz zerfallen, aufeinandergestapelte Balkone mit plumpen kleinen Geländern und dahinter zierliche, elegante Minarette. Der Himmel über uns war blau, die Wedel der Palmen waren staubbedeckt, die Luft war erfüllt von Gebeten und Stimmen, die ich nicht verstand, und auf meiner Zunge wogen Gerüche, die ich nicht kannte. Es war wie Hongkong und gleichzeitig vollkommen anders.
Und allzeit und überall schwebte am Horizont das Wunder der Pyramiden.
»Stell dir nur vor!«, sagte Daisy zu mir. »Ich hätte nie gedacht, dass sie einfach so da sind. Als würde man auf eine Wiese laufen und neben einer Kuhherde einen Wal entdecken.«
Das war nicht ganz der Vergleich, den ich verwendet hätte, aber ich stimmte ihr zu. Die Pyramiden waren immer nur Geschichten in meinem Kopf gewesen – wie die Hängenden Gärten von Babylon – und plötzlich befanden sich diese Geschichten im Blickfeld am Ende einer Straße. Es gab mir das Gefühl, als könnte Ägypten unmöglich echt sein.
Doch dann sah ich, wie Amina – ungeachtet der verzweifelten Rufe von Miss Beauvais – aus unserem fahrenden Wagen kletterte, um für uns bei einem Straßenhändler Zuckerrohr zu kaufen, und begriff, dass mir ein Denkfehler unterlaufen war. Für sie war dies Alltag. Sie brachte uns in den Turf Club (dafür musste Miss Beauvais widerstrebend so tun, als wäre sie die Herrin und Amina ihre Dienerin, da Ägypter in diesem Club nicht geduldet waren), wo wir neben den Tennisplätzen ein Teekränzchen abhielten. Unser weiß gedeckter Tisch wurde von Bäumen beschattet und ächzte unter Obstbaiser, Schokotorten, Gewürzkuchen und Sahnegebäck. Wenn keiner der anderen Gäste hinsah, naschte Amina heimlich vom Kuchen und schüttelte sich vor unterdrücktem Kichern. Miss Beauvais lehnte derweil in ihrem Stuhl und ignorierte uns matt.
»Ich zwinge sie ziemlich oft dazu«, flüsterte Amina uns zu. »Miss Beauvais verbietet mir nie etwas. Sie hat schon auf meine großen Schwestern aufpassen müssen, daher ist ihr Kampfgeist inzwischen völlig gebrochen. Sie macht nie Ärger!«
»Aber warum kommst du hier her, wenn man Ägypter hier nicht mag?«, fragte ich und schaute mich um.
Amina schnaubte verächtlich. »Genau deswegen, Hazel – weil man es mir verbieten will! Immerhin ist das hier mein Zuhause. Warum sollte es denn nur den Europäern gut gehen?«
Wir besuchten das Ägyptische Museum (die Steinmauern waren herrlich kühl nach der staubigen Hitze von Kairos Straßen) und drückten staunend die Nase gegen die Glasvitrinen, in denen all die Pracht und das Gold Tutanchamuns lagen. An der Maske des jungen Königs konnte ich mich nicht sattsehen, sosehr bemühte ich mich, den wahren Menschen zu erkennen, der er unter all dem Prunk gewesen war. Bei seinem Tod war er nur wenige Jahre älter gewesen als wir. War er gern König gewesen oder war es ihm schwergefallen?
Daisy war natürlich viel mehr daran interessiert, die Schaukästen mit den ausgepackten Mumien zu besichtigen. Mit vor Neugier weit aufgerissenen Augen stand sie davor. Ich versuchte, mich neben sie zu stellen und zu sehen, was sie sah, doch meine Augen fingen vor Mitleid an zu brennen.