Wörterbuch zur Sicherheitspolitik. Ernst-Christoph Meier

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Wörterbuch zur Sicherheitspolitik - Ernst-Christoph Meier

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Verantwortungsbereich im Norden Afghanistans die Bundeswehr in ihren Kampfaufgaben bei der  Aufstandsbewältigung (Counter Insurgency), mit amerikanischer Unterstützung, gut bewährt habe. Zugleich wurde aus dem Kreis der im Süden und Osten Afghanistans härter belasteten Nationen kritisiert, bei militärisch robusten Einsätzen habe Deutschland lange Zeit seine Beiträge allzu sehr mit Vorbehalten (Caveats) eingeschränkt.

      Vor allem das Verhalten Deutschlands zum Vorgehen der Allianz in Libyen 2011 (Enthaltung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, Nichtteilnahme an den militärischen Operationen der NATO zur Durchsetzung einer Flugverbotszone) leistete den Zweifeln an Deutschlands politischer und militärischer Zuverlässigkeit weiteren Vorschub. Dies führte zu einer Diskussion in der sicherheitspolitischen Gemeinschaft (Strategic Community) Deutschlands. Während sich die Bundesregierung in ihrer »Kultur der militärischen Zurückhaltung« im Einklang mit dem mehrheitlichen Wunsch der Bevölkerung sah, Deutschland möge sich aus militärischen Auseinandersetzungen in Konfliktregionen heraushalten und sich auf die Mehrung seines Wohlstands durch Handel konzentrieren, mahnten die meisten führenden Persönlichkeiten und Experten der sicherheitspolitischen Gemeinschaft an, sich nicht von den engsten westlichen Verbündeten zu entfremden, keine Zweifel an der verlässlichen Bündnissolidarität Deutschlands aufkommen zu lassen und die Entwicklung europäischer Handlungsfähigkeit nicht zu gefährden.

      Diese in den USA, aber ebenso bei den wichtigsten europäischen Verbündeten (Großbritannien, Frankreich) kritische Perzeption Deutschlands erschwerten die in dieser Epoche nachdrücklich angestrebte Entwicklung einer eigenständigeren sicherheitspolitischen, auch militärischen Handlungsfähigkeit Europas. Die offenkundig großen Unterschiede zwischen den strategischen Kulturen in Paris, London und Berlin konterkarierten notwendige, gerade auch von Deutschland unterstützte oder selbst eingebrachte Initiativen, durch Zusammenlegung und gemeinschaftliche Nutzung von teuren und hochwertigen militärischen Kräften und Fähigkeiten (»Smart Defence«-Initiative der NATO; »Pooling and Sharing«-Initiative der EU/GSVP) Fortschritte in Richtung eines wirksameren und zugleich effizienteren europäischen Verteidigungsdispositivs zu machen. So blieb es einerseits bei der Tendenz, nationale Souveränität zu wahren und sich nicht in Abhängigkeit von politischen Entscheidungen von Partnern begeben zu wollen; interventionsbereite Verbündete wollten sich bei den operationsrelevanten Fähigkeiten nicht von deutscher Zurückhaltung abhängig machen. Andererseits erwiesen sich unter den europäischen Nationen nur noch Frankreich, Großbritannien und Deutschland wirtschaftlich und finanziell in der Lage, mit ihren jeweiligen Streitkräften ein breites Spektrum erforderlicher Fähigkeiten abzudecken; alle kleineren Nationen ließen ein Interesse erkennen, sich mit ihren begrenzten Kräften und Teilfähigkeiten an die größeren anzulehnen. Es zeigte sich im Kontext dieser praktischen Erfahrung im multinationalen Krisenmanagement im Rahmen von NATO-, EU- und VN-geführten Missionen, dass die von Deutschland favorisierte langfristige Vorstellung integrierter europäischer Streitkräfte, welche europäische Handlungsfähigkeit in der globalisierten Welt gewährleisten und zugleich den europäischen Pfeiler im transatlantischen Verbund stärken würden, auf absehbare Zeit nicht zu erwarten steht. Hierzu müssten zuerst die politischen Voraussetzungen geschaffen werden: sowohl eine Harmonisierung der sehr unterschiedlichen strategischen Denkrichtungen als auch die Bereitschaft zu Abstrichen bei den bisher nationalstaatlich souveränen Entscheidungsprozessen in der Außen- und Sicherheitspolitik.

      d. 2014–2018: Konstruktive Mitgestaltung von verstärkter Abschreckung und Bündnisverteidigung

      Im März 2014 löste die Aggression Russlands gegen die Ukraine einen bis heute anhaltenden Paradigmenwechsel in der NATO aus. Alle Verbündeten, und damit auch Deutschland, mussten sich in ihrer Bündnispolitik der von Grund auf veränderten neuen Lage einer potenziellen  Bedrohung durch Russland durch Rückbesinnung auf Abschreckung und Bündnisverteidigung als wichtigste Kernfunktion anpassen, ebenso wie den eher diffusen neuen  Herausforderungen an der südlichen Peripherie Europas.

      Mit dem überraschenden Wiederaufleben einer territorialen Bedrohung in Europa durch Russland sah sich die NATO zurückversetzt in die überwunden geglaubte Konfrontation des Kalten Krieges, und hierbei richteten sich die Erwartungen aller davon besonders betroffenen Nationen zum einen auf die USA, zum anderen auf Deutschland. Denn jedem der alten und der seit den 1990er-Jahren beigetretenen neuen Verbündeten war bewusst, dass kein anderes Land so von der Allianz profitiert hat wie Deutschland: Von 1955 bis 1989 standen in Deutschland amerikanische, britische, kanadische, belgische, niederländische Großverbände schon im Frieden permanent bereit, im Rahmen der Vorneverteidigung jeden Angriff auf die territoriale Integrität der Bundesrepublik und West-Berlins bis zum Äußersten abzuwehren, und im Ergebnis dieser Bereitschaft aller westlichen Nationen zur kollektiven Bündnisverteidigung kam der  Kalte Krieg 1990 zu einem für Deutschland äußerst glücklichen Ende. Jeder Verbündete hat dabei noch die Beiträge Deutschlands vor Augen, die es als konventionelles Rückgrat der kollektiven Bündnisverteidigung aufbrachte, als es um sein eigenes Überleben ging – 36 Kampfbrigaden des Feldheeres, eine moderne taktische Luftwaffe und eine die westliche Ostsee beherrschende Marine. In der Wahrnehmung der Verbündeten und auch der ehemaligen Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes galt die Bundeswehr lange als eine ins Positive gewandelte Nachfolgerin der gefürchteten, in ihrer militärischen Leistungsfähigkeit und Kampfkraft aber hoch respektierten Wehrmacht.

      Bereits im Februar 2014 hatten maßgebliche Vertreter Deutschlands (der damalige Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier, Verteidigungsministerin von der Leyen) auf der Münchner Sicherheitskonferenz erklärt, dass Deutschland zu mehr (auch militärischer) internationaler Verantwortung bereit sei. Diese Erklärung wurde bereits wenige Wochen später mit dem aggressiven Vorgehen Russlands gegen die Ukraine im März 2014 und der nachfolgenden völkerrechtswidrigen Annexion der Krim zum Lackmustest. Es ist daher verständlich, wenn sämtliche (insbesondere die osteuropäischen) Verbündeten seither davon ausgehen, dass Deutschland bereit ist, in einer aus dem Kalten Krieg stammenden Rolle als Rückgrat kollektiver Bündnisverteidigung gemeinsam mit den USA und Großbritannien den gleichen Schutz vor militärischer Machtausübung Russlands bereitzustellen, den es selbst von 1955 bis 1995 über alle Maßen genossen hat. So wurde der »Münchner Konsens« der Deutschen von Februar 2014, mehr Verantwortung zu übernehmen, allgemein verstanden und auch bestätigt: »I agree, it’s now pay-back time for Germany« (so auch Bundesministerin von der Leyen bei ihrem ersten Ministertreffen 2014).

      Auf dieser Basis des auch in den folgenden Jahren wiederholt bekräftigten »Münchner Konsenses« hat die von der »Großen Koalition« (CDU, CSU, SPD) getragene Bundesregierung den NATO-Paradigmenwechsel seit 2014 anerkannt konstruktiv mitgestaltet. Sie hat in führender Rolle an der Entwicklung der in Wales (2014), Warschau (2016) und Brüssel (2018) gebilligten Grundsatzkonzepte zur Wiederherstellung glaubwürdiger Abschreckung und gesicherter kollektiver Bündnisverteidigung (NATO Readiness Action Plan, NATO Defence Investment Pledge, NATO Political Guidance for Defence Planning 2015, Strengthened Deterrence and Defence Posture) maßgeblich mitgewirkt. Das Verteidigungsinvestitions-Versprechen (Zwei-Prozent-Ziel) hat Deutschland gemeinsam mit den USA als Kompromiss eingebracht und auf höchster Ebene mehrfach bekräftigt. Darüber hinaus hat Deutschland als eigene Initiative das NATO Framework Nations Concept durchgesetzt und sich damit als mehrfache Rahmennation und Anlehnungsmacht angeboten. Dies haben die meisten seiner Nachbarn dankbar aufgegriffen und sich damit im Vertrauen auf Deutschlands bündnispolitischer Zuverlässigkeit und Verantwortung auch von Deutschland abhängig gemacht. Diese Rahmennationrolle gilt in mehrfacher Hinsicht: für operative  Krisenmanagement-Einsätze (z. B. in Afghanistan im Sektor Nord); für die Entwicklung gemeinsamer Fähigkeiten und Kräfte (NATO Framework Nations Concept), für den multinationalen Gefechtsverband der NATO Enhanced Forward Presence in Litauen, für den NRF-Speerspitzenverband der NATO Very High Readiness Joint Task Force für die NATO-Gesamtverteidigung im rückwärtigen Operationsraum (NATO Joint Support and Enabling Command). Parallel zu diesen maßgeblichen NATO-Grundsatzkonzepten entwickelte die Bundesregierung mit dem Weißbuch 2016, der Konzeption der Bundeswehr und dem

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