Wörterbuch zur Sicherheitspolitik. Ernst-Christoph Meier

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Wörterbuch zur Sicherheitspolitik - Ernst-Christoph Meier

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Die baltischen Staaten und Polen, aber auch Finnland und Schweden und Norwegen als direkt an Russland angrenzende Länder sind in einer besonders exponierten und verwundbaren Lage. Geografisch, historisch und politisch liegt dieser Teil des Bündnisgebiets Deutschland als Ostsee-Anrainer besonders nahe. Es liegt deshalb in Deutschlands eigenem Interesse, im Schutz Nordosteuropas die deutsche Hauptaufgabe zu sehen und den Schwerpunkt der deutschen Verteidigungsanstrengungen hierauf zu legen. Der Mehrwert kampfkräftiger deutscher Verbände und hochwertiger Fähigkeiten, in Verbindung mit der zentralen Funktion als Transitland und logistischer Drehscheibe für ganz Europa in jeder Richtung, ist bei dieser Schwerpunktsetzung Deutschlands besonders hoch und die nächstliegende Möglichkeit effizienter strategischer Arbeitsteilung unter Verbündeten. Sie entspricht zudem der traditionellen Rolle, in der sich die deutschen Streitkräfte in der NATO seit jeher am erfolgreichsten bewährt haben und die über Jahrzehnte auch den größten Rückhalt in der deutschen Bevölkerung hatte: Friedenssicherung durch Abschreckung auf der Basis glaubwürdiger Verteidigungsfähigkeit bei gleichzeitiger Bereitschaft zu Dialog und Entspannung mit Russland.

      c. Militärische Unterstützung in Südosteuropa

      Auch für die Taylored Forward Presence der NATO in Südosteuropa und im Schwarzmeerraum sind anteilige Beiträge aller verbündeten Mitgliedstaaten, einschließlich Deutschlands, erforderlich, um auch dort eine glaubwürdige Abschreckung und wirksame Verteidigungsfähigkeit nachzuweisen. Deutschland kommt diesem Erfordernis durch Ausbildungsunterstützung und rotierende Übungsteilnahme deutscher Land-, Luft- und Seestreitkräfte nach.

      d. Schutz der europäischen Peripherie und weltweiter Handelswege

      Zugleich ist Deutschland nicht nur direkt oder indirekt von der russischen Bedrohung im Osten Europas betroffen und gefordert, sondern auch die in jüngster Zeit immer deutlicher werdende Machentfaltung Chinas im indopazifischen Raum und entlang der See- und Handelswege nach Europa erfordern von Deutschland eine angemessene Mitwirkung an Gegenmaßnahmen zur Bewahrung der internationalen regelbasierten Ordnung. Auch wenn China aus deutscher Sicht nicht wie Russland als Bedrohung gilt, so erscheint es dennoch erforderlich, seiner militärischen Machtentfaltung entgegenzuwirken. Neben politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen wird Deutschland im europäischen Verbund auch einen militärischen (vorwiegend maritimen) Beitrag leisten müssen, um die berechtigten Interessen gleichgesinnter demokratischer Partnernationen im indopazifischen Raum zu unterstützen und die eigenen europäischen Interessen gegenüber China zu schützen. Für die USA ist parteiübergreifend klar, dass ihr Fokus in zunehmendem Maße nicht mehr auf dem Schutz Europas, sondern auf der Systemrivalität mit China und dem indopazifischen Raum liegen muss. Die europäischen Verbündeten können sich zwar weiterhin auf einen substanziellen Beitrag der USA zum Schutz Europas verlassen, und die USA werden noch auf lange Zeit die weltweit führende Land-, Luft-, See-, Raum- und Nuklearmacht bleiben. Aber die Europäer können nicht mehr darauf zählen, dass die USA beim Schutz Europas unkonditioniert die Hauptlast tragen. Seit Trump, und wohl auch unter Biden, gilt, dass die Europäer zum einen sehr viel mehr selbst zu ihrer Verteidigung in Europa und für ihre militärische Handlungsfähigkeit in Krisen an der europäischen Peripherie aufbringen müssen. Zum anderen erwarten die USA verständlicherweise, dass – im Gegenzug zu fortgesetzter amerikanischer Bündnissolidarität und militärischer Präsenz in Europa – die europäischen Verbündeten an der Seite der USA stehen, wo diese auf europäische Solidarität angewiesen sind – nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit China.

      Deutsche Bündnispolitik im Zeichen geopolitischer Bedrohungen und Herausforderungen

      Für die deutsche Bündnispolitik folgt aus dieser veränderten geopolitischen Weltlage, dass sich Deutschland in ganz ungewohnter Weise mit Geopolitik befassen und Sicherheits- und Verteidigungspolitik, anders als bisher, als Politikfeldern eine deutlich höhere Priorität einräumen muss.

      Unbestreitbar klar ist, dass auf absehbare Zeit Europa weiterhin auf den Schutz der USA und damit auf den transatlantischen Verbund angewiesen bleibt. Aber es darf nicht in die alte Mentalität vor Trump zurückfallen, sondern muss das eigene Schicksal stärker selbst in die Hand nehmen, d. h. gemeinsam eine europäische sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit und die dafür nötigen Strukturen, Prozesse, Kräfte und Fähigkeiten entwickeln – auch und besonders im verteidigungspolitischen und militärischen Bereich.

      Für Deutschland bedeutet dies: Es muss einen seinem politischen und wirtschaftlichen Gewicht entsprechenden Verteidigungsbeitrag für den Schutz NATO-Europas leisten; es muss seine Bündnisverpflichtungen erfüllen und seine Bündnis- und Verteidigungspolitik der neuen geopolitischen Realität anpassen. Im Kern kommt es auf drei Punkte an:

      1.Der Schwerpunkt der deutschen Verteidigungspolitik und die Ausrichtung des deutschen Verteidigungsdispositivs muss in der Wiederherstellung glaubwürdiger Abschreckungs- und Bündnisverteidigungsfähigkeit der NATO gegenüber der seit 2014 wiederaufgekommenen Bedrohung durch Russland liegen. Hierbei werden die deutschen Streitkräfte in erster Linie zum Schutz Nordosteuropas, in zweiter Linie Südosteuropas benötigt.

      2.Zugleich bleibt es weiterhin erforderlich, zur Wahrung von Frieden, Sicherheit und Wohlstand an Europas Peripherie an komplexen zivil-militärischen Stabilisierungsmissionen, vorzugsweise unter Führung der EU mit der NATO in unterstützender Rolle, teilzunehmen.

      3.Darüber hinaus wird Deutschland eine China-Politik entwickeln müssen, bei der es gegenüber China sichtbar für die internationale regelbasierte Ordnung eintritt und u. a. das deutsche Interesse an freien See- und Handelswegen im europäischen Verbund und an der Seite der USA und der pazifischen Partnernationen mit begrenzten militärischen Aktivitäten, vorwiegend maritimer Art, als Ausdruck politischer Solidarität sichtbar demonstriert.

      Bei der Anpassung des deutschen Verteidigungsdispositivs an die neuen Realitäten kann es in der Gesamtschau daher weder um eine bloße Rückkehr zum erfolgreichen Verteidigungsdispositivs des Kalten Krieges gehen, noch um ein bloßes Weiter-so auf Basis des auf zivil-militärische Stabilisierungsmissionen gerichteten »Vernetzten Ansatzes« (comprehensive approach) in »out of area«-Einsätzen der letzten Jahrzehnte, mit lediglich robusteren, in Richtung hochintensive Konfliktaustragung nachgebesserten Mitteln. Vielmehr bedarf es einer vollständigen Neugestaltung des deutschen Verteidigungsdispositivs. Dieses muss:

      a.die eingetretenen geopolitischen und strategischen Veränderungen vollumfänglich berücksichtigen;

      b.sich am anspruchsvollsten Kriegsbild orientieren (glaubwürdige Abschreckung und kollektive Bündnisverteidigung gegen einen nahezu gleichwertigen Gegner, hochintensive militärische Land-, Luft- und Seekriegsoperationen);

      c.zugleich ermöglichen, in Friedenszeiten weiterhin angemessene Beiträge zu Stabilisierungsmissionen zu leisten;

      d.die sicherheitspolitischen Implikationen der Machtentfaltung Chinas angemessen einbeziehen (Resilienz in Europa, Beiträge zur maritimen Präsenz zum Schutz der europäischen Peripherie und von Seewegen in den indopazifischen Raum, solidarische Unterstützung von westlich-demokratischen Partnernationen in der indopazifischen Region).

      Mit einer solchen ausgewogenen Positionierung – in der NATO Rückgrat kollektiver Bündnisverteidigung in Europa mit Schwerpunkt Nordosteuropa, mit der EU weiterhin Beiträge zu zivil-militärischer Stabilisierung von Europas südlicher Peripherie, gemeinsam mit Frankreich, Großbritannien und an der Seite der USA eine begrenzte maritime Präsenz auch im indopazifischen Raum – kann Deutschland einen seinem politischen und wirtschaftlichen Gewicht entsprechenden Verteidigungsbeitrag leisten. Im Gegenzug für die damit einhergehende Entlastung der USA in Europa würde Deutschland erwarten können, dass die USA und ihre pazifischen Verbündeten der Herausforderung Chinas erfolgreich begegnen und damit indirekt auch deutsche Interessen schützen, ohne dass es dazu in dieser Region massiver deutscher Präsenz und Mitwirkung bedarf.

      Ohne

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