Kommunikationswissenschaft. Roland Burkart

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Kommunikationswissenschaft - Roland Burkart

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Kultur – mit jeweils unterschiedlichen funktionalen Zuständigkeiten:

      •Im politischen System steht die Ausübung von Macht zur Steuerung der Gesellschaft im Mittelpunkt. Dazu bedarf es der Durchsetzung allgemein verbindlicher Entscheidungen.

      •Das wirtschaftliche System reguliert die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. Dazu sind Marktgesetze und Wettbewerbsregeln nötig. Es geht um die Definition von Berufen, um die Festlegung von Warenmerkmalen sowie um „den Umgang mit Geld“ (Saxer 2012a: 68).

      •Das kulturelle System ist schließlich mit den Institutionen Erziehung, Kunst und Religion für die gesellschaftliche Bereitstellung von Sinn zuständig.

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      Abb. 16: Welt-(Medien-)Gesellschaft als System (nach Saxer 2002 und 2012a: 67); eigene, leicht modifizierte Darstellung

      Bei der Wahrnehmung dieser funktionalen Zuständigkeiten bedürfen die Funktionssysteme allerdings „der Publizität, die das Mediensystem zuteilt“ (Saxer 2012a: 67). Das Objekt des Mediensystems ist daher die Publizität, sie „begründet die gesellschaftliche Funktionalität von Medienkommunikation am unmittelbarsten, generiert Öffentlichkeit in großem Stil“ (Saxer 2012a: 255).

      Saxer sieht diese Systeme eingebettet in eine Mediengesellschaft und meint damit Gesellschaften, in denen die „über technische Hilfsmittel realisierte Bedeutungsvermittlung“ (Saxer 1998: 53) zu einem „sozialen Totalphänomen“ (ebd.) geworden ist, das in vielen Teilen der Erde praktisch alle Sphären gesellschaftlicher Existenz durchdrungen hat. Deshalb gerät auch die Weltgesellschaft in den Blick, weil mit der Ausbreitung von Mediengesellschaften die „Beteiligung aller an einer gemeinsamen Realität“ (Luhmann 1981: 320) – oder besser: die „Erzeugung einer solchen Unterstellung“ (ebd.) – in greifbare Nähe rückt.20

      Bis gegen Ende des 20. Jhdts. waren es allerdings vornehmlich Akteure aus der Gruppe der Sprecher·innen und der Vermittler·innen, (also in der Regel einschlägig professionell tätige Expert·innen wie Unternehmenssprecher·innen, Politiker·innen, Journalist·innen, Wissenschaftler·innen etc.) die sich via Massenkommunikation öffentlich äußern konnten, jedoch (abgesehen von Leserbriefschreiber·innen) kaum jemand aus der Gruppe des Publikums.

      Doch dies ist längst anders. Das interessierte Publikum muss sich nicht mehr darauf beschränken, „am publik Gemachten“ (Kob 1978: 395) mehr oder weniger passiv teilzuhaben – im Gegenteil: Die Bedingungen der neuen Onlinekommunikation machen „öffentliche Aufmerksamkeit als Jedermannsgratifikation“ (Saxer 2012a: 219) möglich. Die technischen, ökonomischen, kognitiven und rechtlichen Barrieren für das Publizieren sind viel niedriger geworden, prinzipiell „kann nun jeder ohne allzu großen Aufwand publizieren“ (Neuberger 2008: 51). Wir scheinen also der Vision schon recht nahe gekommen zu sein, die der Dramatiker Bertold Brecht in den 1930er Jahren anlässlich der Ausbreitung des Radios in seinem „Vorschlag zur Umfunktionierung des Rundfunks“ äußerte:

      „Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, d. h. er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen“ (Brecht 1931/32: 147).

      Bald nach der Jahrtausendwende war die technische Entwicklung (bzw. Vernetzung) dann soweit, dass man sie auch begrifflich zuspitzen konnte. Der Medienwissenschaftler Axel Bruns (2008, 2009a) prägte die Wortkombination Produser (eingedeutscht: Produtzer – aus Produzent und Nutzer)21, mit der er die neuen Möglichkeiten der Online-Kommunikation im Social Web22 auf den Punkt brachte: Einerseits verweist der Terminus auf die Möglichkeit zur Herstellung gemeinsamer Inhalte „in einem vernetzten, partizipativen Umfeld“ (Bruns 2010: 199), zu denken ist beispielsweise an Open-Source-Software, Bürger·innenjournalismus, Wikipedia oder auch kreative Werke in Flickr, YouTube, Facebook, diversen Blogs etc. (ebd.: 201). Andererseits implizieren diese Möglichkeiten aber auch die Chancen, dass aktive Otto-Normal-Internetnutzer eine Produser-Rolle wahrnehmen können, wenn sie an verschiedenen Orten im Netz (sei es in Form von Posts auf journalistische Artikel, in Blogs, in Kommentarfeldern auf diversen Websites etc.) meinungsstark ihre Positionen äußern. Naturgemäß sind damit auch nicht unproblematische Auswüchse dieser Chancen verbunden, wie sie etwa unter dem Titel „Shitstorms“ (Folgar/Röttger 2015, Haarkötter 2016, Himmelreich/Einwiller 2015, Prinzing 2015) oder „Hass im Netz“ (Brodnig 2016) längst diskutiert und beforscht werden.

      Für die hier im Mittelpunkt stehende Massenkommunikation bedeutet all dies unmissverständlich: Öffentlichkeit wird nicht mehr ausschließlich durch die traditionellen, publizistischen Medien hergestellt – wir müssen heute von zusätzlichen „Digitalen Öffentlichkeiten“ (Hahn/Hohlfeld/Knieper 2015) ausgehen, die im Internet zwar teilweise als erweiterte (Online-)Parallelwelten der publizistischen (Offline-)Medienmarken existieren (Puffer 2016), aber zusätzlich in einer längst unüberschaubar gewordenen Menge auch völlig andere Präsentationsformen und Inhalte zugänglich machen, als dies bei den publizistischen Medien der Fall ist.

      Die öffentliche Sphäre des 20. Jahrhunderts hat sich im Rahmen der Digitalisierung23 und der damit verbundenen internetbasierten Innovationen seit dem Beginn des 3. Jahrtausends grundsätzlich verändert – eigentlich: revolutioniert. Revolutionär im technischen Sinn ist bzw. war dabei v. a. dreierlei:

      1.Zuallererst das Internet bzw. das World Wide Web, das sich seit den 1990er Jahren weltweit schleichend verbreitet hat24 und eine Rückkanal-fähige Netzinfrastruktur entstehen ließ, die bis dahin für niemanden vorstellbar war.

      2.Außerdem die sozialen Medien – als Sammelbezeichnung für die neuen, online-basierten Web-2.0-Plattformen (wie Facebook, YouTube, Twitter, Instagram, Snapchat, Blogs etc.), die erst durch die wachsende Netzinfrastruktur möglich geworden waren (Michelis/Schildhauer 2015), und

      3.schließlich die kommunikative Mobilität, die seit der Erfindung des Smartphones (des internetfähigen Mobiltelefons mit umfangreichen Computerfunktionalitäten)25 üblich gewordene, nahezu raumzeitlich unabhängige und mobile Internetverbindung (Bächle/Thimm 2014).

      All das zusammen hat nicht bloß die Möglichkeit eröffnet, online mit anderen zu interagieren – ein Umstand, der nach Münker (2015: 61) entscheidend für den Erfolg der sozialen Netzwerke ist. Mit dem praktisch rund um die Uhr verfügbaren digitalen Universum beginnt sich zudem die öffentliche Sphäre völlig neu zu formieren. So war sehr bald schon von einer „integrierten Netzwerköffentlichkeit“ (Neuberger 2009a: 41) die Rede, in der die verschiedenen Ebenen der (Offline-) Öffentlichkeit, wie sie oben angesprochen wurden, „oft nur einen Mausklick voneinander entfernt“ (Schweiger/Weihermüller 2008: 545) sind. Gerade diese Möglichkeit, sich via Mausklicks auf verschiedenen Öffentlichkeitsebenen bewegen zu können, scheint jedoch die aus Offline-Zeiten tradierte Dichotomie zwischen privaten und öffentlichen Bereichen aufzuweichen: Es entstehen hybride Mischformen, die man als semiprivat bzw. semiöffentlich (Klinger 2018) etikettieren könnte.

      Entscheidend ist das Ausmaß, in dem der jeweilige Bereich für fremde bzw. anonyme Kommunikation offen ist, die Übergänge sind freilich fließend (ebd.: 257): So kann man z. B. E-Mails als privat, WhatsApp-Gruppen

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