Kommunikationswissenschaft. Roland Burkart

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Kommunikationswissenschaft - Roland Burkart

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öffentlich, an eine unbegrenzte Vielzahl von Menschen, sondern privat an einen relativ eindeutig definierbaren Empfänger·innenkreis vermittelt werden.

      Anlass zu ähnlichen Unklarheiten im Begriff Massenkommunikation gibt freilich auch der Wortbestandteil Kommunikation. Hier ist v. a. danach zu fragen, ob (und wenn ja: inwieweit) der im Rahmen dieses Buches entwickelte Kommunikationsbegriff mit dem begrifflichen Inhalt von Massenkommunikation in Einklang gebracht werden kann.

      So wie die ursprüngliche Form der interpersonalen Kommunikation eine unmittelbare, direkte (face-to-face) Begegnung zwischen den Kommunikationspartner·innen darstellt, so ist im typischen Modus der Massenkommunikation eine räumliche Distanz (z. B. bei Live-Übertragungen), in der Regel sogar eine raum-zeitliche Trennung zwischen Kommunikator(en) und Rezipienten vorhanden: das Plakat, der Flyer, das Buch, die Zeitung, die Hörfunk- oder Fernsehsendung, der Film oder auch ein Web-Auftritt werden in der Regel an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit rezipiert, als sie produziert worden sind. In seiner „klassischen“ Begriffsbestimmung typisiert Maletzke (1963: 21 f.) die Massenkommunikation daher als indirekte Kommunikation.

      Außerdem hat man es in der Massenkommunikation üblicherweise mit einer Polarisierung der kommunikativen Rollen zu tun: Es fehlt der für die direkte zwischenmenschliche Begegnung so typische, gegenseitige Rollentausch zwischen den Kommunikationspartner·innen, eine unmittelbare Rückkoppelung zwischen Kommunikator·innen und Rezipient·innen ist demnach nicht gegeben. Seit Maletzke (ebd.) gilt Massenkommunikation daher auch als einseitige Kommunikation.

      Fraglos ist dieses Merkmal der Einseitigkeit in vielen Fällen, in denen Massenkommunikation heute längst via Internet und damit computervermittelt stattfindet, „durchbrochen“, es trifft „nicht mehr uneingeschränkt zu“ wie Heinz Pürer (2014: 78) zu Recht konstatiert: Von Leser·innen (User·innen) gepostete Kommentare auf online publizierte journalistische Artikel sind zweifelsfrei (indirekte) Rückkoppelungen zwischen Kommunikator·innen und Rezipient·innen, die den traditionellen Leserbrief (Heupel 2007, Mlitz 2008) oder auch die Möglichkeit, sich in Phone-In-Sendungen zu Wort zu melden (Wulff 1998), ziemlich alt aussehen lassen. Onlinemedien können zudem ihr digitales Angebot jederzeit aktualisieren, allenfalls auf E-Mails, Posts, Tweets u. Ä. reagieren etc. (Pürer 2014: 280 ff.).3

      Dennoch: Aller Dialog- und Interaktivitätseuphorie4 zum Trotz verbleiben die tatsächlichen Aktivitäten im „Mitmachnetz“ bislang auf „niedrigem Niveau“ (Busemann/Gscheidle 2011). Die herkömmliche einseitige Massenkommunikation hat zwar durch Social Media und Co. längst ihr Alleinstellungsmerkmal verloren, aber von einer Abwendung des Publikums kann keine Rede sein. Zwar sehen junge Menschen seit 2015 tendenziell weniger fern, aber die (einseitige) Bewegtbildnutzung nimmt zu (bedingt durch Streamingangebote) und auch mit linearem Fernsehen verbringen die 14- bis 29-Jähringen noch fast eine ganze Stunde täglich (Breunig/Handel/Kessler 2020: 419). Man kann also auch im dritten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends noch davon ausgehen, dass die einseitige Massenkommunikation kein Schattendasein führt.

      Schließlich ist noch der Personenkreis, an den die Aussagen gerichtet sind, weder eindeutig festgelegt noch (quantitativ) begrenzt. Im Gegensatz zu privater Kommunikation, die sich an einen relativ eindeutig definierbaren Empfänger·innenkreis richtet, handelt es sich bei Massenkommunikation grundsätzlich um öffentliche Kommunikation, denn die Kommunikator·innen wissen nicht, wie viele Menschen sie mit ihren Botschaften tatsächlich erreichen (Pfetsch/Bossert 2013: 248). Diese „prinzipielle Unabgeschlossenheit des Publikums“ (Habermas 1990: 98) ist typisch für die Massenkommunikation.

      Man kann daher auch noch zu Beginn des dritten Jahrtausends, im Sinn der längst „klassischen“ Definition von Maletzke (1963: 32)

      Massenkommunikation als einen Prozess begreifen, bei dem Aussagen öffentlich (d. h. ohne begrenzten oder personell definierten Empfänger·innenkreis), indirekt (d. h. bei räumlicher oder zeitlicher oder raum-zeitlicher Distanz zwischen den Kommunikationspartner·innen) und (in der Regel) einseitig (d. h. ohne Rollenwechsel zwischen Kommunikator·in und Rezipient·in), durch technische Verbreitungsmittel (nämlich: Massenmedien) an ein disperses Publikum vermittelt werden.

      Soweit die Klassifikation des Massenkommunikationsprozesses nach den beobachtbaren, mehr oder weniger formalen Kennzeichen des Kommunikationsgeschehens. Wie verhält es sich aber, wenn man die oben, handlungstheoretisch (im Anschluss an Max Weber) hergeleiteten Interessen und Ziele der in den Kommunikationsprozess involvierten Personen mitdenkt, wenn man also auch Massenkommunikation als eine Form sozialen Handelns begreift?

      Schon sehr früh wurde hervorgehoben, dass es sich beim Massenkommunikationsprozess um einen Vorgang handelt, „in dem spezielle soziale Gruppen technische Einrichtungen anwenden, um einer großen, heterogenen und weitverstreuten Zahl von Menschen symbolische Gehalte zu vermitteln“ (Janowitz/Schulze 1960: 1). Es erscheint somit durchaus angemessen, diese sozialen Gruppen bzw. deren Mitglieder als „Kommunikator·innen“ und deren Aktivitäten als „kommunikatives Handeln“ zu begreifen – ganz im Sinn des Begriffsverständnisses, wie es im Kap. 2 dieses Buches entwickelt worden ist.

      Man kann freilich diese Angemessenheit grundsätzlich infrage stellen, wie das schon vor vielen Jahren z. B. der Soziologe Janpeter Kob prononciert getan hat, für den im Phänomen der „Massenpublizistik“ nur „sehr verkrampft […] eine Art von Kommunikation“ (Kob 1978: 393) zu erkennen war. Kob sprach in diesem Zusammenhang sogar von einem „Kommunikationsmythos“ (1979: 4973), der sich nicht zuletzt infolge der Bezeichnung „Massenkommunikation“ eingebürgert habe: In Wahrheit werde hier nämlich „nicht zwischen irgendwelchen Personen kommuniziert, sondern es werden – mit den unterschiedlichsten Intentionen – publizistische Produkte genutzt“ (ebd.: 4976).5 Schließlich sei auch die Merkmalsbestimmung „einseitige Kommunikation“ (als deren Folge sich erst das „disperse Publikum“ ergebe, weil man eben nicht wisse, mit wem man kommuniziere) eine typische Contradictio in adjecto: „Einseitig kann keine Kommunikation sein, selbst die schlichteste Vorstellung von ihr muss Wechselseitigkeit implizieren“ (ebd.) und deshalb handle es sich bei Massenkommunikation eben nicht um Kommunikation.

      Hier übersieht Kob allerdings, dass Maletzke mit „einseitiger“ Kommunikation lediglich auf die Polarisierung der kommunikativen Rollen hinweisen wollte, wie sie z. B. auch im Rahmen einer Kommunikation via Brief oder auch während eines Vortrags stattfindet. Die von Kob (zu Recht) vertretene Ansicht von der unbedingten Wechselseitigkeit jeder Kommunikation bezieht sich dagegen auf das im vorliegenden Buch mit implizite Reziprozität bezeichnete Merkmal von Kommunikation. Danach kann erfolgreiche Bedeutungsvermittlung (also: gelungene Kommunikation bzw. Verständigung) nur dann zustande kommen, wenn einer Mitteilungs-Handlung seitens des·der Kommunikator·in auch eine Verstehens-Handlung seitens der Rezipient·innen entspricht. Dieses kommunikative Handeln auf beiden Seiten muss aber nicht unbedingt mit einem Rollenwechsel (bei Maletzke: mit gegenseitiger Kommunikation) verbunden sein.

      Als Zwischenbilanz der Begriffserklärung von Massenkommunikation lässt sich somit festhalten:

      Die mit Hilfe technischer Verbreitungsmittel vorgenommene Vermittlung von Aussagen an disperse Publika ist zweifellos ein kommunikatives – d. h. auf Verständigung hin angelegtes – Geschehen, das jedoch nicht generell a priori (also bevor es stattfindet) und auch nicht in jedem Fall

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