Kommunikationswissenschaft. Roland Burkart

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Kommunikationswissenschaft - Roland Burkart

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der Perspektive seines Gegenübers betrachten zu können, vorhin als Voraussetzung für die Entwicklung von Identität und Selbst-Bewusstsein erkannt, so erweist sich nunmehr der Gebrauch signifikanter Symbole im Rahmen interpersonaler Kommunikationsprozesse als elementare Bedingung für die Genese eines derartigen Selbst. Erst Kommunikation mit Hilfe signifikanter Symbole macht es dem Individuum möglich, nicht nur als Subjekt – als I – (kommunikativ) zu handeln, sondern sich damit (zugleich) auch aus der Perspektive des/der Anderen als Objekt – als Me – zu betrachten, d. h., in die Rolle des Gegenübers zu schlüpfen.

      Mittlerweile existiert die empirisch (in experimentellen Studien mit Kleinkindern sowie mit Menschenaffen) gut belegte These, dass diese Fähigkeit zur Rollenübernahme ein wesentlicher Faktor in der Evolution menschlicher Kooperation gewesen sein düfte: Erst auf dieser Grundlage scheinen Individuen die Fähigkeit entwickelt zu haben, „miteinander einen gemeinsamen Akteur, ein ‚wir‘ zu schaffen, der sich geteilter Intentionen, geteilten Wissens und geteilter soziomoralischer Werte bedient“ (Tomasello 2020: 19). Kooperative – über Kommunikation koordinierte – Interaktionen könnten somit die Basis dafür gewesen sein, dass die Spezies Mensch in der Lage war, „einzigartige Prozesse kultureller Koordination und Weitergabe“ (ebd.) von Wissen auszubilden, ohne die globale Zivilisationsprozesse nicht vorstellbar sind.

      Insgesamt wird mit dieser Einsicht in den Stellenwert von Kommunikation bei der Genese von Identität und Selbst-Bewusstsein aber auch ein dem Menschen gleichsam auferlegter Zwang zur Kommunikation deutlich! Der Mensch, im Gegensatz zu anderen Lebewesen unfertig geboren, muss durch den kontinuierlichen Erwerb seines Selbst lebenslang seine eigentliche (menschliche) Geburt vorantreiben und bedarf dazu der kommunikativen Begegnung mit anderen Menschen.

      Damit sind nunmehr deutliche Hinweise dafür erbracht, dass der spezifisch menschlichen Kommunikationsfähigkeit elementare Bedeutung für die Menschwerdung – sowohl in phylogenetischer als auch in ontogenetischer Hinsicht – zuzuerkennen ist. Der Mensch, so wie er bis heute geworden ist und wie er täglich neu wird, ist ohne die nur ihm eigene Fähigkeit zur symbolischen Kommunikation nicht denkbar.

      1Phylogenese meint die stammesgeschichtliche Entwicklung der Arten bis hin zur evolutionären Herausbildung der menschlichen Gattung aus dem Tierreich (= Anthropogenese). Im Gegensatz dazu fokussiert die Ontogenese auf die Entwicklung des einzelnen Individuums von seiner Geburt bis zum Tod.

      2In seinem 1859 entstandenen Werk über die Entstehung der Arten griff Darwin die Idee von der Abstammung innerhalb der Organismuswelt auf, die schon im 17. Jhdt. bei Leibniz sowie im 18. Jhdt. bei Saint-Hilaire und Lamarck zu finden ist. Die große Leistung Darwins war es jedoch, erstmals eine Theorie der Entstehung der Arten von Lebewesen entwickelt zu haben. „In ihrem Mittelpunkt stand das Zusammenwirken zufällig entstandener erblicher Abweichungen einzelner Individuen und Teilen einer Population (…) und der natürlichen Selektion (Auswahl), die bestimmten Teilen einer (…) Population unter bestimmten Umweltbedingungen eine höhere Chance des Überlebens und einer relativ größeren Zahl von Nachkommen gibt“ (Wezler 1972: 304).

      3So scheint es eine hierarchische Ordnung zu geben, nach der „alle höheren Kommunikationsprozesse Eigenheiten und Leistungen der niederen voraussetzen und diese auch übernehmen“ (Merten ebd.).

      4Nur um einen Eindruck evolutionärer Zeitdimensionen zu geben: So glaubt man zu wissen, dass die Evolution von einem dem heutigen Spitzenhörnchen ähnlichen Tier bis zum Menschen etwa 75 Millionen Jahre dauerte (Bresch 1977: 264). – Der nun folgende kurze Abstecher in die Paläoanthropologie hält sich im Wesentlichen (wenn nicht anders vermerkt) an Soritsch (1974 und 1975).

      5Der für die weitere Evolution so wichtige Übergang vom Wald in die offene Landschaft scheint ein noch nicht ganz erklärbarer Vorgang zu sein: „Einige Autoren meinen, es sei die direkte Folge verringerten Regenfalls gewesen, der die Ausdehnung des tropischen Waldes einengte und einen erhöhten Populationsdruck auslöste. Andere deuten ihn einfach als das Ergebnis des normalen Wettbewerbs im Bereich des Lebendigen, das die Erschließung aller erschließbaren Umwelten begünstigt“ (Soritsch 1975: 15).

      6Wohl können Ansätze von Werkzeuglichkeit auch bei Tieren festgestellt werden; „echte“ Werkzeuglichkeit liegt nach Narr (1973) jedoch erst dann vor, wenn die Hinzufügung neuer, nicht vorgegebener Qualitäten hinsichtlich Form und Funktion des jeweiligen Gegenstandes beobachtbar ist – eine Eigenschaft, die schließlich auch mit neuen Erzeugungsweisen (Herstellung von Werkzeugen durch Werkzeuge) einhergeht (vgl. Soritsch 1974: 278).

      7Ein evolutionäres Universalium ist für Parsons „jede in sich geordnete Entwicklung oder ‚Erfindung’, die für die weitere Evolution so wichtig ist, dass sie nicht nur an einer Stelle auftritt, sondern dass mit großer Wahrscheinlichkeit mehrere Systeme unter ganz verschiedenen Bedingungen diese ‚Erfindung’ machen“ (Parsons 1971: 55). Als einen „zusammenhängenden Satz von evolutionären Universalien“ sieht er (beginnend in der frühesten Menschheitsgeschichte) Religion, Kommunikation durch Sprache, soziale Organisation durch Verwandtschaftsordnungen und Technologie (ebd.: 58).

      8Habermas nennt (in expliziter Anlehnung an Marx) vier kulturelle Universalien als Ausgangsbedingungen gesellschaftlicher Evolution: Produktion, Verkehrsform, umgangssprachliche Kommunikation und Ideologie (Habermas 1971b: 277 ff.).

      9Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive meint Kultur die „Gesamtheit der Verhaltenskonfigurationen einer Gesellschaft, die durch Symbole über Generationen hinweg übermittelt werden, in Werkzeugen und Produkten Gestalt annehmen, in Wertvorstellungen und Ideen bewusst werden“ (Fuchs-Heinritz 2011: 384).

      10Die ersten Lebewesen, die einen Übergang vom Tier zum Menschen darstellen (die sogenannten Australopithecinen), traten vor etwas zwei bis vier Millionen Jahren auf. Der Mensch, der anatomisch von uns praktisch ununterscheidbar ist, scheint vor 40- bis 50.000 Jahren das erste Mal registrierbar zu sein (vgl. Soritsch 1975, Campbell 1972, Darlington 1971).

      11Bei all diesen Fragen und Überlegungen darf nicht übersehen werden, dass der Biologe Adolf Portmann bereits vor vielen Jahrzehnten feststellte: „Wir haben keinen Grund, etwa den jetzigen Zustand als das Ende der Evolution aufzufassen“ (Portmann 1972: 128).

      12Die Anthropologie ist eine disziplinübergreifende Wissenschaft – ausdifferenziert haben sich mittlerweile die formale, historische, ökonomische, philosophische, politische, soziale und strukturale Anthropologie (vgl. ebd. 39–40).

      13Der Terminus „artspezifische Umwelt“ geht auf den Biologen Jakob v. Uexküll (1864–1944) zurück, dessen Beschreibung der Umweltbeziehung der Zecke ein (oft zitiertes) Beispiel für die Verdeutlichung des hier Gemeinten gibt: Die Zecke kann ausschließlich Licht und Wärme empfinden sowie den Geruch von Buttersäure wahrnehmen. Das genügt, um auf Bäume oder Sträucher zu klettern und sich auf warmblütige Tiere fallen zu lassen. Dort bohrt sie sich in die Haut, pumpt sich voll Blut, lässt sich wieder zu Boden fallen, legt ihre Eier und stirbt. „Die Lebensweise der Zecke entspricht ihrem organischen Bau. Zwischen Organausstattung, Lebensweise und Umwelt besteht Harmonie; die Wahrnehmungsfähigkeiten entsprechen den ‚Lebensinteressen’ des Tieres, beide sind der biologischen Ausstattung angepasst“ (Uexküll zit. n. Griese 1976: 24).

      14Zu solchen Instinktresiduen zählen z. B. beim Säugling angeborene Reflexe wie der Greif-, Such-, Saug- und Augenlidreflex, oder angeborene Verhaltensmuster der Kontaktaufnahme wie Lächeln, Plappern, Weinen etc. (vgl. Griese 1976: 21 f.). Was jedoch fehlt, sind „echte“ Instinkthandlungen, als deren Kennzeichen Angeborensein (auch bei später Reifung), Artspezifität, Starrheit und Zielgerichtetheit, reaktionsspezifische Energie und Taxis (Fixieren mit den Augen) angeführt werden (vgl. dazu Lorenz 1960).

      15Sogenannte Nestflüchter sind Lebewesen,

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