Kommunikationswissenschaft. Roland Burkart

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Kommunikationswissenschaft - Roland Burkart

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beim Militär eingeführt wurde. Aus der Radiotelegraphie wurde dann ‚broadcasting’“ (Vowe 2013: 18). Weitere Bekanntheit erlangte der Begriff sodann ein Jahrzehnt später, als in den Jahren 1939/40 einschlägig interessierte Wissenschaftler zu regelmäßigen Sitzungen des sogenannten „Rockefeller Communication Seminar“ in New York zusammenkamen: Im monatlichen „Letter of Invitation“ war stets von mass communication die Rede (Rogers 1994: 222).

      Rühl (2008: 173) vermutet also zu Recht, dass man „den Terminus mass communication ohne Beziehungen zu einem vorab konsentierten Kommunikationsverständnis“ eingeführt hat. Er ist daher als ein ursprünglich theoretisch völlig unbedarfter Begriff einzustufen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Wortkombination dann „in zahlreiche Sprachen übersetzt“ (ebd.). Der Terminus Massenkommunikation ist somit die mehr oder weniger unreflektierte Eindeutschung des angloamerikanischen mass communication. Von seiner Etymologie her schleppt der Begriff deshalb nichts von dem abendländischen Ballast mit, den die beiden Wortbestandteile in den Sprachräumen des europäischen Kontinents implizieren. Genau darin liegt jedoch eine nicht unwesentliche Ursache für Missverständnisse, die diese Bezeichnung bisweilen auszulösen imstande war und ist.

      So hatte der Wortbestandteil Masse seinerzeit die Vorstellung wachgerufen, man könne die Rezipient·innen massenmedial verbreiteter Aussagen mit einer Masse gleichsetzen, wie sie etwa der französische Arzt Gustave Le Bon (1895) kulturpessimistisch-pejorativ als soziales Aggregat beschrieben hat, das sich auf niedrigem intellektuellem Niveau nach einem (Ver-)Führer sehnt. Man assoziierte kulturkritische Begriffe wie „Massenmensch“, „Vermassung“ oder „Massengesellschaft“, die von den Apologeten der späteren Massenpsychologie in der Nachfolge Ortega y Gassets (1930) vertreten wurden. Auch in den USA hatte Ende der 1920er Jahre übrigens der Begriff mass society Konjunktur: Mit dieser Massengesellschaft verband man die „oft unbesehen übernommene Behauptung, mit fortschreitender Industrialisierung weise die große Majorität der Menschen – der dann eine kleine ‚Elite’ gegenübersteht – bestimmte Veränderungen auf, die schließlich zum ‚Massenmenschen’ im ‚Massenzeitalter’ führen“ (Maletzke 1963: 25).

      Der semantische Kern dieser Massengesellschaft war die Vorstellung einer Gleichförmigkeit der Menschen in ihren Wahrnehmungen, Einstellungen, Motiven und Verhaltensweisen (Vowe 2013: 20 ff.). Als charakteristisch für diesen Massenmenschen galten seine Persönlichkeitsverarmung, die Nivellierung seiner Denkweise, seines Geschmacks und Lebensstils sowie das Schwinden von persönlicher Selbständigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Initiative. All dies hätte letztlich zu einer Massengesellschaft geführt, in der die – durch massenmedial verbreitete Propaganda bzw. Werbung gesteuerte – öffentliche Meinung das Denken und Handeln des Einzelnen bestimmt (Maletzke 1963: 26). Obwohl die „Massenpsychologie wissenschaftlich bereits abgewirtschaftet hatte“ (Rühl 2008: 174), wirkte die Idee von der Massengesellschaft jahrzehntelang in die (Massen-)Kommunikationswissenschaft hinein (Vowe 2013: 23). Vowe sieht die bis heute anzutreffende „Vorstellung von universalen, linearen, starken Wirkungen medialer Impulse“ (ebd.) diesem Massenparadigma geschuldet.

      Der Wortbestandteil Masse im Terminus Massenkommunikation will allerdings weder massenpsychologische noch kulturkritische Assoziationen wecken. Gemeint war (und ist) damit lediglich, dass man sich mit den zu vermittelnden Aussagen an eine Vielzahl von Menschen richten kann (Schulz 1971: 93), die sich für die jeweiligen Kommunikator·innen – wie es Wright (1963: 11 ff.) seinerzeit auf den Punkt brachte – als unüberschaubar, heterogen und anonym darstellt:

      –Unüberschaubar, weil sie zahlenmäßig über eine Größe verfügt, die eine direkte Interaktion (von Angesicht zu Angesicht) zwischen Kommunikator·innen und Rezipient·innen unmöglich macht,

      –heterogen, weil diese Menschen eine Vielzahl sozialer Positionen bekleiden und den Aussagen daher aus verschiedenen Rollen heraus (d. h. mit unterschiedlichen Erwartungen) Aufmerksamkeit schenken. Und schließlich

      –anonym, weil die konkreten Personen, die sich den Aussagen zuwenden, den jeweiligen Kommunikator·innen unbekannt sind.

      Hat man also die Gesamtheit jener Menschen im Auge, die man via Massenkommunikation erreicht, so scheint es in der Tat angemessener zu sein, anstatt von „Masse“ hier (mit Gerhard Maletzke 1963: 28 f.) von einem Publikum zu sprechen. Dabei denkt man zunächst wahrscheinlich an ein Präsenzpublikum: Es entsteht, wenn Menschen zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort anwesend (präsent) sind und eine Aussage oder Darbietung auf sich einwirken lassen (wie z. B. ein Theaterstück, einen Vortrag, ein Konzert, eine Kundgebung etc.). Maletzke führte deshalb den Terminus disperses Publikum ein und fokussiert damit auf Individuen, aber auch kleine Gruppen, deren verbindendes Charakteristikum v. a. darin besteht, dass sie sich Aussagen der Massenmedien zuwenden.

      Disperse Publika sind keine überdauernden, sondern flüchtige soziale Gebilde, sie entstehen immer nur „von Fall zu Fall dadurch, dass sich eine Anzahl von Menschen einer Aussage der Massenkommunikation zuwendet“ (Maletzke 1963: 28). Zwischen den Mitgliedern eines derartigen dispersen Publikums existieren in der Regel keine direkten zwischenmenschlichen Beziehungen, denn üblicherweise sind die Rezipient·innen (oder Rezipient·innen-Gruppen) räumlich voneinander getrennt, gegenseitig anonym und wissen lediglich, dass außer ihnen noch zahlreiche andere Menschen dieselbe Aussage aufnehmen (ebd.: 29).

      Schließlich sind disperse Publika noch vielschichtig inhomogen, d. h., sie umfassen Personen, die aus verschiedenen sozialen Schichten stammen, deren Interessen, Einstellungen, deren Lebens- und Erlebensweise oft sehr weit voneinander abweichen, überdies sind sie unstrukturiert und unorganisiert: Ein disperses Publikum „weist keine Rollenspezialisierung auf und hat keine Sitte und Tradition, keine Verhaltensregeln und Riten und keine Institutionen“ (Maletzke ebd.: 30). Damit ist klargestellt: Der Wortbestandteil „Masse“ im Terminus Massenkommunikation ist im Sinn des dispersen Publikums zu verstehen.

      Kommunikation kann allerdings nicht ohne ein Medium stattfinden – dies wurde bereits weiter oben (Kap. 2.4) herausgearbeitet. Daher gilt hier, dass ein Massenmedium nötig ist, damit Massenkommunikation stattfinden kann. Der Soziologe Alphons Silbermann hat Massenmedien seinerzeit treffend als „Techniken der Kollektivverbreitung“ (1969: 673) bezeichnet, die Aussagen via Schrift, Bild und/oder Ton, optisch bzw. akustisch (audiovisuell) an eine unbestimmte Vielzahl von Menschen vermitteln (ähnlich bereits: Maletzke 1963: 36). Zu diesen Massenmedien zählen: Flugblatt/Flyer, Plakat, Presse, Buch, Hörfunk, Fernsehen, Film, heute auch Websites sowie potenziell alle Speichertechniken analoger (Bild, Tonband/Musik-/ Videokassette, Schallplatte) oder digitaler (CD/DVD, Festplatten/Speicherkarten) Natur. Potenziell meint: Sie sind nur dann als Massenmedien zu begreifen, wenn sie – und das ist der entscheidende Punkt(!) – zur öffentlichen Verbreitung von Aussagen eingesetzt werden. Denn nach wie vor gilt das, was bereits oben (Kap. 2.4) – im Kontext des publizistischen Medienbegriffes (nach Ulrich Saxer) – festgestellt worden ist: Man greift zu kurz, wenn man allein die Technizität des Mediums als ausreichendes Definiens für das Definiendum Massenmedium begreift.

      So ist ein als Privatdruck (d. h. für einen genau definierten Empfänger·innenkreis) produziertes Buch ebenso wenig ein Massenmedium, wie eine gedruckte Einladung, die im Verwandten- und Freundeskreis versendet wird. Auch die Hörfunk- und Fernsehtechnik kann man für vielerlei Zwecke einsetzen: etwa für den Küstenfunk, in der Militärüberwachung, zur Beobachtung des Straßenverkehrs, zur Überwachung von Kaufhausabteilungen

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