Kommunikationswissenschaft. Roland Burkart

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Kommunikationswissenschaft - Roland Burkart

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in jenen Arenen, in denen Problemlösungen, die zumeist auf sachlichen Überlegungen basieren, ausgehandelt werden (müssen)“ (ebd.: 161).

      Doch die Medienöffentlichkeit ist gleichsam die „Spitze des Eisbergs“ möglicher Öffentlichkeiten. Öffentliche Räume entstehen auch im Rahmen interpersonaler Kommunikationsprozesse (näher dazu: Wimmer 2007: 44 ff.). Habermas (1992) spricht von episodischen Kneipen-, Kaffeehaus- oder Straßenöffentlichkeiten, von veranstalteten Präsenzöffentlichkeiten (z. B. Theateraufführungen, Elternabenden, Rockkonzerten, Parteiversammlungen oder Kirchentagen) sowie von „der abstrakten, über Massenmedien hergestellten Öffentlichkeit von vereinzelten und global verstreuten Lesern, Zuhörern und Zuschauern“ (ebd.: 452).

      In Anlehnung an Habermas unterscheiden Gerhards und Neidhardt (Gerhards/ Neidhardt 1990: 20, Neidhardt 1994) jeweils nach der Menge der Teilnehmer·innen und dem Grad der Strukturierung bzw. Rollendifferenzierung drei Ebenen von Öffentlichkeit: Eine Encounter-, eine Themen- oder Versammlungsöffentlichkeit und eine Medienöffentlichkeit. Zur Verdeutlichung eignet sich die Visualisierung in Form einer Pyramide.

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      Abb. 14: Ebenen der Öffentlichkeit (Donges/Jarren 2017: 86, eigene Darstellung)

      –Die Basis der Pyramide stellt die Encounter-Ebene16 dar. Dabei geht es um mehr oder weniger spontane Zusammenkünfte (auf der Straße, am Arbeitsplatz oder im Wohnbereich) mit sehr geringer oder gar keiner Rollenverteilung: Jede·r Teilnehmer·in kann zugleich Sprecher·in und Teil des Publikums sein, die Rolle eines·einer Vermittler·in gibt es auf dieser Ebene noch nicht.

      –Auf der zweiten, mittleren Ebene sind die Themen- oder Versammlungsöffentlichkeiten anzusiedeln. Dabei trifft man bereits auf „thematisch zentrierte Interaktions- und Handlungssysteme“ (Donges/Jarren 2017: 85) in Form von Demonstrationen und Veranstaltungen, die zwar auch noch spontan entstehen können, aber bereits eine (wenn auch noch flexible) Rollendifferenzierung (Sprecher·in, Vermittler·in, Publikum) aufweisen.

      –An der Spitze der Pyramide befindet sich schließlich die Medienöffentlichkeit. Die Differenzierung in Akteurs- und Publikumsrollen ist hier stark ausgeprägt, das Publikum ist mehr oder weniger dauerhaft vorhanden und es bilden sich außerdem (überregionale) „Leitmedien“ (Jarren/Vogel 2011) heraus, die „eine führende Stellung einnehmen und Anschlusskommunikation ermöglichen“ (Donges/Jarren 2017: 86).

      Die verschiedenen Öffentlichkeitsebenen markieren außerdem Stufen der Selektion, was das Themenspektrum betrifft: Auf der Encounter-Ebene ist noch eine Vielzahl an Themen vorhanden, nur ein Teil davon gelangt in die Themen- und Versammlungsöffentlichkeit. Auf der Ebene der Medienöffentlichkeit ist die ursprüngliche Zahl der Themen bereits sehr stark selektiert bzw. reduziert und damit am niedrigsten. Bereits an dieser Stelle wird deutlich, dass eine (strukturelle) Differenz zwischen Realität und Medienrealität besteht (grundlegend dazu: Bentele 2008, Merten 2015 sowie Schulz 1989a).

      Mit Neidhardt (1994) kann man Öffentlichkeit als ein Kommunikationssystem begreifen, „in dem Themen und Meinungen (A) gesammelt (Input), (B) verarbeitet (Throughput) und (C) weitergegeben (Output) werden (ebd.: 8). Mit Blick auf diese Prozessstufen lassen sich dann „normative Ansprüche auf drei Prinzipien und Funktionen politischer Öffentlichkeit“ (Neidhardt 1994: 8 f.; vgl. auch Donges/Jarren 2017: 77 ff., Pfetsch/Bossert 2013) unterscheiden:

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      Abb. 15: Politische Öffentlichkeit nach Neidhardt (eigene Darstellung)

      •Das Prinzip Offenheit setzt beim erwähnten gesellschaftlichen Zugang zur öffentlichen Kommunikation an: Grundsätzlich darf es keine Zugangsbeschränkungen geben und alle Themen und Meinungen, die von kollektiver Bedeutung sind, sollen gesammelt und auch artikuliert werden können. Je offener dieses Kommunikationssystem ist, desto eher kann die daraus folgende Transparenzfunktion von Öffentlichkeit erfüllt werden. Für Habermas (1990) ist die „prinzipielle Unabgeschlossenheit des Publikums“ (ebd.: 98) und damit der für alle Bürger·innen offene Zugang zum Kommunikationssystem überhaupt eine conditio sine qua non: „Eine Öffentlichkeit, von der angebbare Gruppen eo ipso ausgeschlossen wären, ist nicht etwa nur unvollständig, sie ist vielmehr gar keine Öffentlichkeit“ (ebd. 156). Neidhardt warnt allerdings vor dem Anspruch einer Maximierung der Transparenzleistung: „Für gutes Regieren ergibt sich […] auch ein gewisser Bedarf nach Intransparenz“ (Neidhardt 2006: 50)17.

      •Das Prinzip Diskursivität bezieht sich auf die Verarbeitung dieser gesammelten Inputs, es geht also um die Qualität der Auseinandersetzung mit den jeweiligen Themen und Meinungen: Standpunkte sollen angemessen begründet, also mit starken (lat.: validen) Argumenten abgesichert werden. Nur wenn dies beachtet wird, kann öffentliche Kommunikation ihre Validierungsfunktion erfüllen. Nach den (hehren) Ansprüchen von Habermas (1981: 385) ist sie allerdings erst dann erfüllt, „wenn die Handlungspläne der beteiligten Aktoren nicht über egozentrische Erfolgskalküle, sondern über Akte der Verständigung koordiniert werden.“

      •Das Prinzip Überzeugung knüpft schließlich an der diskursiven Qualität der öffentlichen Kommunikation unmittelbar an: Jetzt geht es darum, dass die Mitglieder des Publikums mit den vermittelten Informationen auch etwas anfangen können. Gut begründete Standpunkte, so die Idee, können das Publikum überzeugen und zur Meinungsbildung beitragen. Dadurch leistet öffentliche Kommunikation ihre demokratisch notwendige Orientierungsfunktion.18

      Insgesamt skizzieren diese Ansprüche freilich „ein idealisiertes normatives Modell von Öffentlichkeit“ (Peters 1994: 49).

      Peters hat selbst (ebd.) ausführlich und systematisch dargestellt, welchen Einschränkungen Verständigung im Kontext massenmedialer Öffentlichkeit unterliegt: Dazu zählen „ungleiche Beteiligungschancen, Kapazitätsgrenzen, die zur Konzentration auf wenige Themen zwingen, die Diskontinuität der Berichterstattung und nichtdiskursive Kommunikationsstrategien“ (Neuberger 2007b: 156). Letztere sind nach Neuberger das Produkt einer speziellen Akteurskonstellation, in der Sprecher·innen eigentlich nicht miteinander kommunizieren, d. h. weniger auf die vorgebrachten Argumente eingehen, sondern eher „zum Fenster hinaus“ reden (ebd.), weil sie um die Gunst des Publikums wetteifern.

      Gerade deshalb braucht es Journalist·innen, die sich als Diskursanwält·innen verstehen, die Argumente aufgreifen, Antworten kritisch hinterfragen und so der fehlenden Diskursivität entgegenwirken (vgl. dazu das Modell des diskursiven Journalismus – Kap. 8.5.6).

      Dennoch sieht Peters (1994) in diesem normativen Öffentlichkeitsmodell ein „wichtiges Element der symbolischen Verfassung moderner Gesellschaften“ (ebd.: 49). Es fungiert als eine (demokratisch) wünschenswerte Zielorientierung und erlaubt dadurch, „einschneidende Beschränkungen“ (ebd.: 50) auf dem Weg dorthin aufzuspüren.19 Damit erfüllt es eine operative Funktion, die nicht unterschätzt werden sollte.

      Mit Ulrich Saxer (2002, 2012a) kann man Gesellschaft (aus einer systemtheoretischen Perspektive) als eine Organisation aus Elementen begreifen, die aufeinander einwirken. Gesellschaft ist ein Großsystem, das aus unzähligen Teilsystemen besteht und „für seine Existenz auf ebenso zahllose Leistungen, Funktionen, dieser Teilsysteme angewiesen ist“

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