Kommunikationswissenschaft. Roland Burkart

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Kommunikationswissenschaft - Roland Burkart

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(Helle 1977: 85). Es lernt dadurch auch, mit welchen Erwartungen zu rechnen ist, und welche Reaktionen jeweils angemessen erscheinen.

      In einem weiteren Stadium ist das Individuum dann bereits in der Lage, sich zur gleichen Zeit vom Standpunkt mehrerer Anderer zu sehen.

      Mead verdeutlicht dies beispielhaft anhand des kooperativen Wettspiels, bei dem es im Sinn einer angemessenen Teilnahme darauf ankommt, dass „das Kind die Haltung aller anderen Beteiligten in sich haben muss“ (Mead 1968: 196). Jedes kooperative Spiel „fordert von den einzelnen die Fähigkeit, sich selbst vom Standpunkt mehrerer anderer Positionen aus zu sehen“ (Helle 1977: 86). Im Akzeptieren- und Befolgen-Können von (Spiel-)Regeln schlägt sich genau diese (entwickelte) Fähigkeit nieder, die Haltung aller anderen (am Spiel Beteiligten) einnehmen zu können. Neuere Erkenntnisse über die evolutionären Wurzeln der kooperativen Kommunikation (Tomasello 2011: 183 ff.) bekräftigen diese frühen Beobachtungen von Mead.

      Diese Fähigkeit, sich zugleich aus der Perspektive mehrerer Anderer betrachten zu können, bezeichnet Mead als die Fähigkeit, die Rolle des verallgemeinerten (oder: generalisierten) Anderen einnehmen zu können. Sich in die Rolle dieses verallgemeinerten Anderen zu versetzen, meint also den Versuch, gedanklich auf die Haltungen der gesamten Gruppe Bezug zu nehmen. Dies geschieht, indem der Einzelne die Verhaltenserwartungen der jeweiligen Gruppenmitglieder verallgemeinert (generalisiert): Die anderen sind in seinem Denken und Handeln als ein man präsent: Er weiß, was man (üblicherweise) von ihm erwartet, er weiß daher auch, wie man (üblicherweise) in seiner Position bzw. Rolle zu handeln hat. Dadurch wird er sich selbst gegenüber nicht nur zu einem Objekt (und kann sein Verhalten einschätzen bzw. bewerten); er bemisst zugleich als handelndes Subjekt sein zukünftiges Verhalten an den (vermeintlichen) Erwartungen der anderen.

      Auf die Gesellschaft als Ganzes übertragen bedeutet dies, dass die Haltungen und Einstellungen jener Gruppen, denen der Betreffende angehört, zu einer größeren Konfiguration zusammengefasst werden (Cardwell 1976: 119), der er sich gegenübersieht: „Die Haltung dieses verallgemeinerten Anderen ist die der ganzen Gemeinschaft“ (Mead 1968: 196). Der Einzelne sieht sich bzw. sein Verhalten vom Standpunkt all jener Gruppen aus, denen er angehört bzw. anzugehören trachtet.

      So kann sich jemand „z. B. als einen Mann betrachten, als jung an Jahren, als Student, als verschuldet, als jemanden, der versucht, Arzt zu werden, als aus einer unbekannten Familie kommend, und so weiter. In allen jenen Gelegenheiten ist er für sich selbst ein Objekt; und er handelt sich selbst gegenüber und leitet sein Handeln anderen gegenüber auf der Grundlage dessen, wie er sich selbst sieht“ (Blumer 2015: 34).

      Die Übernahme der Rolle Anderer (zunächst die konkreter Anderer und später die des verallgemeinerten Anderen) erweist sich nunmehr als zentraler Faktor bei der Entwicklung eines Selbst. Denn das Selbst einer Person ist nichts anderes als „die Weise, wie sie (die Person) sich selbst ihre Beziehungen zu anderen Personen in einem sozialen Prozess beschreibt“. Es „entsteht schrittweise und kontinuierlich und wird typischerweise immer komplexer, wenn das Kind mit einer größeren Vielfalt von Personen […] in Kontakt kommt. Konfrontiert mit unterschiedlichen Erwartungen, kann es durch Rollenübernahme sein eigenes Verhalten aus einer Vielzahl von Perspektiven22 betrachten und beurteilen und sowohl mit Bezug auf sich selbst als auch mit Bezug auf andere handeln“ (Stryker 1976: 263, 265 f.).

      Das Selbst erwächst also aus bestimmten Erfahrungen, die man in der Begegnung mit Anderen macht.23 Teile derartiger Erfahrungen verdichten sich schließlich zu „Etikettierungen“ (Cardwell 1976: 116), mit denen wir uns gewissermaßen selbst versehen, indem wir die Reaktionen Anderer auf unser eigenes Verhalten interpretieren. Charles Cooley spricht in diesem Zusammenhang vom sogenannten Spiegel-Ich: Danach erlangen die Haltungen und Reaktionen Anderer auf „reflektierende“ Art und Weise Bedeutung für unsere Selbstdefinition. „Die Haltungen Anderer werden so reflektiert, als ob wir in einen Spiegel blickten und uns aufgrund dessen, was wir beobachten, selbst beurteilen“ (Cardwell 1976: 121). Die Vielzahl derartiger Spiegel steht gleichsam für die Vielzahl sozialer Interaktionen, im Rahmen derer wir jeweils „Bestandteile“ unseres Selbst erkennen bzw. zu erkennen glauben.24

      In diesem Sinn kann man sich das Selbst „als aus einem Satz unterschiedlicher Identitäten bestehend vorstellen. Identitäten sind verinnerlichte positionale Bezeichnungen bzw. Kennzeichnungen, die sich in sozialer Interaktion behaupten und bewährt haben. Sie sind diejenigen sozial anerkannten Personenkategorien, die man in einer Gesellschaft sein kann“ (Stryker 1976: 267). Wie das Selbst insgesamt, genauso dürfen aber auch dessen „Identitäts-Bestandteile“ nicht losgelöst vom jeweils vorhandenen sozialen Umraum gesehen werden. Nach Mead kann es nicht einmal eine scharfe Trennungslinie zwischen „eigenen“ und „fremden“ Identitäten geben, weil die jeweilige Identität des einzelnen „nur in Bezug zu den Identitäten anderer Mitglieder seiner gesellschaftlichen Gruppe“ (Mead 1968: 206) existiert: „Das Verhältnis des Menschen zu sich selbst impliziert sein Verhältnis zu anderen, seine Identität impliziert seine Sozialität“ (Raiser 1971: 124). Stets bedarf es mithin sozialer Erfahrungen, in denen der Mensch lernt, sich selbst auf Basis seiner Interpretation der Reaktionen Anderer auf sein Verhalten zu definieren: „Er kann, mit anderen Worten, nur durch die Sozialisation zu einer Selbstdefinition gelangen“ (Cardwell 1976: 115).25

      Allerdings ist bisher nur eine Dimension des Selbst bzw. jeweils spezifischer Identitäten angesprochen, denn Mead sieht das Selbst in zwei Sphären strukturiert: in die des I und in die des Me. Letzteres repräsentiert den „internalisierten Anderen“ (Raiser 1971: 129), es entsteht (wie bisher beschrieben), wenn man sich selbst aus der Perspektive des/der Anderen betrachtet und sich auf diese Weise seiner (jeweils spezifischen) Identität bewusst wird. Das Me ist somit „dasjenige, was dem Subjekt im Selbstbewusstsein erscheint“, es ist – vermittelt über den Vorgang der Übernahme der Rolle des Anderen – „die virtuell eingenommene Perspektive Alters von Egos Handeln“ (Geulen 1977: 117). Man kann im Me auch „das Äquivalent zu den sozialen Rollen“ (Stryker 1976: 260) sehen, die ein Mensch im Verlaufe seiner Lebensgeschichte bekleidet (hat). Demgegenüber soll das I die „Reaktion des Organismus auf die Haltungen anderer“ (Mead 1968: 218) verkörpern; es stellt die Antwort des Organismus auf die Haltungen und Einstellungen der Anderen dar. „Das I ist die je spontane Instanz im Handeln. Es ist als solches nicht unmittelbar objektivierbar – weil es durch Objektivierung ipso facto schon zu einem Me würde –, und daher auch prinzipiell nicht genau vorhersagbar; es führt Neues in das Handeln ein und ist der Grund für das subjektive Bewusstsein von Freiheit“ (Geulen 1977: 117).

      Das Selbst bzw. die je spezifische Identität ist für Mead nun ein Prozess, der aus diesen beiden unterscheidbaren Phasen besteht (Mead 1968: 221). Dieser Prozess ist nie endgültig zu Ende, deshalb ist das Selbst auch nicht ein eindeutig beobachtbares Phänomen (Raiser 1971: 135), es erscheint vielmehr als ein kontinuierliches Substrat von Identitäten, die im Rahmen der (durch konkretes Handeln aktualisierten) Wechselbeziehungen von I und Me ständig erfahren werden. Damit erweist sich der Erwerb eines Selbst im Horizont des S.I. als ein lebenslang andauernder Prozess, der soziale Beziehungen zu anderen Menschen impliziert: „Selbstsein und Interaktion mit anderen Individuen bedingen sich gegenseitig“ (Raiser 1971: 124).

      An dieser Stelle passt der Hinweis auf eine nicht ganz unähnliche Forschungsperspektive, die sich Ende der 1960er Jahre in Großbritannien unter anderem um den britischen,

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