Kommunikationswissenschaft. Roland Burkart

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Kommunikationswissenschaft - Roland Burkart

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Frage muss man entlang der „evolutionären Zeitachse“ etwa 20 Millionen Jahre zurückgehen, als sich irgendwo auf der Welt die biologische Entwicklung der Affen aufspaltete (Darlington 1971: 16) und eine neue Entwicklungslinie entstand: die der Hominiden, der Menschenartigen.4 Diese hatten (vermutlich infolge des Zurückweichens der Urwälder und der Ausbreitung der Steppen) die Bäume des Waldes verlassen und bevölkerten nunmehr die offene Landschaft.5 Forderte der durch diesen Umweltdruck erzwungene Nahrungswechsel – anstatt nach pflanzlicher musste nunmehr nach tierischer Kost Ausschau gehalten werden – den aufrechten Gang (bipede Fortbewegung) sowie stereoskopisches Sehen (zur besseren Abstandsschätzung) heraus, so regten die allmählich entwickelten Jagdtechniken ihrerseits wieder die geistige Aktivität und damit die Vergrößerung des Gehirns an, was schließlich – begünstigt durch die infolge der aufrechten Körperhaltung für andere Tätigkeiten frei gewordenen Hände – zur Ausbildung echter Werkzeuglichkeit6 führte. Diese nachgewiesene Werkzeuglichkeit der Hominiden ist jedoch bereits eng an begriffliches Denken, an die Fähigkeit zur Abstraktion gebunden: Erst wenn situationsgebundene Leistungen von ihren zufälligen Begleitumständen abgrenzbar sind, werden konstant hervorgerufene Wirkungen (z. B. eines Werkzeuges) erkennbar. Nicht zuletzt die Notwendigkeit zur Tradition der Produktions- und Verwendungsweise derartiger Geräte mag schließlich auch die Ausbildung jener Kommunikationsfähigkeit forciert haben, die in der Sprache ihre angemessene Entsprechung erfuhr: Denn Sprache abstrahiert stets vom unmittelbaren Konkreten, ein „Wort hält […] in seiner Bedeutung stets das Allgemeine der Dinge und Erscheinungen fest […]. Es ist folglich auch eine Eigenart des Denkens, dass es sich dieser [sprachlichen – R. B.] Zeichen als Instrumente bedient“ (Schaff 1968c: 100).

      Kann der bisher angedeutete evolutionäre Entwicklungsprozess noch überwiegend als eine Reaktion auf Umweltdruck interpretiert werden, so darf spätestens seit der Ausbildung der Sprache „jenes ihm immer schon innewohnende Potential an Eigendynamik nicht übersehen werden, das sich in einer stetig zunehmenden Umweltveränderung durch gezielt-aktive Anpassungsleistungen der Hominiden (und noch mehr: des Menschen!) äußerte und äußert“ (Vogt 1979: 70). Im Hinblick auf die hier im Mittelpunkt stehende Kommunikationsfähigkeit bedeutet dies, dass Sprache – bisher vornehmlich als Resultat biologischer Evolution angesehen – nunmehr als Voraussetzung für wesentliche Markierungen der mit ihr einsetzenden soziokulturellen Evolution betrachtet werden muss: „Sprache allein ermöglichte Abstraktionsniveaus, die zur Entwicklung der materiellen Kultur und der menschlichen Gesellschaft notwendig waren“ (Campbell 1972, zit. n. Soritsch 1974: 278).

      Und man kann mit Talcott Parsons (der den Biologen Alfred Emerson zitiert) ergänzen: „Innerhalb der menschlichen Anpassungswelt ist das ‚Gen’ weitgehend durch das ‚Symbol’ ersetzt worden. Deshalb bestimmt nicht allein die genetische Konstitution der Spezies Mensch die ‚Bedürfnisse’ gegenüber der Umwelt, sondern diese Konstitution plus der kulturellen Evolution“ (Parsons 1971: 57). So wie Parsons in der Sprache eine der Grundvoraussetzungen der Evolution von Kultur und Gesellschaft (eine seiner evolutionären Universalien)7 sieht, so benennt auch Habermas (1971b) umgangssprachliche Kommunikation als eine der Eingangsbedingungen für gesellschaftliche Evolution.8

      Nun sind aber jene abstrakten (durch Sprache möglich gewordenen) Bewusstseinsleistungen, welche die soziale Evolution erst initiierten, nur dann angemessen zu begreifen, wenn man (mit Vogt 1979: 71) erkennt, dass sowohl Werkzeuglichkeit als auch Sprache ihren Ursprung in der gesellschaftlichen Organisation menschlicher Arbeit besitzen (vgl. auch: Rossi-Landi 1972). Gesellschaftlich organisierte Arbeit gilt als „die spezifische Weise, in der Menschen im Unterschied zu Tieren ihr Leben reproduzieren“ (Habermas 1976a: 145). Sie tritt bei den Frühmenschen in der für sie charakteristischen Ausprägung der kooperativen Jagd (ebd.: 149) auf und war für die Ausdifferenzierung interpersonaler Kommunikation ein außerordentlich fruchtbarer Boden. „Es ist klar: Je besser eine jagende Männergruppe sich über den Stand eines Tieres beim Umzingeln und beim Angriff verständigen konnte, je mehr Einzelheiten sich die Mitglieder einer solchen Gruppe mitteilen konnten, desto erfolgreicher musste sie sein, desto größer war die Überlebenschance einer Horde. Dasselbe gilt für die Techniken, die zur Jagd entwickelt wurden und die an die Nachkommenschaft mitgeteilt werden mussten. Das an die Jagd anschließende Verteilen der Beute, das die ersten Fähigkeiten zur Quantifizierung entwickelt haben dürfte, hatte eine überaus wichtige Bedeutung für die Denk- und Sprachentwicklung“ (Soritsch 1975: 17). Mittlerweile ist bekannt, dass „menschliche Kommunikation in einer Weise kooperativ strukturiert ist, wie das bei anderen Primaten nicht der Fall ist“ (Tomasello 2011: 18). Diese kooperative Kommunikation entstand irgendwann im Verlauf der Evolution „als ein Mittel, diese Aktivitäten der Zusammenarbeit effizienter zu koordinieren“ (ebd.: 19).

      Erforderte das Verteilen der Beute „Interaktionsregeln, die auf dem Niveau sprachlicher Verständigung intersubjektiv als anerkannte Normen oder Regeln kommunikativen Handelns von einzelnen Situationen abgelöst und auf Dauer gestellt werden können“ (Habermas 1976: 146), so war bereits im Zuge des kooperativen Jagens eine Rollendifferenzierung notwendig geworden, die eine Sprengung jener eindimensionalen Rangordnung notwendig machte, in der jedem Tier nur ein einziger

      Status zukommt: Ein und dasselbe Individuum musste ja in verschiedenen Situationen (der Jagd) einen unterschiedlichen Status einnehmen können. „Zusätzlich dürfte schließlich aus der Existenz zweier sozialer Teilsysteme (egalitäre Jagdhorden der Männer und sammelnde Gruppen der Frauen und Kinder) ein Integrationsbedarf entstanden sein, der erst durch die Ausprägung der Vaterrolle befriedigt werden konnte: Dies bedeutete aber die Ersetzung des tierischen Statussystems durch ein System sozialer Normen, das Sprache voraussetzt“ (Vogt 1979: 71).

      Darauf verweist auch Habermas, für den drei Bedingungen erfüllt sein müssen, bevor ein System sozialer Normen überhaupt entstehen kann:

      Die Interaktionspartner müssen (1) die Teilnehmerperspektive gegen die Beobachterperspektive austauschen können, (2) über einen Zeithorizont verfügen und sie müssen (3) in der Lage sein, die Existenz von Sanktionsmechanismen anzuerkennen.

      „Aus verschiedenen Gründen können diese drei Bedingungen nicht erfüllt werden, bevor nicht Sprache voll ausgebildet ist. Wir dürfen annehmen, dass sich in den Strukturen von Arbeit und Sprache erst die Entwicklungen vollzogen haben, die zur spezifisch menschlichen Reproduktionsform des Lebens und damit zum Ausgangszustand der sozialen Evolution geführt haben. Arbeit und Sprache sind älter als Mensch und Gesellschaft“ (Habermas 1976a: 151).

      Die Ausbildung von Sprache – und damit der Erwerb der Fähigkeit zu symbolisch vermittelter Interaktion – wird somit als ein zentrales Fundament der Anthropogenese erkennbar. Erst Sprache schuf die Voraussetzung für das Entstehen sozialer Normen und trug damit wesentlich zur Entwicklung von Kultur9 bei: Denk- und Handlungsweisen (Wertvorstellungen und entsprechende Verhaltensformen) wurden tradierbar. Sprache ließ also „einen neuen Typ der Evolution entstehen, der sich in keiner anderen Art finden lässt“ (Berelson/Steiner 1969: 34). Folgerichtig sieht Habermas daher in der Hominisation eine organisch-kulturelle Mischform der Evolution: Der Weg vom Tier zum Menschen „ist durch das Ineinandergreifen organischer und kultureller Entwicklungsmechanismen bestimmt“ (Habermas 1976a: 147). Und man kann mit Merten ergänzen, dass Menschwerdung mithin als eine Folge (und nicht als eine Voraussetzung) kultureller Leistungen begriffen werden muss (Merten 1977: 126). Oder anders – deutlicher im Hinblick auf den vorliegenden Zusammenhang – formuliert: Menschwerdung (auch: Anthropogenese, Hominisation) ist die Jahrmillionen10 währende Konsequenz von Bewusstseinsleistungen, die auf einem Abstraktionsniveau erfolgten,

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