Kommunikationswissenschaft. Roland Burkart

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Kommunikationswissenschaft - Roland Burkart страница 31

Автор:
Серия:
Издательство:
Kommunikationswissenschaft - Roland Burkart

Скачать книгу

aber erlangte ausschließlich der Mensch diese spezifische Kommunikationsfähigkeit? Warum bestand (und besteht) für das Tier offenbar kein existentieller Zwang zur Ausbildung von Sprache?11

      Antwort auf diese Frage gibt uns die Anthropologie, die „Wissenschaft von den Lebens- und Äußerungsformen des Menschen“ (Fuchs-Heinritz 2011: 39).12 Sie macht den Unterschied zwischen Mensch und Tier zunächst an der Beziehung zur Umwelt fest. Für den Menschen gibt es im Unterschied zum Tier keine „artspezifische Umwelt“, in die er aufgrund seiner Sinnesausstattung verwiesen wird und in der er allein lebensfähig wäre (vgl. Griese 1976: 24). Während für das Tier aus der Fülle der in der Welt vorhandenen Gegebenheiten nur eine begrenzte Anzahl existiert, innerhalb derer es gleichsam wie ein Gefangener lebenslang bleibt und stirbt,13 hat der Mensch keine so einförmige und enge Sphäre. Dieser Umstand lässt ihn als den ersten „Freigelassenen der Natur“ (Herder) begreifen; er ist im wahrsten Sinn des Wortes „weltoffen“ (Scheler, Gehlen), denn er besitzt weder eine spezialisierte Organausstattung noch verfügt er über jene instinktiven Absicherungen, die dem Tier in seiner artspezifischen Umwelt das Überleben ermöglichen.

      Der Mensch gilt als ein „Mängelwesen“ (Herder, auch: Gehlen 1986) in der Natur: Es fehlt ihm ein natürlicher Witterungsschutz in Form eines Haarkleides, er verfügt über keine spezialisierten Angriffs- oder Verteidigungsorgane und seine Sinnesorgane werden an Leistungsfähigkeit von vielen Tieren übertroffen (Griese 1976: 16 f.). Er konnte daher nur überleben, indem er diese seine Unspezialisiertheit kompensierte: Die Ausbildung von Sprache und begrifflichem Denken, die Tradition von Erfahrungen und das Entstehen von Kultur werden (trotz vorhandener Instinktreste14) allgemein als die Antwort auf jene biologischen Mängel interpretiert: „Der Mensch kann nur überleben, wenn er sich Kultur schafft, d. h., wenn er arbeitend die Natur bewältigt und verändert, wenn er seine Mangelausstattung und Unspezialisiertheit durch soziales Handeln kompensiert. Kultur ist daher die von Menschen handelnd veränderte Natur, seine zweite ‚künstliche’ Natur, seine menschliche Welt (Griese 1976: 25). Für Arnold Gehlen (1904–1976) ist Kultur „ein anthro-biologischer Begriff, der Mensch von Natur aus ein Kulturwesen“ (Gehlen 1986: 80).

      Damit richtet sich der Blick nunmehr aber von der phylogenetischen auf die ontogenetische Perspektive der Menschwerdung. Auch hier nimmt der Mensch eine Sonderstellung in der Natur ein, auf die als erster der Zoologe Adolf Portmann (1956) hingewiesen hat. Er erkannte in einem morphologischen Vergleich mit den höheren Wirbeltieren, „dass der Mensch seiner Naturgeschichte nach zu den Nestflüchtern15 gehört, dass er aber ungefähr ein Jahr früher zur Welt kommt, als seinem Zerebralisationsgrad angemessen wäre und folglich zu einem sekundären Nesthocker wird – darin einzigartig unter allen Tieren“ (Habermas 1973a: 99). Der Mensch erscheint vom Standpunkt der Zoologie als eine physiologische Frühgeburt: Portmann hat das erste Lebensjahr des Menschen daher auch treffend als extrauterines Frühjahr bezeichnet, weil der Mensch im ersten Jahr nach seiner Geburt erst jenen Entwicklungsgrad erreicht, den ein seiner Art entsprechendes Säugetier noch im Mutterleib (im Uterus) verwirklicht (vgl. Portmann 1956: 52 ff.).

      Geradezu hilflos, kommunikations- und bewegungsunfähig wächst der Säugling in engster physischer und auch emotionaler Abhängigkeit von seinen Eltern auf; die physiologische Frühgeburt bzw. das extrauterine Frühjahr stempeln ihn zu einem Lernwesen, das auf andere Menschen angewiesen ist, um überhaupt menschlich werden zu können, ab (Griese 1976: 20).

      Aufgrund seiner Pflegebedürftigkeit benötigt jeder Säugling (über-)lebensnotwendige Hilfe und Betreuung durch Personen in seiner nächsten Umgebung; man kann darin auch eine „biologische Garantie“ für erste Sozialkontakte sehen. In diesen frühen Interaktionsprozessen entfaltet sich aber zugleich auch jenes Humanspezifikum, das als Soziabilität oder „Anlage zur Geselligkeit“ begriffen werden kann. Soziabilität ist die „Möglichkeit, Fähigkeit und Notwendigkeit des Angewiesenseins auf andere“ (Wössner 1970: 39). Dieses Angewiesen- und zugleich Ausgerichtetsein auf andere Menschen ist eine notwendige Bedingung zur Erhaltung und Entfaltung der menschlichen Existenz (ebd.). Mit dieser Soziabilität ist aber auch die grundsätzliche Formbarkeit des Menschen durch soziale Einflüsse angesprochen bzw. seine Fähigkeit, sich an andere Menschen oder soziale Bedingungen anpassen zu können (Klima 2011: 621). Die Entfaltung dieser Soziabilität erscheint nicht nur im organisch-biologischen Sinn für den Menschen (über-)lebensnotwendig16 zu sein; sie stellt – zusammen mit der Ausbildung seiner erhöhten Lernfähigkeit – v. a. auch eine unabdingbare Voraussetzung für seine (spätestens) ab dem Moment der Geburt beginnende Sozialisierung dar.

      Sozialisation (als Status) oder Sozialisierung (als Geschehen) ist der „weitgefasste Begriff für den [ontogenetischen, R.B.] Prozess der Menschwerdung des Menschen, der Vergesellschaftung und lndividuierung gleichermaßen umfasst“ (Mühlbauer 1980: 25). Sozialisationsforschung versucht nachzuweisen, dass sich die menschliche Persönlichkeit in keiner ihrer Dimensionen gesellschaftsfrei herausbildet, sondern stets in einer konkreten Lebenswelt, die gesellschaftlich-historisch vermittelt ist“ (Hurrelmann 1976: 16). Mit dem Sozialisationsbegriff wird also v. a. der „Prozess der Persönlichkeitsgenese in Abhängigkeit von der Umwelt“ (Geulen 1973: 87) umschrieben. So durchschreitet der nur mit rudimentären Instinkten geborene Säugling in seiner Entwicklung vom Kind bis zum Erwachsenen nicht nur Stadien der biologischen Reifung,17 sondern macht auch (individuelle und soziale) Lernvorgänge durch. Sowohl individuelles als auch soziales Lernen dauert jedoch im Prinzip das ganze Leben hindurch an.

      Von dieser Perspektive aus erscheint Sozialisierung als ein permanenter, lebensbegleitender Prozess der Persönlichkeitsentwicklung, der erst durch den Tod abgebrochen wird (Mühler 2008: 46 ff.). Es gibt daher keine endgültige, abgeschlossene Sozialisierung, sondern nur einen jeweiligen Stand der Sozialisierung: die Sozialisation (vgl. Fuchs-Heinritz et al. 2011: 625 ff.). Der Mensch – als Produkt von (zu reifenden) Anlagen und Umwelteinflüssen – steht mit dem Akt seiner leiblichen Geburt somit erst am Beginn seines „eigentlichen“ Geborenwerdens in einem erweiterten Sinn des Wortes: Erst durch seine „zweite soziokulturelle Geburt“ (Claessens 1962) wird der Mensch zum Menschen – und in Wahrheit ist „das ganze Leben des Individuums […] nichts anderes als fortwährend an der eigenen Geburt schaffen“ (Fromm 1974: 28).

      Worin besteht nun diese (eigentliche) soziokulturelle Geburt des Menschen und welchen Stellenwert besitzt Kommunikation in diesem Prozess? Eine Antwort auf diese Frage kann es immer nur aus der Perspektive des jeweiligen sozialisationstheoretischen Konzepts geben. Dazu hier ein knapper Überblick.

      Nach Geulen (1977: 43 ff.)18 können fünf abstrakte Dimensionen sozialisationstheoretischen Zugriffs unterschieden werden, die zu fünf unterscheidbaren Modellen vom sozialisierten Menschen führen:

      •Das anthropologisch-funktionalistische Modell sieht den Menschen – wie soeben besprochen – als konstitutionelles Mängelwesen (Arnold Gehlen), der nach seiner Geburt alleine gar nicht (über-)lebensfähig ist. Sozialisation wird von dieser Position aus als Notwendigkeit zur physischen Existenzsicherung gesehen (neben Gehlen sind auch Emile Durkheim und Bronislaw Malinowski dieser Position zuzurechnen).

      •Im Wissensmodell gelten die gesellschaftlichen Momente als Voraussetzung für die intentionale Handlungsorientierung: Der Mensch

Скачать книгу