Christlich-soziale Signaturen. Группа авторов

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kann. Sie stellt jeweils die tiefere Frage, die sich mit pragmatischer Rationalität, auch wenn mitunter unvermeidlich, nicht abschließend zufriedengibt. Die Christin stellt die Frage nach den Fragen, auf die die Politik antworten muss. Und sie tut das von einem Standpunkt, der Politik als Zweites und Vorletztes ansieht, das einem Ersten und Letzten verpflichtet sein sollte. Das christliche Kriterium für die wohlgeformte Frage ist dabei das bereits angesprochene Gemeinwohl. Wie kann eine Politik des Gemeinwohls aussehen, bei der tatsächlich „no one left behind“ ist? Wie kann eine Politik eines globalen Gemeinwohls gestaltet werden? Ja, die Fragen sind groß – aber auch das Ziel christlichen Glaubens.

      Schlussbemerkung

      Am 24. März 1980, wenige Minuten vor seiner Ermordung, zitierte Oscar Romero in seiner letzten Predigt in der Kapelle des Karmeliter-Krankenhauses in San Salvador eine Passage aus der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanums, Gaudium et spes, den Paragraphen 39. Eine Kernstelle lautet: „Zwar werden wir gemahnt, daß es dem Menschen nichts nützt, wenn er die ganze Welt gewinnt, sich selbst jedoch ins Verderben bringt […] dennoch darf die Erwartung der neuen Erde die Sorge für die Gestaltung dieser Erde nicht abschwächen, auf der uns der wachsende Leib der neuen Menschenfamilie eine umrißhafte Vorstellung von der künftigen Welt geben kann, sondern muß sie im Gegenteil ermutigen.“

      Diese Passage bekommt eine besondere Tiefe durch den Umstand, dass sie von Romero mit der posthum erwachsenden Autorität des letzten Zitats angeführt worden ist. Die Verbindung mit Romero gibt dem Wort Gewicht, denn Romero hat mit seinem Leben (und seinem Sterben) bezeugt, was es heißt, den Blick auf die neue Erde und den neuen Himmel mit dem unermüdlichen Einsatz für eine gerechte(re) Welt zu verbinden.

      Christlich zu leben bedeutet, den Geist der Gleichgültigkeit überwunden zu haben. Christsein ist Abkehr von Indifferenz. Und damit auch das Gegenteil einer Abkehr von Schöpfung und Welt.

       Literatur

      Bieri, Peter: Eine Art zu leben, München 2011.

      Brooks, David: The Second Mountain, New York 2019.

      Vanier, Jean: Eruption to Hope, Toronto 1967.

      Williams, Rowan: On Being Creatures, in: Williams, Rowan: On Christian Theology, Oxford 2000.

      Waldron, Jeremy: What Can Christian Teaching Add to the Debate about Torture?, in: Theology Today 63 (2006), S. 330–343.

      1Die Rede findet sich in: J. Vanier: Eruption to Hope, Toronto 1967; siehe auch J. Vanier: In Weakness, Strength: The Spiritual Sources of Georges P. Vanier, Toronto 1969.

      2R. Williams: On Being Creatures, in: ders.: On Christian Theology, Oxford 2000.

      3D. Brooks: The Second Mountain, New York 2019, xv.

      4J. Waldron: The Image of God: Rights, Reason, and Order, in: J. Witte, Jr. / F. Alexander (Hg.): Christianity and Human Rights: An Introduction, Cambridge 2010, 216–235.

      5Vgl. P. Bieri: Eine Art zu leben, München 2011.

      6J. Waldron: What Can Christian Teaching Add to the Debate about Torture?, in: Theology Today 63 (2006), 330–343.

      7Ebd. 337–340.

      8Ebd. 336, FN 14.

      9Dieser Punkt kann gerade bei der Frage nach globaler Migration eine Rolle spielen – vgl. A. Rowland: On the Temptations of Sovereignty: The Task of Catholic Social Teaching and the Challenge of UK Asylum Seeking, Political Theology 12,6 (2011) 843–869; christliche Politik darf es sich mit nationaler Rationalität nicht zu einfach machen – das Prinzip der Würde der menschlichen Person hat den Primat vor nationalen Interessen; das ist auch in der Tradition der katholischen Soziallehre ausgedrückt, siehe Pacem in Terris 105, Caritas in Veritate 62.

      Eigenverantwortung in christlich-sozialer Perspektive

       Manfred Prisching

       Eigenverantwortung ist ein Orientierungsbegriff: Man möge die Initiative, die Autonomie, die Leistungsfähigkeit und die Verantwortlichkeit der Menschen nicht unterschätzen. Es geht um das richtige Maß zwischen den beiden Polen: einerseits der mündige, starke, reflexions- und handlungsfähige Mensch, andererseits der überlastete, schwache, hilfsbedürftige, manchmal auch dumme Mensch. Eigenverantwortung setzt Freiheit voraus, dabei respektiert sie den Menschen und seine Leistungen. Eigenverantwortung bedeutet weder radikalen Etatismus oder Paternalismus noch radikalen Neoliberalismus, sie forciert nicht Egoismus, prämiert aber auch nicht die billige (und manchmal gar nicht naive) Opferrolle. Sie anerkennt die Notwendigkeit solidarischer und staatlicher Unterstützung. Wie bei den meisten Beschreibungen eines guten und gelingenden Lebens geht es um das richtige Maß.

      Wenn über moralisch-politische Sachverhalte gesprochen wird, pflegt es vor Leerformeln (Salamun 1975, 32 ff.) zu wimmeln. „Soziale Gerechtigkeit“ (Kirchschläger 2013) ist beispielsweise eine großartige, moralisch und politisch vielfach brauchbare Forderung, wenn sich jeder darunter etwas anderes vorstellen kann. De facto ist damit meist mehr (materielle) „Gleichheit“ (Kersting 2002) gemeint, politikpraktisch mündet die Forderung darin, dass „ich“ oder meine Klienten von „anderen“ im Dienste der Gerechtigkeitsverwirklichung Geld bekommen sollen. Auch Abwandlungen bieten wenig Hilfe: „Bedürfnisgerechtigkeit“ und „Befähigungsgerechtigkeit“ (Hecker 2013) versuchen, Maßstäbe einzuführen, aber die unterschiedliche Perspektive verlagert sich bloß. Man kann beliebige Bedürfnisse als legitim deklarieren oder sich unter „angemessenen Befähigungen“ Beliebiges vorstellen.1 „Soziale Gerechtigkeit“ kann deshalb heißen: Mindestsicherung senken (im Vergleich mit arbeitenden Menschen) oder erhöhen (mit Blick auf deren Bedürfnisse); Pensionen garantieren (man muss die Lebensleistung honorieren) oder einbremsen (man muss auch den nächsten Generationen etwas übrig lassen); Zölle einführen (um durch Schließung heimische Arbeitsplätze zu sichern) oder abschaffen (um durch Effizienzsteigerung und Wachstum heimische Arbeitsplätze zu sichern).

      Grundsätzlich ist ähnliche Unbestimmtheit auch beim Begriffscluster Eigenverantwortung, Verantwortung, Selbstverantwortung, Verantwortlichkeit festzustellen; zumal im Kontext einer christlichen Soziallehre auch noch Begriffe wie Personalität, Subsidiarität und Solidarität für das Begriffsfeld eine Rolle spielen,2 die gleichfalls ein Problem benennen, aber allein als Vokabel wenig Hilfe für die Lösung dieses Problems bieten. Immerhin kann man Eigenverantwortung in der christlichen Sozialethik (Wilhelms 2010) als eine Art Orientierungsbegriff verstehen, in dem Sinne, dass persönliche Verantwortung zumindest als Desiderat benannt wird; oder umgekehrt: dass man auf Distanz geht zu einer Situation, in der den Individuen jede Verantwortung für ihr eigenes Handeln und Leben oder für das gemeinschaftliche Schicksal abgenommen wird. Es ist die Perspektivierung eines Problemfeldes, der Begriff schlägt eine Art von Prüfverfahren vor: Man möge, worum immer es sich im Konkreten handelt, die persönliche Initiative und Leistungsfähigkeit von Menschen nicht unterschätzen. Es ist ein semantischer Hinweis zur Aufmerksamkeitslenkung: Im Bedarfsfall sei zu prüfen, was man von Individuen erwarten darf, was ihnen zur freien Entscheidung überlassen oder zugestanden wird – oder wo man regulierend oder helfend eingreifen muss. Eigenverantwortung heißt nicht: die Menschen allein lassen, gottvertrauend oder sozialdarwinistisch. Aber Eigenverantwortung gibt den Hinweis: Man möge nicht von vornherein beim Auftreten eines beliebigen Problems vorschreiben, entlasten, Menschen entmündigen, Paternalismus üben. In dieser Spannung steht der Begriff: einerseits der autonome, mündige, starke, reflexions-

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