Fallout. Fred Pearce

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Fallout - Fred Pearce

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und ihre kranken Kinder vorzuführen.14

      Wie glaubhaft ist all das? Kranke und missgebildete Kinder leben überall auf der Welt; schrecklich aussehende Föten aus Abtreibungen und Fehlgeburten gibt es in jedem Krankenhaus. Die Frage ist, ob sie in diesem bestimmten Gebiet zahlreicher sind als statistisch zu erwarten, und ob das in irgendeiner Form auf die Strahlung aus den Atomwaffentests zurückgeführt werden kann.

      In den 1990er-Jahren begannen die Forscher um Apsalikow am IRME, Informationen über die Menschen, die im Schatten der Falloutwolken gelebt hatten, in einer Datenbank zu sammeln. Die daraus gezogenen Schlüsse sind umstritten. Manche Wissenschaftler sind überzeugt, Auswirkungen der Strahlung erkennen zu können. Laut Marat Sandybajew, dem Leiter des Onkologischen Zentrums von Semei, sind Krebserkrankungen in den Gebieten in der Hauptwindrichtung doppelt so häufig wie statistisch zu erwarten.15 Eine andere Studie ermittelte eine erhöhte Zahl von Leukämiefällen unter den Kindern, die in den 1980er-Jahren weniger als 190 Kilometer von dem Testgelände entfernt gelebt hatten.16 Manche Forscher schließen nicht immer klar aus, ob etwa Störvariablen wie schlechte Lebensbedingungen oder Mangelernährung daran schuld sind, und nicht radioaktive Strahlung.17 Gleichwohl machen die hohen Strahlendosen, denen die Menschen der ganzen Region um Semipalatinsk ausgesetzt waren, diese Schlussfolgerung sehr plausibel.

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      Heute zieht das Polygon die Fans des sogenannten Dark Tourism an. Es gibt Führungen zu den Betontürmen, in denen die Instrumente zur Messung der Sprengkraft installiert waren. In ihrer Nähe ist die Strahlung bis heute recht hoch. Das führt zu der Frage, ob die Bewohner der Steppenregionen Ostkasachstans hier ein halbes Jahrhundert später überhaupt schon wieder gefahrlos Fische fangen, ihre Schafe weiden lassen, die Luft atmen, Brot und Milch aus der Gegend verzehren und in ihrem Garten Gemüse anbauen können.

      Ein großer Teil der radioaktiven Isotope ist zerfallen. Die Strahlenbelastung bewegt sich selbst bei denjenigen, die Lebensmittel aus der Region zu sich nehmen, in einer geringeren Größenordnung als zu der Zeit der Atomwaffentests. Aber weiterhin liegt Material herum, das die Geigerzähler zum Knattern bringt. 2006 stießen japanische Forscher in den Böden rings um das Dorf Dolon, über das 1949 die Falloutwolke niedergegangen war, auf Plutonium.18 Sergej Lukaschenko, als stellvertretender Direktor des Nationalen Nuklearzentrums von Kasachstan zuständig für die Verwaltung des Polygons, ist dennoch optimistisch. Wie er mir sagte, könnten nach weiteren Reinigungsmaßnahmen bis zu 80 Prozent des Geländes »der Gesellschaft zur gewöhnlichen wirtschaftlichen Nutzung zurückgegeben werden«.

      Das bedeutet im Umkehrschluss, dass er die übrigen 20 Prozent – ein Gebiet so groß wie Israel – in absehbarer Zukunft weiterhin als unsicher betrachtet. Wie Apsalikow es formuliert, ist das Testareal »nicht die endzeitliche Katastrophenzone, zu der es manchmal erklärt wird, aber es ist auch klar, dass ein Teilgebiet nie wieder zu einem natürlichen Zustand zurückfinden wird, dass die Lage in anderen Gebieten ungeklärt und potenziell gefährlich ist und dass die Menschen vor Ort bis heute Gesundheitsrisiken und psychologischem Stress ausgesetzt sind«.19

      Gerade dieser psychologische Stress ist bedeutsam. Wie die Strahlung ist auch er eine Folge der Atomwaffenversuche. Die Vorstellung, dass man selbst oder das eigene Kind aufgrund von Bombentests, die vor Jahrzehnten im eigenen Land stattfanden, eine Erkrankung in sich trägt, ist beängstigend. Ebenso beängstigend ist es, nicht zu wissen, was aus der nächsten Umgebung überhaupt bedenkenlos verzehrt oder verwendet werden kann und was einen das Leben kosten könnte.

      Eine solche Angst kann einen zerfressen. Bei einer regionalen Untersuchung kam zutage, dass zwei Drittel der Menschen, die die Zeit der Atomwaffentests selbst erlebt haben, glauben, der Fallout sei verantwortlich für die schlechte Gesundheitslage in ihrem Umfeld. Womöglich irren sie sich. »Offenbar führen viele Ortsansässige alle möglichen Probleme auf das nukleare Erbe zurück«, sagt Apsalikow. Doch von der radiologischen Wirkung der Strahlung ganz abgesehen, »sind psychologischer Stress und Angst ein bedeutendes und andauerndes Erbe der Kernwaffenversuche«.20

      Das glaubt auch Atachanowa. Ihrer Ansicht nach waren wohlmeinende Forscher durch die Art und Weise ihres Umgangs mit Menschen, die als Falloutopfer galten, oft wenig hilfreich. »Wissenschaftler untersuchten die Leute und schrieben Fachartikel über sie. Aber geholfen hat ihnen keiner«, erzählte sie mir. »Sie kamen sich vor wie Versuchskaninchen.«

      Vielleicht aber steht diese passive Opferrolle, sei sie nun radiologisch oder psychologisch begründet, zu sehr im Fokus. Forscher, die Zeit bei den Menschen in der Öde von Semipalatinsk verbracht haben, berichten von einer zwiespältigen Haltung gegenüber den Risiken. Viele Leute sind entschlossen, wieder selbst Herr der Lage zu werden. Scheinbar furchtlos widersetzen sich viele den staatlichen Vorschriften und ziehen durch die radioaktiv belastete Steppe, bauen Futterpflanzen an und pflücken wild wachsende Erdbeeren. Schafe und Rinder lassen sie zu Zehntausenden in der Nähe der kontaminierten Testareale und vollgelaufenen Krater weiden.

      Die Dorfbewohner verfügten über eine ganz eigene psychologische Überlebensstrategie, sagt die Ethnologin Magdalena Stawkowski von der Universität Stanford. »Viele behaupten, sie seien ›Mutanten‹ und hätten sich an die Strahlung gewöhnt. Sie betrachten ihr verstrahltes Erbgut als genetisch weiterentwickelt und perfekt an ihr Ökosystem angepasst. Sie halten sich für verbesserte Menschen, die auch in toxischer Umgebung überleben können.« Auf Außenstehende möge eine solche Haltung befremdlich wirken, sagte sie, doch einem ewigen Selbstbild als geschädigtes Opfer sei sie womöglich vorzuziehen.21

       DER PLUTONIUMBERG: GREIFEN SIE NUR ZU!

      Auf den meisten Testgeländen war es nach dem Moskauer Atomteststoppabkommen von 1963 vorbei mit oberirdischen Kernwaffentests. Doch wie in Nevada bedeutete das auch in Semipalatinsk nicht das Ende der Versuche an sich, sie gingen lediglich in den Untergrund. Sie wurden in einen Granitberg in einer entlegenen Ecke des sowjetischen Testareals verlegt, den Geografen unter dem Namen Degelen kennen und viele Mitglieder der Atomgemeinde den »Plutoniumberg« nennen. Er heißt so, weil man das spaltbare Metall, das das Herzstück der meisten Atomwaffen bildet, nur hier und nirgendwo sonst auf der Welt fördern könnte, wenn man wollte. Das Plutonium ist allerdings nicht das Ergebnis geologischer Prozesse. Plutonium ist im Wesentlichen ein vom Menschen hergestelltes Element. Es existiert hier, weil sowjetische Atomingenieure fast drei Jahrzehnte lang, zwischen 1961 und 1989, in 181 in den Berg getriebenen Stollen Experimente durchführten.1

      Viele davon waren gewöhnliche unterirdische Atomexplosionen, bei denen spaltbares Material verdampfte. Allerdings hatten die russischen Bombenbauer eine Vorliebe dafür, die Wirkung konventioneller Sprengstoffe auf Plutonium und dessen Verhalten in verschiedenen möglichen Kampfszenarien zu testen. Bei diesen Experimenten, häufig »Nebentests« genannt, verdampfte das Plutonium nicht und es wurde auch nicht zerstreut. Vielmehr blieben ganze Brocken davon in den Stollen zurück. Die Umweltfolgen sind daher alles andere als nebensächlich.

      Derartige Experimente gab es nicht nur in der Sowjetunion. In der Anfangszeit gingen die USA in der Wüste von Nevada auf ganz ähnliche Weise vor. Die amerikanischen Forscher allerdings kamen bald zu dem Schluss, dass sie damit eine große Schweinerei anrichteten und dass dabei eine unvertretbare Menge Plutonium vernichtet würde. Daher gingen sie schon früh dazu über, derartige Experimente in kleinerem Maßstab und unter kontrollierten Bedingungen im Labor durchzuführen. Die sowjetischen Atomwissenschaftler und Waffeningenieure hatten solche Skrupel nicht. Fast drei Jahrzehnte lang war der Berg Degelen ihr Spielplatz. Als die Forscher 1991 nach dem Ende der Sowjetunion abzogen, ließen sie Hunderte Kilogramm waffenfähiges Plutonium in den Stollen zurück: eine wahre Fundgrube für jeden, der auf der Suche nach radioaktivem Material ist, um damit Unfug anzustellen.

      Vorhang

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