Fallout. Fred Pearce

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Fallout - Fred Pearce

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beeinflussen.«24 Militärangehörige, die an der Sitzung teilnahmen, lehnten den Vorschlag ab. Die befürchteten Rückschläge wurden vierzig Jahre später Wirklichkeit, als die Europäische Kommission für Menschenrechte entschied, die britische Regierung habe gegenüber ihren Soldaten rechtswidrig und unredlich gehandelt.25

      Die Franzosen führten ihre oberirdischen Kernwaffentests zunächst in der algerischen Wüste durch. Doch nach der Unabhängigkeit Algeriens wandte sich auch Frankreich seinen Inseln im Pazifik zu. Zwischen 1966 und 1974 verursachten einundvierzig Tests auf den unbewohnten Atollen Mururoa und Fangataufa Fallout, der über großen Teilen Polynesiens niederging. Die Tests verstießen gegen das internationale Verbot von Kernwaffenversuchen gemäß dem Vertrag von 1963, den Frankreich nicht hatte unterzeichnen wollen. Wie die Amerikaner und Briten vor ihnen, betrachteten die Franzosen die Bewohner vor allem als lästig. Sie praktizierten eine hartnäckige Politik der Geheimhaltung und Leugnung und wiesen lautstark alle Vermutungen zurück, dass der Fallout eine Gefahr darstellen könne.

      Im ersten Jahr der Tests wurde auf den Gambierinseln, vierhundert Kilometer von Mururoa entfernt, das Fünffache der zugelassenen jährlichen Strahlendosis gemessen. Keiner der mehreren Hundert Bewohner war evakuiert worden. Im folgenden Jahr mussten zwei französische Meteorologen, die gut hundert Kilometer entfernt stationiert waren, ins Krankenhaus gebracht werden, nachdem Fallout auf sie niedergegangen war. Die sechzig Bewohner dieses Atolls untersuchte trotzdem niemand.26

      Nach dem Ende der oberirdischen Tests setzten die Franzosen das Programm unterirdisch fort. Als 1985 das Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior in die Sperrzone des Testgebiets eingedrungen war, zog der französische Geheimdienst andere Saiten auf. Nachts versenkten Agenten das Schiff in einem neuseeländischen Hafen, wobei unbeabsichtigt ein Fotograf ums Leben kam, der noch einmal zurück an Bord gegangen war. 1996 wurden die Tests ganz beendet; sie hinterließen ein zerrissenes Atoll, übersät mit radioaktivem Material, darunter auch 18 Kilogramm Plutonium, das beim Auseinanderbrechen einer Bombe in die Lagune gefallen war.27

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      Nach 1945 wurden auf den dreizehn wichtigsten Testarealen mehr als fünfhundert Atomwaffen mit einer Sprengkraft von insgesamt 440 Megatonnen getestet, das entspricht der erschütternden Menge von 29.000 Hiroshima-Bomben. Die Gesamtmenge ihres Fallouts betrug das rund Sechshundertfache dessen, was 1986 beim Unfall von Tschernobyl, der größten nicht-militärischen Nuklearkatastrophe, frei wurde. Mehr als die Hälfte dieser 440 Megatonnen – 239 – wurden auf die gebirgige Insel Nowaja Semlja in der russischen Arktis losgelassen.

      Dort wurde auch am 30. Oktober 1961 die bis heute größte Testbombe gezündet. Mit ihren 50 Megatonnen Sprengkraft war die Zar-Bombe mehr als dreimal so stark wie ihr größtes amerikanisches Gegenstück. Sie hatte das Zehnfache der Sprengkraft aller im Zweiten Weltkrieg abgeworfenen Bomben zusammen, und ihr Atompilz erreichte bei einem Durchmesser von fast 100 Kilometern die siebenfache Höhe des Mount Everest. Ihre Hitze verursachte 110 Kilometer entfernt Verbrennungen dritten Grades, und noch in fast tausend Kilometern Entfernung gingen Fensterscheiben zu Bruch. Nie wieder haben Menschen etwas Vergleichbares getan. Mit einem Viertel der beim Ausbruch des Vulkans Krakatau frei gewordenen Energie erinnerte die Explosion mehr an ein geologisches Ereignis als an eine Bombe. Ähnliches könnte man auch von den 133 unterirdischen Tests behaupten, die nach 1963 auf Nowaja Semlja durchgeführt wurden. Einer löste einen Erdrutsch aus, der zwei Gletschern den Weg versperrte, und ein mehr als anderthalb Kilometer langer See entstand. Durch einen weiteren Test taute der Permafrostboden bis zu einer Tiefe von über 90 Metern auf.28

      Alle Erdbewohner haben vom Fallout der großen Tests aus dem Jahrzehnt zwischen 1954 und 1963 etwas abbekommen; niemand wurde verschont. Er lässt sich in den Wachstumsringen der Bäume ebenso nachweisen wie in den Korallenriffen, den Böden und den Küstensedimenten jedes Kontinents. Auf dem Höhepunkt im Jahr 1963 erhielt jeder Mensch im Durchschnitt eine Dosis von 0,15 Millisievert, was nur etwa vier Prozent einer typischen Jahresdosis aufgrund der natürlichen Umgebungsstrahlung entspricht. Nur in wenigen Gegenden erreichten die Dosen eine Höhe, die wohl zu Schädigungen führen konnte, doch wie wir in Kapitel 20 noch sehen werden, herrscht große Unsicherheit darüber, wie viele Menschen der Weltbevölkerung durch kleinste Strahlendosen ums Leben kommen. Kann sein, dass der Fallout niemanden das Leben gekostet hat, es kann aber auch sein, dass er für den Tod Zehntausender verantwortlich ist.

      Während solche Fragen selbstverständlich wichtig sind, sollten wir darüber nicht die vielen weitaus unmittelbareren Probleme der Menschen aus den Augen verlieren, die das Pech hatten, in der Nachbarschaft von Kernwaffentestgebieten zu leben. Um mir ein besseres Bild davon zu machen, habe ich die bruchstückhaften, aber zunehmend überzeugenden Dokumente durchforstet, die zeigen, was rund um das sowjetische Testareal von Semipalatinsk in der ostkasachischen Steppe geschah, dort, wo früher häufig ein tödlicher radioaktiver Nebel übers Land trieb.

       SEMIPALATINSK: DIE GEHEIMNISSE DER STEPPE

      »All das war viele Jahre lang geheim«, schrieb mir Kazbek Apsalikow, der Direktor des Instituts für Strahlenmedizin und Ökologie (IRME), einer kasachischen Regierungsbehörde. Ich hatte ihn per E-Mail kontaktiert, weil er Mitverfasser eines Artikels über die sowjetischen Kernwaffentests war, die vor einem halben Jahrhundert in Semipalatinsk stattgefunden hatten. In einem hochinteressanten Absatz hatte der Text aus dem Jahr 2014 von einer tödlichen Falloutwolke berichtet, die 1956 über eine Großstadt in Kasachstan hinweggezogen sei. Die 250.000 Einwohner von Ust-Kamenogorsk (heute Öskemen), eines Zentrums der Schwerindustrie, gut vierhundert Kilometer vom Detonationsort entfernt, »waren durch nuklearen Fallout teils Strahlendosen ausgesetzt, die so hoch waren, dass sie akute Strahlenkrankheit auslösten«, hatte Apsalikow geschrieben. In der Folge »[wurden] 638 an Strahlenkrankheit leidende Menschen in ein Spezialkrankenhaus gebracht, das Dispensarium Nr. 3 […] Moskau schickte eine von einem Minister geleitete ›Sonderkommission‹, die herausfinden sollte, was geschehen war.«1

      Apsalikow selbst war in den ehemals geheimen Archiven seines Instituts auf dieses spannende Fitzelchen Information gestoßen. »Leider sind keine weiteren Daten über das Schicksal dieser Leute zugänglich«, erklärte er mir. Vermutlich seien die Akten größtenteils nach Moskau gebracht worden, entweder damals schon oder dann 1991, als die Sowjetunion zerfiel. Was an jenem Tag geschehen war, sollte geheim bleiben. So wissen wir noch immer nicht, wie viele Menschen, die mit akuter Strahlenkrankheit eingeliefert worden waren, am Ende daran starben. Bekannt ist jedoch, dass weitaus mehr erkrankten als nach dem Unglück von Tschernobyl; dort litten 134 Menschen an ähnlichen Symptomen, und achtundzwanzig von ihnen starben wenig später. Überträgt man das Zahlenverhältnis auf Ust-Kamenogorsk, wären dort 130 Menschen ums Leben gekommen. Aber das ist reine Spekulation.

      Nach seiner Inbetriebnahme 1949 hatte sich das Areal von Semipalatinsk zum geschäftigsten Bombentestgelände weltweit entwickelt. Außerdem unterlag das von den Sowjets Polygon genannte Gebiet der strengsten Geheimhaltung. Insgesamt wurden 619 Tests dort durchgeführt, davon 122 oberirdisch. Die in Hauptwindrichtung lebenden Menschen wurden nicht über die Pläne der Bombentester informiert. Viele spürten die Erde beben und sahen das Leuchten und die pilzförmigen Wolken, doch in den Zeiten Josef Stalins stellte man besser nicht zu viele Fragen. Ganz besonders nicht in einer geschlossenen Stadt, wo Uran für die Atomindustrie gefördert und verarbeitet wurde.

      Dennoch war die Fallout-Wolke über einer so großen Stadt ein Weckruf für die Sowjetbehörden. Sie müssen sich gedacht haben, dass es hier um mehr ging als nur ein paar entbehrliche Bauern.2 Daher forderte die »Sonderkommission«, die sich vor allem aus Wissenschaftlern des Moskauer Instituts für Biophysik zusammensetzte, wissenschaftliche Messungen der Radioaktivität, um die Strahlenbelastung der rund eine Million Menschen

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