Fallout. Fred Pearce

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Fallout - Fred Pearce

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Laboratory in Los Alamos. Anfang der 1990er-Jahre – als Boris Jelzin im Kreml regierte und die ehemaligen Sowjetbehörden sich gegenüber technischen Beratern, Geldgebern und Wissenschaftlern aus den USA öffneten – wurde Hecker zur zentralen Figur eines Kraftakts der amerikanischen Nuklearinstitutionen, die sich vom sowjetischen Atomerbe ein Bild machen wollten.2

      Hecker und die anderen Ermittler waren zum einen neugierig. Sie wollten herausfinden, was ihre Gegner während des fast fünfzig Jahre andauernden Kalten Krieges getrieben hatten. Außerdem wollten sie sicherstellen, dass es in Zukunft keine Unfälle mit der nuklearen Hardware der Sowjets gab. Vor allem aber wuchs ihre Sorge darüber, wer sich sonst noch für das spaltbare Material der Russen interessieren könnte. Sie wussten, dass Terroristen, Schurkenstaaten und einfache Kriminelle in den Weiten der früheren Sowjetunion auf eine wahre Wunderkammer strahlender Scheußlichkeiten stoßen könnten. Womöglich würden die Übeltäter außerdem bereitwillige Unterstützung von den Kadern der staatlichen Wissenschaftler und Techniker erhalten, die während der frühen Neunzigerjahre oft noch nicht einmal ihr Gehalt bekamen.

      Durch den Zusammenbruch der Sicherheitssysteme im gesamten sowjetischen Netzwerk von Laboren, Testgeländen, Armeegerätelagern und Kraftwerken »war die Lage im russischen Nuklearkomplex der 1990er-Jahre so gefährlich wie nie zuvor in der Geschichte der Atomenergie«, schreibt Hecker in seinem Buch Doomed to Cooperate. Das Risiko eines Atomkriegs zwischen den Supermächten mochte zwar geringer geworden sein, »aber die Wahrscheinlichkeit eines Einsatzes von Atomwaffen irgendwo auf der Welt hatte zugenommen, weil es möglich wurde, Nuklearwaffen oder nukleares Material zu stehlen oder zur Seite zu schaffen«.3

      1995 brachte seine Reise durch das unbekannte Sowjetsystem Hecker nach Kurtschatow, der eigens zum Unterhalt des Testgeländes errichteten Stadt, benannt nach dem Atompionier Igor Kurtschatow. Früher war sie fast ein zweites Las Vegas gewesen, nur ohne die Hotels. Mitten im Nirgendwo der ostkasachischen Steppe hatte man sie aus dem Nichts hochgezogen, und zu ihrer Blütezeit wohnten hier 40.000 Einwohner auf dem höchsten Lebensstandard, den das Sowjetsystem zu bieten hatte.

      Als Hecker dort eintraf, herrschten andere Zeiten. Anstelle eines lebendigen Orts, bewohnt von den militärisch-industriellen Eliten der Sowjetunion, fand er eine Art Geisterstadt vor, mehr wie Mercury denn wie Las Vegas. Ein paar Tausend Einwohner waren noch da, die meisten angestellt beim Nationalen Nuklearzentrum von Kasachstan, einer damals neuen Behörde, die sich noch in ihre Rolle einfinden musste. Doch die Stadtränder waren zum großen Teil verwaist, und der grandiose Kulturpalast stand verlassen da. Aus der Villa, die einst Lawrenti Beria bewohnt hatte, Leiter der Atomwaffenproduktion unter Stalin, war kurioserweise eine russisch-orthodoxe Kirche geworden.

      »Es war nichts zu hören als eine Herde Pferde, die am Stadtrand frei durch die Straßen lief, und zahllose Raben«, schreibt Hecker. Auch in der Steppe weiter südlich, wo sich das Polygon erstreckt, herrschte Stille. Die Straßen und Türme, Büros und Abschussrampen, die für Hunderte Atomwaffentests erbaut worden waren, lagen verlassen da. Am meisten aber erschreckte ihn der Berg Degelen.

      Er hatte gehört, er sei schlecht gesichert, und die Menschen aus der Gegend würden darin nach Altmetall graben, das zum Teil bereits im benachbarten China aufgetaucht sei. Das allein war schon schlimm genug. Jedes Stück Schrott war potenziell mit Plutoniumpartikeln kontaminiert. Womöglich war manch einer sogar auf der Suche nach Plutonium, das sich verkaufen ließe. Was ihn jedoch überraschte, war das Ausmaß der Aktivitäten. »Ich hatte Kerle mit Kamelen erwartet, die Kupferkabel aus dem Boden ziehen«, schrieb er 1998 in einem Bericht. Stattdessen sah er »meilenlange Gräben, die nur mithilfe schwerer Baumaschinen angelegt worden sein konnten«. Auf dem ganzen Gelände wurde in industriellem Ausmaß nach Metallen gegraben.4

      Durch den Wegfall der Arbeitsplätze auf dem Testgelände blieb den Einheimischen wenig anderes übrig, als den nuklearen Müll nach allem zu durchforsten, was sich verkaufen ließ. Da sie die Stollen ja selbst angelegt hatten, wussten sie ganz genau, wo etwas vergraben lag. Sie hatten sogar ein Vorbild. Der letzte russische Bürgermeister der Stadt Kurtschatow war 1993 wegen Plünderungen gefeuert worden.

      Solche Plünderungen waren in den 1990er-Jahren weit verbreitet. Die Täter hatten sich an den zurückgelassenen sowjetischen Bergbaumaschinen bedient und trugen Waffen. Es ist nicht bekannt, dass Plünderer Plutonium aus dem Berg entnommen oder in ernstem Maß Kontaminationen erlitten hätten, aber niemand kann mit Sicherheit sagen, was diese Leute in den Jahren der Gesetzlosigkeit haben verschwinden lassen. Hecker schätzt, in dem Berg könnten 200 Kilogramm Plutonium liegen. Angesichts der offenen Tore und der Abwesenheit von Wachpersonal hätte man das Material »leicht aufsammeln können, [es war] für jeden leicht zugänglich«.

      Kaischa Atachanowa, die Biologin und Umweltschützerin, erzählte mir 2005, wie Dorfbewohner, die sie kannte, regelmäßig Halden aufgruben, in denen die abziehenden Russen militärische Ausrüstung vergraben hatten. Sie fanden Flugzeuge und Panzer, die man während der Atomtests im Freien hatte stehen lassen, um herauszufinden, welche Schäden sie davontragen würden. Während ihrer Forschungen an Wildtieren »haben wir diese Halden regelmäßig aufgesucht, und dabei habe ich beobachtet, dass sie immer kleiner wurden«. Die Stollen im Berg Degelen waren ein bevorzugtes Ziel der Plünderer. »Mit der Hilfe der Amerikaner wurden die Eingänge zu den Stollen, in denen unterirdische Tests stattgefunden hatten, versperrt, aber die Leute vor Ort öffneten sie wieder, um an den wertvollen Schrott zu kommen.«5

      Über zehn Jahre lang kämpfte Hecker unter nahezu vollständiger Geheimhaltung gegen das Misstrauen und die Verschwiegenheit, bis das 150-Millionen-Dollar-Projekt, den Plutoniumberg abzusichern, vollendet war. Es war eine anstrengende und manchmal gefährliche Aufgabe.

      Mit einem Picknick vor Ort wurde im Oktober 2012 das Ende der Sanierungsarbeiten gefeiert. Nun sei alles sicher, die Stollen seien zubetoniert und das Sicherheitspersonal tue seinen Dienst, versicherte Sergej Lukaschenko, der neue kasachische Verantwortliche für die Sicherheit des Bergs, den Anwesenden. Sogar amerikanische Militärdrohnen standen ihm zur Verfügung, um Eindringlinge aufspüren zu können. Es sei immer noch Plutonium im Berg, ein Zugang jedoch nun »unmöglich«, sagte Lukaschenko.6 Das ist beruhigend. Doch Plutonium hat eine Halbwertszeit von Tausenden Jahren. Wie lange wird es Wachpersonal und Drohnen geben? Wie lange wird der Beton halten? Wird das Wissen um die Schätze im Berg das Pflichtbewusstsein der Wächter überdauern?

      Womöglich ist es schon bald so weit. Nur Monate nach dem feierlichen Picknick berichtete das Belfer Center der Universität Harvard, ein kasachisches Vermessungsteam habe fünf weitere Areale in der Umgebung des Bergs gefunden, wo bislang unbekannte Experimente mit Plutonium stattgefunden hätten. Es gebe dort so viel Plutonium in ausreichend hoher Konzentration, dass ein großes Risiko der Proliferation bestehe. Das Center zitiert Byron Ristvet von der Defense Threat Reduction Agency, einer Dienststelle des Pentagon, wonach »an manchen Stellen […] jemand mit einem Kleinlaster und einer Schaufel schon genug [für eine Bombe] zusammenbekommen würde«. Anscheinend hat der Plutoniumberg noch nicht alle seine Geheimnisse offenbart.7

      In den westlichen Ländern diskutieren die Behörden mit Umweltschützern, wie Atommüll, der Plutoniumspuren enthält, während der langen Zerfallsdauer sicher gelagert werden kann. Wie tief unter der Erde muss er liegen? Unter welchen geologischen Voraussetzungen? Welche Risiken bergen Erdbeben, steigende Meeresspiegel und der Klimawandel? Im Plutoniumberg hingegen liegt das Metall – von dem bereits ein bisschen Abrieb tödlich ist und eine Handvoll für eine Bombe ausreicht – brockenweise und nahe der Oberfläche herum, mit einer maroden Betondecke als einzigem Schutz. Kein schöner Gedanke.

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      Auf den früheren britischen Testgeländen in Südaustralien ist die Lage vermutlich kaum besser. Dort habe man »viel Schindluder getrieben«, schrieb Ian Anderson, mein Melbourner Kollege vom New Scientist, 1993 in einem Exklusivbericht: »Wie neue Anhaltspunkte

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