Bauern, Land. Uta Ruge
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Als Thaer mit seiner Musterwirtschaft in Celle begann, war all dies noch im Schwange. Seine große Tat war eine neue Logik der Planung und Bewirtschaftung. Nicht mehr das Dorf stand als die kleinste landwirtschaftliche Einheit im Mittelpunkt, sondern der einzelne Betrieb. Als Praktiker nutzte er seine eigene Brache, die nicht mehr die Brache des ganzen Dorfs war, um Futterpflanzen und Hackfrüchte wechselweise anzubauen. Er zeigte, dass mit dieser Art Fruchtwechsel, Getreide und Rüben, später auch Kartoffeln, selbst ohne Brache gute Erfolge erzielt wurden. Und durch den Einsatz neuer Geräte und Maschinen konnte bei ihm oft mehr vom Feld geholt werden, weil es schneller ging und einem seltener die Ernte noch in letzter Minute verhagelte oder einregnete. Als Arzt empfahl er zudem die langsam aufkommende Kartoffel als Nahrungsmittel und bescheinigte ihr, dass sie eine vollwertige Ernährung für die Bevölkerung sei.
Von nah und fern kamen Grundbesitzer und Gutsherren – nur sie konnten seine Schriften lesen und hatten Zeit und Geld, um zu reisen –, besuchten das cellesche Mustergut und hatten tausend Fragen. Thaer begegnete dieser Anforderung, indem er zu festen Terminen kleine Fragestunden abhielt, 1799 die »Annalen der Niedersächsischen Landwirthschaft« gründete und dort Fragen und Antworten publizierte. Schließlich eröffnete er 1802 das erste landwirtschaftliche Lehrinstitut. Auch ging er bald selbst viel auf Reisen, fuhr nach Mecklenburg, Holstein und Brandenburg, stieß auf viele ungelöste Probleme von Ackerbau und Viehzucht, machte neue Erfahrungen in Bodenbearbeitung und Gerätegebrauch, führte Experimente in Woll- und Milchviehbehandlung, Pflanzen- und Tierkrankheiten durch, und er überzeugte sich von der Notwendigkeit, bessere Samen zu züchten. Er las und schrieb unermüdlich, berichtete auch über seine Misserfolge, was ihn bei Praktikern besonders glaubwürdig machte.
Tatsächlich war unter dem Bevölkerungsdruck in Europa eine Zeit permanenter Erforschung und Anwendung neuer landwirtschaftlicher Erkenntnisse angebrochen. Es war die hohe Zeit der Beobachtung und Beschreibung von Ursache und Wirkung. Thaer hatte bei den Versuchen auf seinem Celler Mustergut und bei den Reisen im ganzen Land bald begriffen, dass es auf die Art des Bodens ankam, welche Feldfrüchte dort mit welchem Erfolg angebaut werden konnten. Regeln konnten immer nur für einen bestimmten Standort gelten und nicht für einen anderen. Auch auf den Rhythmus des Anbaus kam es an. Zuerst hatte er eine durch Kleeanbau verbesserte Dreifelderwirtschaft versucht, dann kam er auf einen vierschlägigen Fruchtwechsel – Wintergetreide, Hackfrüchte, Sommergetreide, Klee. Damit erreichte Thaer einen um 30 Prozent höheren Ertrag, denn der Wechsel von Halm- und Blattfrucht verbesserte den Bodenhumus, der Boden hielt besser die Feuchtigkeit, weniger Insektenbefall war die Folge. Klee und Kleeheu kamen außerdem den Kühen zugute, die auch im Sommer im Stall gehalten wurden, damit der Dung wirksamer gesammelt und auf den Feldern verteilt werden konnte. Die Fruchtbarkeit des Bodens verbesserte sich, und das Einarbeiten des Mists bekämpfte gleichzeitig das Unkraut, während es die Erde für die nächste Einsaat vorbereitete. Die Milch der Kühe war für die Bauern weniger wichtig als die männliche Nachzucht, die nächste Generation von Spannvieh, die Ochsen vor dem Pflug.
Wollte man die anwachsende Bevölkerung ernähren, musste in der Landwirtschaft wirklich alles neu bedacht werden. Vielleicht konnte ein Außenseiter am ehesten die Dinge ohne Vorurteile betrachten – und verändern. Schon früh hatte Thaer geschrieben: »Der Instinkt des Menschen überhaupt ist: nach der Vernunft handeln. Er muss sich bei jeder Erscheinung Ursache und Wirkung denken.«
6. KAPITEL
ENDE DES 18. JAHRHUNDERTS
Protokolle der Moorkonferenzen reisen per Pferdekutsche nach London. Die ersten Anbauer, Aschedüngung und Buchweizensaat.
WENN DIE HANNOVERSCHE REGIERUNG ein neues Dorf plante, wurde als Erstes das Land vermessen. Man prüfte die Boden- und Wasserverhältnisse, wandte die neuesten Methoden der Kartierung an und zeichnete Landkarten. Aus diesen Aufzeichnungen wurden Akten, und aus Akten wurden Aktenberge. Immer mehr Ämter wurden mit immer mehr Untersuchungen beauftragt und um Gutachten gebeten. Die sich ansammelnden »Promemoria«, »Protocolle« und »Rescripte« wurden gebündelt und der nächsthöheren Behörde vorgelegt.
Wer die originalen Dokumente aus den Archiven gräbt, trifft auf dicke Papierstöße in dünnen blauen Aktendeckeln, mit zähen Bändern kunstvoll verschnürt. In verschiedenen Handschriften aus verschiedenen Zeiten stehen auf ihnen die Inhalte angegeben. Schnürt man die Akten auf, stößt man auf die handgeschriebenen Briefe, Doppelbögen aus dickem, lederartigem, handgeschöpftem Papier in einem länglichen Hochformat, an den Rändern verdunkelt und zerlappt und geziert mit dem Stempel über die Bezahlung der Gebühr – »vier Schilling, zwei Gute Groschen«.
Die Faltung der Bögen zeigt, in welcher Weise sie Brief und Umschlag zugleich waren, das dunkelrote getrocknete Siegelwachs an den Aufbruchstellen der Briefe war oft noch vorhanden. Mühsam stolpert man durch die Tabellen, Protocolle, Promemoria und Rescripte – und schließlich trifft man auf die Meyerbriefe der Mooranbauer, aus mittelalterlichen Meyerbauern* hatten sich Erbpächter entwickelt. Kaum etwas ist je verständlich ohne eine Übersetzung all jener Worte, die ihre Bedeutungen längst verändert haben. Und wenn man dann auf die Unterschrift eines Bauern auf seinem Meyerbrief stößt, wird einem die große Kluft deutlich, die zwischen diesen Schriften und ihren Schreibern auf der einen und den Kolonisten auf der anderen Seite geherrscht hat. Die Unterschrift der Bauern besteht nicht selten aus drei Kreuzen, zittrig gemalt wie von Kinderhand – nicht wie ein X, sondern aufrecht gestellt wie Grabkreuze.
Unter den Akten befindet sich auch das schriftliche Hin und Her jahrelanger Prozesse, die bei Beginn der staatlichen Moorkolonisation von benachbarten Gemeinden gegen den Landesfürsten geführt wurden. Schließlich hatten sie von den angrenzenden Mooren selbst Gebrauch gemacht, und es dauerte seine Zeit, bis Gerichte entschieden hatten, es gehöre den Landesherren.
In Vertretung des Landesherrn, der gleichzeitig als britischer König fungierte, also in London saß, wirkten in Hannover die sechs »Geheimen« oder auch »Geheimten Räthe«, die dem Souverän in Abwesenheit seine Geschäfte führten. Zweimal in der Woche gingen reitende Boten aus Hannover nach London zur Deutschen Kanzlei ab. Und seit Beginn der Personalunion 1714 mussten alle drei Monate in Hannover je sechs Pferde vor zwei Kutschen voller Akten gespannt werden. Ohne Unterbrechung fuhren sie in hohem Tempo, wie es die Wege hergaben, außer zum Wechsel der Gespanne an bestimmten Relaisstationen wurde nicht haltgemacht, Zollschranken durften die königlichen oder kurfürstlichen Kutschen ignorieren. Über Nienburg und Wildeshausen gelangte man zum niederländischen Hafen Hellevoetsluis, einem wichtigen Hafen nahe Rotterdam in Südholland. Dort schifften sich die zweimal wöchentlichen Kuriere und Quartalskutschen auf die Paketschiffe ein, dann konnte man nur noch hoffen, einen fähigen Seemann und gnädige Winde zu erwischen, um unbeschädigt in Harwich an Land zu kommen. Das Wetter über Nordsee und Ärmelkanal ging selten sanft um mit den Seglern, die sie befuhren, und natürlich sind während der über hundert Jahre währenden Personalunion auch einige königliche Boten und Botschaften untergegangen. Wenn es aber gut gegangen war, rasten die Kutschen und Kuriere vom Hafen in Harwich direkt weiter nach London und fuhren und ritten dort ein in den Hof des St.-James-Palasts, in dem die Deutsche Kanzlei residierte. Die Reise dauerte eine Woche, in eiligeren Fällen legten reitende Kuriere sie auch einmal in vier Tagen zurück.
Im St.-James-Palast packten eilfertige Diener dann die Aktenberge