Bauern, Land. Uta Ruge
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Das einmonatige Baby der Lafrenzens war nur eines der vielen Kleinkinder, die immer noch an den Pocken erkrankten und starben. Dabei lag die erste Schutzimpfung im Lande Hadeln zu diesem Zeitpunkt schon dreizehn Jahre zurück. Bis zu den ersten Impfungen Mitte des 18. Jahrhunderts starb ein Drittel aller erkrankten Kinder, und viele Erwachsene lebten mit entstellenden Narben am ganzen Körper und im Gesicht. Mit der ersten Schutzimpfung in Hadeln hatte übrigens Johann Heinrich Voß zu tun gehabt. Seine Frau Ernestine, Mutter von sechs Kindern, berichtete in einem Brief: »Voß hatte schon oft mit unserm alten Arzte über Einimpfung geredet, was damals in Hadeln noch für einen Eingriff in Gottes Vorsehung galt«, und also abgelehnt wurde. Erst als Voß den Otterndorfer Hausarzt um sein Besteck bat und drohte, die Impfung selbst vorzunehmen, willigte der ein. So konnte Ernestine berichten: »Viele Besuche erhielten wir in dieser Zeit besonders von Landbewohnern, die sich das Gute bei der Sache wollten erzählen lassen. Der Alte predigte nun die Impfung überall, als sei sie von ihm ausgegangen, und das Vertrauen der Eltern hatte den glücklichsten Erfolg, denn von 60 Kindern, die er bald darauf impfte, starb nur eins.« Dies hatte sich bereits 1781 zugetragen, aber zu vermuten ist, dass die hier geimpften Kinder aus den Familien der Marschbauern stammten, die Geld für Medikamente hatten. Erst 1821 wurde die Impfpflicht im Hannoverschen eingeführt. Aber hätten die Leute im Bachenbrucher Moor die Zeit für die Reise zum Arzt und das Geld für sein Honorar aufgebracht, selbst wenn sie von den Schutzimpfungen gewusst hätten?
1796 folgte zwei Jahre nach dem Tod des ersten Babys die nächste Eintragung eines Sterbefalles in der Familie, dieses Mal für »Anna Lafrenz, eine Tochter von Barthold u Adelheit im Bachenbrücher Moore«. Ihr Alter ist angegeben mit einem Jahr und drei Monaten – und wieder war das Kind abends und ohne Feier beigesetzt worden. Die Todesursache der kleinen Anna bleibt ungenannt, erst fünfzig Jahre später, wenn alle Eintragungen zunehmend rubriziert und geordnet sind, wird es eine Rubrik für die »Todesart« des Beigesetzten geben.
1800 stirbt ein weiteres Kind der Familie. Bevor aber Barthold und Adelheit noch ein viertes und fünftes Kind verlieren, wird 1801 der Bruder Claus Lafrenz zu Grabe getragen, Pächter jener Hofstelle, auf der in meiner Kindheit Onkel Edu lebte. Mit nur vierzig Jahren wurde Claus Lafrenz »auf dortigem Kirchhof, mit meiner Leichenrede« beigesetzt, schreibt der Pastor. Die Lafrenz-Witwe Rahel war eine geborene Wölbern, eine Schwester oder Cousine von Bendix Wölbern, der seine Hofstelle seit 1783 zwischen den Brüdern Barthold und Claus hatte, also auf ›unserem‹ Hof; auch die Namen von Claus und Rachels Kindern weisen auf das verwandtschaftliche Verhältnis hin – sie hießen Adelheid und Berthold.
Nach dem Tod des Bruders Lafrenz wird im Jahre 1803 die Beisetzung des elfmonatigen Sohnes Carsten und im selben Jahr noch die eines vierten Töchterchens, der kleinen Margareta, im Alter von knapp zwei Jahren gemeldet; beide haben im Verlauf nur eines Monats »im bachenbrücher Anbau, auf dortigem Friedhof des Abends« stattgefunden.
Fünf Kinder sind dem Paar auf dem Hof zu unserer Rechten im Verlauf von sieben Jahren gestorben. Drei der toten Kinder erscheinen nicht einmal in der heitmannschen Dorfchronik. Fast möchte man denken, dass dem Chronisten die Tode zweier Kinder schon genug der Qual gewesen seien für die Eltern, denen der Verlust ihres Ältesten da noch bevorstand. Und tatsächlich befinden wir uns ja in dem Jahrhundert, in dem die Hälfte aller Kinder vor dem dreizehnten Lebensjahr stirbt und das mittlere Sterbealter der Erwachsenen bei dreißig Jahren liegt.
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