Bauern, Land. Uta Ruge
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So geschah es auch mit der Berechnung der Freijahre. So hieß es in diesem Schreiben, »… declariren Wir hiermit, daß man damit nicht etwan warten müße, bis alle Stellen eines Mohr-Anbaues vollzählig sind, oder wie einige Mohr-Anbauer in dem Wahn stehen, bis alle Dämme, Canaln, Brücken und dergleichen völlig fertig sind, sondern, daß die einer neuen Mohrdorfschaft verstrichenen Frey-Jahre für jeden einzelnen Mohr-Anbauer von dem Jahre angerechnet werden sollen, da er seine Mohr-Anbauerstelle antritt, und in Arbeit nimmt.« Ebenso solle man, hieß es weiter, diese Zahlungen streng einfordern, »damit die Anbauer sich gleich von Anfang an, an eine accurate Entrichtung ihrer Abgaben gewohnen«. Schließlich werde ja wohl, so nahm man irrigerweise an, nach Ablauf der Freijahre ein »guter Wohlstand« erreicht sein, sodass man das Pachtgeld dann »mit Fuge [rechtens] verlangen« könne.
Zurück zu den Anbauern im Bachenbrucher Moor und den Klagen über sie, die Amtmann Schubart in seinem Brief 1790 zusammenfasste. Es war offenbar unerträglich für die zuständigen Behörden, dass selbst Pastoren bei diesen Bauern manchmal nicht die rechten Amtswege einzuhalten wussten. So wird beklagt, es hätten Pastoren einer falschen Ortschaft »Copulationes vorgenommen«, also Eheschließungen vollzogen, und zwar »ohne Bescheinigung der geschehenen Proclamation«, also ohne das öffentliche Aufgebot aus der Heimatgemeinde anzufordern. Selbst Taufen sind von den falschen Pastoren getätigt worden, und die zuständigen »Prediger« hätten sich »über die Eingriffe bereits bey hiesigem Consistorium beschwert«. Denn die »richtigen« Pastoren, die ja von den Mitgliedern ihrer Gemeinde für jede Amtshandlung bezahlt wurden, hatten den Schaden davon gehabt.
Nur wenige Tage nach diesem höflichen, aber doch auch deutlichen Amtsbrief gibt der nächsthöhere Beamte die Sache schon weiter nach Hannover an die »Hochwohlgebohrnen Herren, Höchstgeehrtesten Herren Geheimte Räthe«. Man stelle sich hier die Perücken noch etwas feiner gelockt und gepudert und die Kniestrümpfe seidiger vor.
Der Beamte stellt den Räthen – heute etwa Minister oder Staatssekretäre – die ganze Sache noch einmal vor. Auch er, der Erklärer, macht wieder Fehler, was die Zuständigkeiten angeht. Und er schließt mit dem entscheidenden Hinweis, auch der Amtsschreiber Nanne, der bisher für die Leute des »Anbaus in dem zum Lande Hadeln gehörenden Bachenbrucher Mohre« zuständig sei, habe gemeint, die Höfe seien »in ihrem Fortkommen so weit gediehen«, dass man sie jetzt »der unmittelbaren Besorgung der Obrigkeit in Otterndorf füglich ganz überlaßen« könne. Er empfiehlt den hohen Herren, dieses Moordorf ganz zum Amte Otterndorf zu schlagen.
Man will sie loswerden.
Und man ist sie losgeworden. Einige Jahre später, nämlich 1809, lesen wir in einem Dokument von einem Stück Land, das zu einem Meyerhof in einer Nachbargemeinde gehörte, dass es nunmehr »an Bartel Lafrenz, Neuenbachenbruch Amts Otterndorf abgetreten worden«. Damit wären wir wieder bei unserem Nachbarn zur Rechten – und fast auch schon beim endgültigen Dorfnamen Neubachenbruch, wie er hier in einer frühen Version auftaucht.
Der dokumentierte Akt war kein simpler Kaufakt, wie man ihn heute kennt. Vielmehr wurde 1809 ein höchst kompliziertes Dokument aufgesetzt, das den Eintritt des Barthel Lafrenz in die Meyerrechte und -pflichten des vorherigen Pächters regelt.
Zwar handelt es sich nur um ein kleines Stück Land, aber mit der Transaktion sind nicht nur die beiden beteiligten Bauern beschäftigt, sondern dazu der Grundbesitzer – in diesem Fall tatsächlich ein Gutsherr –, sein Verwalter und der Staat in Gestalt des Amtsschreibers. Denn auch die an das Land gebundenen Rechte müssen übertragen werden, und es muss dafür ein Geld, eine Gebühr, ein Zins und ein »Weinkauf«* bezahlt werden.
Von irgendwoher mussten die Gelder ja kommen für die seidenen Strümpfe und die feinen Überröcke, das gute Leben der Beamten.
Was aber nun der Amtswechsel für die Moorbauern von Neuenbachenbruch bedeutet hat, können wir nur noch vermuten. Mindestens ist ihr Weg zu den zuständigen Beamten, Schreibern und Händlern ein wenig kürzer geworden. Denn zu den nördlichen Nachbargemeinden schipperte man per Kahn über die Wettern und Gösche – den örtlichen Wasserwegen, die damals die Hauptwege waren. Und von dort aus gelangte man mit dem Kahn über die träge fließende Medem bis nach Otterndorf zu Markt- oder Amtsgeschäft. So jedenfalls hat es Rektor Voß beschrieben, dass nämlich die Sietländer auf Kähnen über die Medem kamen und ihre Milch verkauften, vor allem auch die Butter, von den Bäuerinnen in kühlende Kohlblätter gewickelt. Milchprodukte gab es auf der Marsch noch wenig. Da regierte der Getreideanbau, der Umstieg auf Milch- und Mastvieh lag noch in der Zukunft.
Mit dem Wegfall von Neuenbachenbruch für das Amt Bremervörde war man den Ärger mit diesen Anbauern los, die sich reichlich frech benahmen. Und die übrigens fortfuhren, aus ihrer Lage am Rande von gleich drei Kreisen und Zuständigkeiten Vorteile zu ziehen, ganz gleich, ob die Zentralregierung hannoversch, französisch oder preußisch war. Irgendwie war dieses Dorf in einem moorigen Bermudadreieck gelandet, in dem sich jegliche Obrigkeit abschwächte und sogar, zumindest auf Zeit, auch einmal ganz versank.
15. KAPITEL
18. JAHRHUNDERT
Familie Lafrenz im Kirchenbuch. Johann Heinrich Voß drängt auf die erste Pockenimpfung im Hadelner Land.
ENDLICH LIEGEN DIE KIRCHENBÜCHER von Steinau vor mir, unserem traditionellen Kirchdorf. Ich hatte lange nach ihnen gesucht, mich selbst in den komplizierten Zuständigkeiten verheddert, die auch komplizierte Archivierungen mit sich gebracht haben. Aufbewahrt wurden sie in einem verschlossenen Stahlschrank des Kirchenbüros, einem Bungalow aus den 1970er-Jahren gegenüber der Kirche.
Verschieden große, schwere Folianten, eingeschlagen in manchmal eingerissenes schwarzes Papier, sind zu durchforsten. Völlig unbeschädigt sind die Blätter aus dickem, handgeschöpftem Papier des 17. und 18. Jahrhunderts. Auf ihm machten die Pastoren ihre Eintragungen, in großzügiger Handschrift verzeichneten sie auf der ganzen Seite manchmal nur eine einzige Taufe.
Vor dem Fenster des Büros jagt ein Regenschauer den anderen. Wenn die schwarzen Wolkenballen einmal die Märzsonne durchlassen, bringt ihr Licht die Regentropfen zum Glitzern, die an den kahlen Zweigen der Büsche hängen. Nur einmal in der Woche ist das Büro für Gemeindemitglieder geöffnet. Die Frau, die hier ihren ehrenamtlichen Dienst versieht, hat mich freundlicherweise an einem Nachmittag eingelassen, an dem eigentlich geschlossen gewesen wäre. Die Heizung schafft nur langsam, den Raum zu wärmen.
Ich suche die ersten Taufen, Beerdigungen und Hochzeiten, die in unserem Dorf stattgefunden haben. Aber sie sind schwer zu finden, denn über sechs Jahrzehnte hatte das Dorf keinen eigenen Namen. Seine Bewohner wurden zuerst subsumiert unter dem Namen Bachenbruch, dann als »Anbauern im bachenbrucher Moor« bezeichnet, das Dorf selbst wechselweise »bachenbrucher Moor«, »Anbau in Bachenbruch« oder »neubachenbruch moor« genannt. Auf vielen Seiten finde ich immer wieder Kinder, die kurz nach, manchmal schon vor der Taufe starben, dennoch kirchlich vermerkt sind, N.N. heißt der Eintrag, auch sie blieben ohne Namen.
Mit zunehmend klammen Fingern blättere ich mich durch die Kirchenbücher, wälze – buchstäblich – die schweren Folianten hin und her.
Nach Stunden und Tagen im Archiv tauchen Geschichten auf.
Da ist vor allem die der Familie Barthold und Adelheit Lafrenz, oder auch mal Lafrens, nach der ich gesucht habe.
Einträge über die Bewohner der Hofstelle zu unserer Rechten beginnen 1794, also dem zehnten Jahr ihres Lebens in der Moorkolonie,