Bauern, Land. Uta Ruge
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»Ist es aber nicht?«
»Das ist doch Mist«, sagt mein Bruder wütend und schiebt den Stuhl schon zurück, um gleich aufzustehen, »wenn man weggeht von der eigenen Molkerei, die wir hier selbst mal gegründet haben. Zehn Kilometer von hier ist die Verarbeitung, da sind Arbeitsplätze, und unsere Milch wird in den hiesigen Supermärkten verkauft. Das ist doch bekloppt, dass man von da weggehen muss, weil ein Großkonzern sie gekauft hat! Und der hat inzwischen mehr Angestellte als bäuerliche Mitglieder – also Milcherzeuger.« Bevor ich noch nachfragen kann, ist Waldemar schon rausgegangen.
Am letzten Morgen bin ich mit den anderen zusammen um sechs Uhr aufgestanden.
Es ist schon hell, die Sonne aber noch nicht über den Horizont gekommen.
Ich denke darüber nach, wie fern uns Stadtbewohnern ein solches Leben ist, wenn der erste Gang am Morgen der in den Stall ist. Alltäglich und ein Leben lang ist vor dem Frühstück immer zuerst das Vieh an der Reihe.
Dabei geht es nicht nur ums Melken, sondern auch um das Füttern und Misten und Einstreuen, das Sichkümmern um Gesundheit und Sicherheit der Tiere, weil man ohne ›Tierwohl‹, wie es heute heißt, keine Qualität von ihnen kriegt in Sachen Fleisch, Eier, Milch, sozusagen Haut und Haar.
Der Himmel leuchtet morgendlich blau und rosa, dazu ein Vogelkonzert, Kälberblöken und Bäume, die sich im langsam abflauenden Wind wiegen.
Nach dem Frühstück fahre ich zurück nach Berlin.
In den nächsten Monaten und Jahren hat sich der Druck auf die Milchbauern verstärkt.
War der durchschnittliche Erzeugerpreis 2013, also zwei Jahre vor dem Ende der Milchquote, bei 30 Cent pro Kilo und stieg er bis zum Dezember sogar noch auf 42 Cent an, so war er im Frühjahr des Quotenendes unter 30 Cent gefallen – und weiter im freien Fall. Bis auf 19 Cent ging er herunter, Aldi senkte die Preise der Vollmilch um ein Drittel. Milchbauern landeten derweil mit Burn-out in Rehakliniken, viele gaben hoch verschuldet ihre Höfe auf. Einige nahmen sich das Leben.
14. KAPITEL
1783
Was die Amtmänner an den neuen Anbauern im Bachenbrucher Mohr stört – ein Schriftwechsel über manche Inconvenzien und unziemliche Bedrohungen.
DEM AMTSSCHREIBER NANNE aus dem Amt Bremervörde, in jenen Jahren zentral für die Moorkolonisierung nördlich von Bremen zuständig, wurde im November 1783 bestätigt, dass ihm »die Iurisdiction über die neuen Anbauern im Bachenbrucher Mohr, vorerst auf 12 Jahre« aufgetragen sei. Schon ein paar Jahre später soll der Mann in das Amt Rotenburg versetzt werden. Aus diesem Anlass, so meinen die Obrigkeiten, könne man die Bachenbrucher Anbauern doch eigentlich auch gleich dem Amt Otterndorf unterstellen. Die Gründe dafür liegen in den komplizierten Zuständigkeiten für dieses Dorf und haben über die Jahre zu einigem Verdruss geführt.
Amtsschreiber waren die Assistenten der Amtmänner, ihrerseits juristisch und auch »cameralistisch« gebildete Verwaltungsleute, meist aus niederem Adel und direkt dem Landesherrn unterstellt. Man muss sich da Männer mit gepuderten Perücken denken, als höchste Würdenträger auf dem Lande trugen sie Seiden- oder auch Wollstrümpfe bis zum Knie, dazu eine Kniebundhose und einen langen, geknöpften Rock aus gutem Tuch, mal mit aufwendigen, mal mit schlichteren Knöpfen und Manschetten geschmückt. Ihre Assistenten, die Schreiber, stammten aus kleinbürgerlichen Familien und waren wenig gebildet, im besten Fall von praktischem Verstand und womöglich sogar Menschenkenntnis. In jedem Fall musste so einer genug Kanzlei-Latein verstehen, um die komplizierten Briefe jener Zeit, voller juristischer Formeln und sprachlicher Verbeugungen und Kratzfüßen, sowohl zu verstehen als auch selbst zu verfassen. Und in unserer Gegend hat so jemand auch Plattdeutsch sprechen oder mindestens verstehen müssen.
Durch die bevorstehende Versetzung von Amtsschreiber Nanne erfahren wir mehr über die Situation der Anbauer im Bachenbrucher Moor.
Da heißt es in einem Brief des Amtmannes Schubart von Otterndorf, eines weiteren Perückenträgers, im März 1790: »Da die Bachenbrucher Anbauer zum Lande Hadeln gehören, sehr vielen Verkehr mit den Landes Eingeseßenen haben, so möchte es nach meinem geringen Ermeßen sehr gut seyn, wenn dieselben der hiesigen Jurisdiction unterworfen wären.« Denn tatsächlich hätten die Verhältnisse so, wie sie bisher seien, schreibt er, »zu manchen Inconvenzien Anlaß gegeben«.
Beispielsweise sei es nicht allen, die mit den Anbauern zu tun hätten, bekannt, dass diese zwar Hadelner seien, jedoch der Rechtsprechung vom Amt Bremervörde unterworfen. Wer über sie Klage führen wolle, gehe damit ins Hadelnsche Otterndorf, »und wenn sie damit abgewiesen werden, [würden sie] sich über die weiteren Wege beschweren, und die Sache lieber ruhen lassen«. Mit anderen Worten, den Anbauern gegenüber war schwer recht zu bekommen. Schlimmer noch, »scheinen auch die Bachenbrucher dafür zu halten«, dass sie zu bestimmten Zahlungen dem Staat gegenüber nicht verpflichtet seien. Vielmehr fühlten sie sich befugt, die entsprechenden Beamten abzuweisen, was sogar schon »mit unziemlichen Bedrohungen« geschehen sei.
Ich stelle mir vor, wie einer der Anbauer, Holzschuhe an den Füßen, vielleicht mit einem Spaten oder einer Forke in der Hand, dasteht, und vor ihm der in feinen Zwirn gehüllte Amtsträger. Der Amtliche ist selbst auch nur Bote des Schreibers und nicht begeistert davon, in diese Wildnis hinausreiten zu müssen, in der es noch kaum Wege gibt, von Ortsschildern nicht zu reden. So mag er dann vom hohen Ross herab dem Bauern gewunken und ihm bedeutet haben: Er muss zahlen. Dass der Bauer, vielleicht war es Barthold Lafrenz, ihm dann nur wütend seine Forke entgegengehalten und etwas Deutliches auf Plattdeutsch gesagt und ihn dann stehen gelassen hat, ist leicht vorstellbar.
Im Übrigen ist die Frage, zu welchen Abgaben die Anbauer trotz ihrer zwölf Freijahre von Anfang an verpflichtet waren, nicht so einfach zu beantworten. Natürlich sind den Anbauern Meyerbriefe ausgestellt worden. In ihnen wurden die Hofstelle und die dazugehörigen Grundstücke benannt, die der Bauer und seine Frau »mit aller Zubehör und Gerechtigkeit« zum Besten beider Vertragspartner »genießen, gebrauchen, flocken und fleußen« dürfe und wenn er dies »fleißig und getreulich« durchführe, so würde der Grundherr ihn »vertreten und beschützen«; wichtig war für die Bauern, dass ihren Nachkommen eine Art Vorkaufsrecht eingeräumt wurde. Dass aber noch vieles mehr in diesen Verträgen geregelt werden musste, ist in einem ausführlichen Schreiben von 1784 an die vier betreffenden Ämter dargelegt, weil es seit dreißig Jahren immer wieder zu Streitereien gekommen war. Die Absender dieses Schreibens geben sich zu erkennen als der »königlich großbrittanisch und churfürstlich braunschweigisch-lüneburgische Cammer-President« und seine »Cammer-Räthe«. Sie monieren, dass ihnen »Fälle vorgekommen« seien, »daß die Mohr-Anbauer in Gedanken stehen als wären sie von den Register-Abgiften, von sonstigen öffentlichen Landes-Abgaben frey«. Das aber sei durchaus nicht der Fall, und das müsse ihnen nicht nur gleich am Anfang »sorgfältig bedeutet« werden, wenn sie ihre Stellen antreten, sondern dies habe auch in den Meyerbriefen schriftlich niedergelegt zu werden. Was die Freijahre bedeuten, ist dagegen genau definiert – sie sind ausschließlich die Freiheit vom Pachtzins an den Grundherrn.
Dem Landesherrn gegenüber bestand immerhin für die Zeit der Freijahre eine »Contributions- und Einquartirungsfreyheit«, und das war in einer Epoche permanenter Kriege kein geringes Privileg.
Das riesige Vorhaben der Moorkolonisation führte zu einem neuen Kontakt zwischen