Bauern, Land. Uta Ruge
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War der Bescheid positiv, machten im Umland der Moore die Pastoren von den Kirchenkanzeln bekannt, dass ein neues Dorf gegründet würde, »Anbaulustige« sollten sich an bestimmtem Ort und zu bestimmter Zeit einfinden, um die Bedingungen zu erfahren.
Als auf diese Weise endlich die Gründung eines Dorfs im Bachenbrucher Moor genehmigt war, bewarb sich auch Barthold Lafrenz aus dem nahe gelegenen St. Joost, vierhundert Jahre zuvor ein Wallfahrtsort mitten im Moor, mit seiner Frau Adelheit um eine Meyerstelle. Sie erhielten die Zustimmung zur Ansiedlung und begannen mit der Arbeit an einer Moorkate – genau auf jener Hofstelle, auf der ich zweihundert Jahre später das erste Hochzeitsfest meines Lebens miterlebte. Er war, in der Terminologie unseres Dorfs ›de süerste‹, also der südlich gelegene, nächste Nachbar.
Anfangs mussten sie alle, die Lafrenzens und von Thadens, die Bartenhagens, Offermanns, Wölberns und Struncks, gemeinsam einen breiten, zwei Kilometer langen, tiefen und breiten Graben ausheben, die Wettern. Der Aushub wurde zu einem Weg parallel unserer späteren Dorfstraße, daran entlang steckte man die Hofstellen ab. Wer auf welche Stelle kam, wurde überall in den Mooren durch Los entschieden. Nur der nun schon alteingesessene Wolderich hatte sein Land selbst wählen können und baute als Erster ein richtiges Haus. Alle anderen »Colonaten« errichteten auf ihren Stellen einen leichten Holzrahmen und beschwerten ihn mit Stroh, Torf- und Heidesoden, das erste Dach über dem Kopf. Aber das ging natürlich nur im Sommer gut. Bis zum Winter musste man höher gebaut haben, wegen des hoch stehenden Grundwassers und der Überschwemmungen. An die Erdlöcher, von denen manchmal die Rede ist, glaube ich eher nicht.
Der erste Moorkommissar war Jürgen Christian Findorff, er stammte aus Lauenburg an der Elbe und war ursprünglich Wasserbaumeister und Landvermesser. Seit 1751 war er mit der nordhannoverschen Moorkolonisierung beschäftigt. Er billigte keinesfalls, wenn Moor-Anbauer in Katen lebten – geschweige in Erdlöchern. Seiner Meinung nach sollten die Ämter ihnen gleich am Anfang helfen, richtige Häuser zu errichten. Er wusste aus Erfahrung, wie wenig Aussicht bestand, dass Moorbauern bei schlechten Ausgangsbedingungen aus den ärmlichen Verhältnissen jemals herausfinden und eine rentable Landwirtschaft aufbauen konnten. Findorff hat man gerne eine große Nähe zu den Moorbauern nachgesagt, tatsächlich hat er sogar später selbst eine Anbauer-Stelle übernommen. Aber in erster Linie war er Staatsbeamter und vertrat entschieden das eigentliche Ziel der Kolonisation, nämlich mehr Lebensmittel für die Städte zu produzieren durch die Urbarmachung von Heiden und Mooren. Und auf dem Lande für künftige Steuerzahler zu sorgen.
Die Zuständigkeiten für Pachten, Steuern und Kirchengebühren sind genau erfasst. Sie wurden für unser Dorf in einem einzigen, damals wie heute kaum verständlichen Satz beschrieben. Er lautet übersetzt: »Nachdem man darüber schon vorher mit dem königlichen Ministerium und der königlichen Kammer verhandelt hat, ist jetzt festgelegt worden, dass die Rechtsgewalt über die Anbauer im Bachenbrucher Moor erst einmal auf zwölf Jahre dem Amtsschreiber Nanne in Bremervörde besonders aufgetragen ist; seine Eingaben gehen an die königliche Regierung nach Ratzeburg [i. e. Cuxhaven]; gleichzeitig sind die Anbauer aber wirkliche Hadelsche Untertanen und werden nach den entsprechenden Gesetzen behandelt; sie genießen die entsprechenden Immunitäten und sind in polizeilichen Angelegenheiten – so, wie das Polizeirecht dort vorgibt – dem Kirchspielsgericht, zu dessen Bezirk sie gehören [das war in diesem Fall Steinau], unterworfen, und was die Steuern angeht, müssen sie in dem Maße dazu beitragen, in dem Herrschaftliche Meyer und Anbauer auf staatlichem Land nach Hadelscher Verfassung verpflichtet sind; und was die Pfarrgemeinde betrifft, sollen sie im Hadelschen Steinau eingepfarrt sein; dem Amtsschreiber Nanne wird in dieser Sache der nötige Auftrag des Gerichts zugehen, als auch dem Consistorium das Nötige zugesandt in Hinsicht auf die anzuordnende Einpfarrung eines neuen Dorfs nach Steinau; und so werden hierdurch auch die Herren [Grundeigentümer] davon benachrichtigt, um auch die Stände des Landes Hadeln hiervon in meinem Namen in Kenntnis zu setzen, falls das erforderlich ist, was ich glaube, in kirchlichen Dingen sind sie wie Hadelsche Untertanen Untergebene des Hadelnschen Landeskonsistoriums … Hochachtungsvoll [und den] ehrwürdigen Hochedelgeborenen [ein] ergebener Diener …«1
Die Unterschrift ist unleserlich. Beurkundet ist dieser Vorgang für den 12. November 1783, weshalb das Gründungsdatum des Dorfs mit diesem Schreiben angesetzt wird.
Tatsächlich werden sich die hier aufgezeichneten Zuständigkeiten als einigermaßen kritisch für die Obrigkeiten erweisen – und für die Dörfler immer wieder als hilfreich.
Für Barthold Lafrenz wird es die Aussicht auf einen sogenannten eigenen Hof gewesen sein, die ihn, wie alle anderen auch, angelockt hat – auch wenn die Höfe nur Meyerstellen waren, Höfe in Erbpacht. Vielleicht sind seine Eltern und ein unverheirateter Bruder mit ihm auf die Meyerstelle gegangen. Tatsächlich tauchte 1792 ein weiterer Lafrenz in der Chronik auf, ein Claus Lafrenz übernimmt die Hofstelle uns zur Linken, die später Onkel Edu gehören wird.
Im Frühjahr begannen dann die Feuer. Zuerst wurden Heide, Gras und Strauchwerk abgeschlagen, dann mit Spaten und Hacken große Soden gestochen, sogenannte Plaggen. Die Plaggen häufte man auf und steckte sie in Brand, dabei musste man aufpassen, dass sich das Feuer nicht tief in die Erde einbrannte, weil das Moor sonst tage- und wochenlang gebrannt hätte. So oder so verschwand die Gegend wochenlang in Rauch.
Im nächsten Schritt wurde die Asche eingesammelt und als Dünger* gestreut, darauf dann die erste Saat ausgebracht. Meist konnte nur Buchweizen gesät werden, der auch auf armen Böden wächst und schnell zur Reife kommt.
Im Sommer haben dann vielleicht die weiß blühenden Felder einmal einen Anblick ergeben, der träumen ließ von zukünftigen Feldern, die diese Benennung wirklich verdienten. Sie haben zumindest den Kindern eine kleine Helligkeit ins Herz gezaubert – wenn nicht das Ganze schon im August von endlosen Regentagen und dem ansteigenden Wasser der Wettern und aller anderen Gräben überschwemmt auf dem Halm verfaulte und verschimmelte. Mager wird die Ernte so oder so gewesen sein. Aber ein halber Sack mehr oder weniger Buchweizengrütze für den morgendlichen Brei im Winter oder ein paar Pfund Buchweizenmehl mehr für den Festtagspfannkuchen war für manche Familie womöglich schon der Unterschied zwischen einfachem Hungern und Verhungern.
Vorstellen muss man sich die Mooranbauer noch elender als die legendär armen Geestbauern*, die auf Sand ackerten, bis dahin hier der magerste Boden. Die Kinder der Moorbauern starben in noch höherer Zahl – die Säuglinge schon wegen der nie trocknenden Wäsche und der schlechten Ernährung ihrer Mütter. Noch hundert Jahre später schrieb der Dichter Rainer Maria Rilke über die Moorbauern: »Das Lächeln der Mütter geht nicht auf die Söhne über, weil die Mütter nie gelächelt haben.«
Während der Rauch über die Moore zog und die Menschen sich in ihre ersten Behausungen einlebten, versuchten die Behörden immer wieder, einen Überblick zu erlangen über die Landwirtschaft und wie sie zu verbessern wäre. Im Verlauf der Moorkolonisation wuchsen die Aktenberge, und für das platte Land entstand so etwas wie eine staatliche Verwaltung. Das Thema Landwirtschaft schob sich dabei langsam ins Zentrum des Politikmachens. Es ging um Entwässerungs- und schiffbare Gräben für den Transport von Produkten, vor allem den Torf, um gute Obstbäume und neue Sämereien, fieberhaft wurde nach der besten Düngung eines Ackers gesucht.
Wann