Auf lange Sicht (E-Book). Marie-José Kolly
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G7 | JUNGE AUSLÄNDER WÜRDENERLEICHTERT EINGEBÜRGERT |
Stimmenanteile bei Nachbefragung und Abstimmungsresultat, Referendum zum Bundesbeschluss über die Revision der Bürgerrechtsregelung in der Bundesverfassung (1994). Die Vorlage scheiterte am Ständemehr. QUELLE: Vox-Analyse (GFS Bern)
G8 | JEDER UND JEDE KÖNNTE MIT 62IN RENTE GEHEN (MÜSSTE ABER NICHT) |
Stimmenanteile bei Nachbefragung und Abstimmungsresultat, Volksinitiative «für ein flexibles Rentenalter ab 62 für Frau und Mann» (2000). QUELLE: Vox-Analyse (GFS Bern)
G9 | DIE KANTONE MÜSSTEN FÜRKINDERBETREUUNGSPLÄTZE SORGEN |
Stimmenanteile bei Nachbefragung und Abstimmungsresultat, Referendum zum Bundesbeschluss über die Familienpolitik (2013). Bei den Männern fand sich nur knapp keine Mehrheit. Die Vorlage scheiterte am Ständemehr. QUELLE: Vox-Analyse (GFS Bern)
G10 | ES LÄGEN WENIGER WAFFEN INHAUSHALTEN HERUM |
Stimmenanteile bei Nachbefragung und Abstimmungsresultat, Volksinitiative «für den Schutz vor Waffengewalt» (2011). QUELLE: Vox-Analyse (GFS Bern)
Junge Ausländer würden erleichtert einbürgert (G7). Andere Volksabstimmungen – sie wären ohne Männerstimmen nicht anders ausgegangen – zeigen ebenfalls: Frauen setzen sich vermehrt für die Rechte von Minderheiten ein. Für die Ahndung von Rassismus, gegen die Überwachung von Rentenbezügern, für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Frauen stimmten übrigens 1981 bedeutend häufiger für die rechtliche Gleichbehandlung von Mann und Frau. Stimmten nur sie, hätte die Schweiz weitere Gleichstellungsanliegen angenommen: Jeder und jede könnte mit 62 in Rente gehen (müsste aber nicht) (G8). Die Kantone müssten für Kinderbetreuungsplätze sorgen (G9).
Das Militär hätte dagegen wichtige Abstimmungen verloren, hätten nur Frauen abgestimmt. Es lägen weniger Waffen in Haushalten herum (G10). Es gäbe noch kein Okay für neue Kampfflugzeuge (G11). Betrachtet man weitere Vorlagen, die das Militär oder Waffen betreffen, wiederholt sich das Muster: Sie wurden von Männern eher unterstützt als von Frauen.
Wir hätten vielleicht noch kein neues Krankenversicherungsgesetz (G12). Die Kulturförderung wäre in der Verfassung verankert (G13). Im ganzen Land wären Poststellen garantiert (G14). Frauen setzen sich vermehrt für den Service public ein. Sie stimmten beispielsweise gegen ein Krankenversicherungsgesetz, das mit dem Argument präsentiert wurde, es bringe mehr Wettbewerb und Eigenverantwortung.
Ginge es nur nach den Bürgerinnen, wäre die Schweiz also tatsächlich ein wenig linker und grüner, manchmal bewahrender (wie im Fall der Postdienste), oft progressiver (wenn es um ein flexibles Rentenalter geht). Damit sind die Schweizerinnen keine Ausnahme. «Frauen sind weltweit linker und grüner», sagte Politikwissenschaftlerin Martina Mousson zur «Annabelle». Eine länderübergreifende Untersuchung der Politologin Rosalind Shorrocks zeigt: Es sind vor allem die jüngeren Frauen, die solche Werte vertreten. Und deren Einfluss wächst: Nach der Einführung des Frauenstimmrechts war die Stimmbeteiligung erst einmal gesunken, weil die zögerlich neu stimmenden Frauen den Gesamtschnitt drückten. Noch heute stimmen unter den älteren Menschen die Männer deutlich öfter ab als die Frauen. Doch die jüngeren Frauen, die eine Schweiz ohne Frauenstimmrecht nur noch aus Erzählungen kennen, nehmen ihr Recht häufiger wahr. Trotzdem setzen sie sich nur hin und wieder durch.
G11 | ES HÄTTE KEIN OKAY FÜR NEUEKAMPFFLUGZEUGE GEGEBEN |
Stimmenanteile bei Nachbefragung und Abstimmungsresultat, Referendum zum Bundesbeschluss über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge (2020).
QUELLE: Voto-Studie (Schweizer Kompetenzzentrum Sozial-wissenschaften, Lausanne / Zentrum für Demokratie, Aarau)
G12 | WIR HÄTTEN VIELLEICHT NOCH KEIN NEUESKRANKENVERSICHERUNGSGESETZ |
Stimmenanteile bei Nachbefragung und Abstimmungsresultat, Referendum zum Bundesgesetz über die Krankenversicherung (1994). QUELLE: Vox-Analyse (GFS Bern)
G13 | DAFÜR WÄRE ABER DIE KULTURFÖRDERUNG INDER VERFASSUNG VERANKERT |
Stimmenanteile bei Nachbefragung und Abstimmungsresultat, Referendum zum Bundesbeschluss über einen Kulturförderungsartikel in der Bundesverfassung (1994). Die Vorlage scheiterte am Ständemehr. QUELLE: Vox-Analyse (GFS Bern)
G14 | ES GÄBE GARANTIERTE POSTSTELLENIM GANZEN LAND |
Stimmenanteile bei Nachbefragung und Abstimmungsresultat, Volksinitiative «Postdienste für alle» (2004).
QUELLE: Voto-Studie (Schweizer Kompetenzzentrum Sozial-wissenschaften, Lausanne / Zentrum für Demokratie, Aarau)
Nur selten kippt die Waage
Die Schweiz besteht selbstverständlich auch nach 1971 nicht nur aus Frauen. Darum haben sie über die Jahre zwar die politische Landschaft verschoben – aber nur ab und zu haben ihre Stimmen ausgereicht, um einen Entscheid zu kippen. Insgesamt haben die Frauen in den letzten 50 Jahren an 424 Abstimmungen ihren politischen Willen geäussert. Bei lediglich 11 davon haben sie sich mit der Wucht der weiblichen Stimmen durchgesetzt. Besonders wichtig war das vehemente Ja der Frauen bei der Revision des Ehe- und Erbrechts von 1985. Es sah vor, dass Ehefrauen ihren Männern nicht mehr untergeordnet wären, sondern Familienangelegenheiten fortan gemeinsam entschieden würden. Zuvor konnten Männer beispielsweise alleine über Kauf oder Verkauf eines Hauses entscheiden. Mehr noch: Das Vermögen der Frau – selbst wenn sie es geerbt oder geschenkt bekommen hatte – verwaltete ebenfalls der Mann. Lediglich über ihren eigenen Lohn konnte die Frau frei bestimmen. Hätten damals an der Urne nur die Stimmen der Schweizer Männer gezählt: Sie hätten die Revision abgelehnt.
DIE DATEN
Bei Nachbefragungen erheben Meinungsforscherinnen den Stimmentscheid, die Gründe dafür und die Informationslage dahinter – nach Geschlecht, Alter und politischen Präferenzen. Von 1977 bis 1987 umfasste die Stichprobe 700 Stimmberechtigte, dann 1000, ab dem Jahr 2010 1500 Personen. Umfrageresultate sind zwangsläufig unscharf: Man befragt eine Stichprobe, nicht alle, die an den Urnen waren. Je nach Umfragetyp – hier Telefonumfragen – kommen weitere Schwierigkeiten dazu, etwa systematische Verzerrungen dadurch, dass Personen mit bestimmten Profilen eher oder eher nicht auf solche Anfragen eingehen. Von 1977 bis 2015 und wieder seit November 2020 ist das Meinungsforschungsinstitut GFS Bern für diese Nachbefragungen, die Vox-Analysen, zuständig. Von 2016 bis 2020 führten das Schweizer Kompetenzzentrum Sozialwissenschaften in Lausanne und das Zentrum für Demokratie Aarau die Voto- Studien durch.
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