Sexualität – Macht – Religion. Joachim Kügler
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Von der Königsgattin zum König
Die Vormundschaft von Frauen für den unmündigen König störte die männliche Königstradition nicht. Außergewöhnlich, ja eigentlich unmöglich war aber, dass Hatschepsut nach wenigen Jahren selbst das Königsamt übernahm. Sie agierte nicht mehr als Stellvertreterin, sondern als König mit allen Rechten. Sie trug jetzt die Titel ägyptischer Könige und den Thronnamen Maat-Ka-Re. Um aber selbst König zu sein, musste sie zwei große Probleme lösen: Erstens saß mit Thutmosis III. schon ein rechtmäßiger König auf dem ägyptischen Thron. Und zweitens hatte sie für das Königsamt das falsche Geschlecht.
Die einfachste Lösung für das erste Problem wäre wohl die Ermordung des Knaben gewesen. Als „Gott“ konnte ein altägyptischer König zwar nicht in Rente geschickt werden, aber man konnte ihn umbringen. Aus Gründen, die wir nicht kennen, wählte Hatschepsut eine andere Lösung. Sie leugnete die kurze Herrschaft ihres Mannes Thutmosis II. und stellte sich als direkte Nachfolgerin ihres Vaters Thutmosis I. dar. Thutmosis III. deklarierte sie als „zukünftigen“ König und „erhob“ ihn zu ihrem Mitregenten. Das Modell des Ko-Regenten mit Nachfolgerecht war aus der ägyptischen Geschichte bekannt. Und so konnte Hatschepsut mit diesem Modell als eigentlicher König gelten, ohne ihren Neffen und Stiefsohn um seinen Thronanspruch zu bringen.
Damit war Hatschepsut aber immer noch eine Frau. Dieses Problem löste sie in einer sehr kreativen Doppelstrategie. Einerseits arbeitete sie an einer gewissen Verweiblichung der ägyptischen Königsideologie und andererseits passte sie sich selbst an das männliche Geschlecht des Königsamtes an.
Vollzog sich ihre Bearbeitung des Königsmythos vor allem im Bereich der Texte, so geschah die Anpassung ihres Geschlechts vor allem im Bild. Das ist plausibel, denn das elastische Medium des Textes ist für eine bewusste Veränderung von Geschlechtsrollen wesentlich durchlässiger als die bildliche Darstellung, die gerade hinsichtlich der Geschlechtsrollen sehr starr ist.
Auch heute käme doch niemand auf die Idee, Damentoiletten mit einem Hosen-Piktogramm und Herrentoiletten mit einem Rock-Piktogramm zu markieren, obwohl (z.B. in Schottland) auch Männer Röcke tragen und es heute viele Frauen gibt, die gerne Hosen tragen. So gibt es in Ägypten auch für die Darstellung eines Königs ein ganz bestimmtes Bild, das zwar Variationen (etwa bei Kopfbedeckung) zulässt, aber eines immer konstant hält: Stets handelt es sich um eine männliche Gestalt.
Nach einer Phase des Experimentierens mit neuen, weiblichen Königsdarstellungen beugt sich Hatschepsut der Macht der Tradition, passt ihre Darstellung an und erscheint von da an nur noch als männliche Gestalt: König Hatschepsut. Wenn Reliefs König Hatschepsut und den „Mitregenten“ Thutmosis III. zeigen, dann gleichen sich die Darstellungen der beiden vollkommen (Abb. 2). Nur die jeweils beigefügte Inschrift ermöglicht eine Identifizierung.
Abb. 2: Hatschepsut und ihr „Mitregent“ Thutmosis III. beim Opfer (Graphik JK)
Dabei geht es nicht nur um die Kleidung. Der amtliche Geschlechtswechsel geht so weit, dass Hatschepsut auch dort, wo sie nackt abgebildet ist, männlich erscheint (siehe unten Abb. 5). Hatschepsut ordnet in ihrer öffentlichen Erscheinung ihr persönliches Geschlecht dem amtlichen Geschlecht des Königs unter. Es ist daher unsinnig, Hatschepsut als „Transvestitin“ zu bezeichnen. Es geht nicht um Psychologie, sondern um Symbolpolitik. So sagt der amtliche Geschlechtswechsel auch nichts darüber aus, wie sich Hatschepsut privat gekleidet hat. Da wir nur die offiziellen Darstellungen aus den Tempeln haben, können wir darüber nichts sagen. Wichtig ist nur, dass der politische und religiöse Körper des Königs männlich ist, weil nur ein Mann das männliche Amt ausfüllen kann. Die Idee Hatschepsuts, ihren amtlichen Körper zu vermännlichen, mag kühn erscheinen, aber sie radikalisiert damit eigentlich nur die Unterscheidung von Person und Amt, die die Königstradition ohnehin kannte. Auch Thutmosis III. wird nicht als Kind dargestellt, sondern als erwachsener Mann. Und hätte ein ägyptischer König nur ein Auge gehabt, dann wüssten wir es vermutlich nicht, denn man hätte ihn sicher der Königsnorm entsprechend mit zwei Augen dargestellt. Im Grunde hatte ja jeder ägyptische König zwei Körper, einen amtlichen und einen persönlichen. Mit Letzterem war er Sohn eines Königs, mit dem anderen Sohn eines Gottes.
Königstochter
Wie gesagt ist der Text das Medium, in dem Hatschepsut die Königstradition ein wenig an ihr persönliches Geschlecht anzupassen versucht. So ist Hatschepsut in den Bildern in der Regel als ein männlicher König abgebildet, während die Texte immer wieder darauf Rücksicht nehmen, dass es sich bei diesem König um eine Frau handelt. Vor allem wird ihre Rolle als Tochter oft angesprochen – einmal in Bezug auf ihren irdischen Vater Thutmosis I., zum anderen in Bezug auf ihren göttlichen Vater Amun und schließlich auch in Bezug auf ihre göttliche Mutter Hathor. All diese Tochterbeziehungen sind von zentraler Bedeutung für die Legitimation ihrer königlichen Herrschaft. Deshalb werden in Hatschepsuts berühmtem Totentempel (Millionenjahrhaus) in Deir el-Bahari auch alle drei thematisiert.
Ein Millionenjahrhaus fungiert als „Ewigkeitsmaschine“ für die Herrschaft eines Königs. Um ihr Königtum auf ewig zu sichern, muss Hatschepsut zeigen, dass ihre Herrschaft auf der göttlichen Weltordnung beruht. Dazu benutzt sie zwei Väter und eine Mutter.
Die Tochterbeziehung zu Thutmosis I. ist die wesentliche Voraussetzung dafür, dass Hatschepsut überhaupt die Königsrolle übernehmen konnte. Und so präsentiert sie diesen Vater als den, der sie als Nachfolgerin bestimmt hat. Er erhebt sie zu seiner Stellvertreterin und überträgt ihr das Königsamt, wie ein Reliefbild (Abbildung 3) zeigt.
In der Beischrift, die im Gegensatz zum Bild wieder das weibliche Geschlecht Hatschepsuts berücksichtigt, lässt sie ihren Königvater sprechen:
Diese meine Tochter, DIE-AMUN-UMARMT HATSCHEPSUT– sie möge leben! –, setze ich ein als meinen Stellvertreter. Denn sie ist ja meine Thronfolgerin. Sie ist es, die sitzen wird auf diesem meinem wunderbaren Sitz und den Untertanen an allen Stellen des Palastes befehlen wird; sie ist es, die euch leiten wird. Ihr höret ihre Worte, ihr haltet euch an ihren Befehl. Wer sie preisen wird, der wird leben, wer etwas Schlechtes sagen wird, indem er Ihre Majestät lästert, der wird sterben.
Abb. 3: Thutmosis präsentiert dem Staatsapparat seine Tochter als Vizeregentin mit Nachfolgerecht (Graphik JK)
Sie nimmt damit in Kauf, dass sie ihren verstorbenen Mann aus der Geschichte tilgt. Offensichtlich ist die Tochterbeziehung zu Thutmosis I. politisch und theologisch viel entscheidender als die Ehebeziehung zu Thutmosis II. Das hat sicher mit der polygamen Struktur der königlichen Ehen zu tun. Allein aus der Mitgliedschaft