Der Hund der Baskervilles. Sir Arthur Conan Doyle

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Der Hund der Baskervilles - Sir Arthur Conan Doyle

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Sie in all den Geschichten, in denen Sie freundlicherweise von meinen bescheidenen Leistungen erzählen, Ihre eigenen Fähigkeiten immer unter den Scheffel gestellt haben. Sie mögen vielleicht kein brillanter Denker sein, aber Sie verhelfen anderen zur Erkenntnis. Es gibt solche Menschen, die selbst kein Genie besitzen, dafür aber die bemerkenswerte Gabe, es in anderen zum Leuchten zu bringen. Ich muss zugeben, mein Lieber, dass ich tief in Ihrer Schuld stehe.«

      Nie zuvor hatte er so viel gesagt, und ich gebe zu, dass seine Worte mich tief berührten, denn seine gleichgültige Haltung gegenüber meiner Bewunderung für ihn und gegenüber meinen Bemühungen, die öffentliche Aufmerksamkeit auf seine Methoden zu lenken, hatten mich oft verletzt. Auch machte es mich nicht wenig stolz, dass ich mir seine Denkmethode gut genug angeeignet hatte, um sie in einer Art und Weise anzuwenden, die seinen Beifall fand. Er nahm mir den Stock aus der Hand und betrachtete ihn eine Weile mit bloßem Auge. Sein Interesse schien geweckt, denn er legte die Zigarette weg, trat mit dem Stock ans Fenster und nahm in noch genauer unter die Lupe.

      »Interessant, wenn auch elementar«, sagte er, während er zu seiner Lieblingsecke des Sofas zurückkehrte. »Zweifellos gibt der Stock uns ein paar Anhaltspunkte und damit die Grundlage für mehrere Deduktionen.«

      »Habe ich etwas übersehen?« fragte ich ein wenig selbstgefällig. »Ich hoffe doch, mir ist nichts Wichtiges entgangen?«

      »Ich fürchte, mein lieber Watson, Ihre Schlussfolgerungen sind zum größten Teil falsch. Als ich sagte, Sie würden mich anregen, meinte ich damit, ehrlich gesagt, dass gerade Ihre Trugschlüsse mich gelegentlich auf die richtige Spur bringen. In diesem Fall liegen Sie aber nicht völlig falsch. Ganz bestimmt ist dieser Mann ein Landarzt. Und er ist viel zu Fuß unterwegs.«

      »Dann hatte ich doch recht!«

      »In diesem Punkt, ja.«

      »Aber das ist doch alles.«

      »Nein, nein, mein lieber Watson, das ist nicht alles – bei Weitem nicht alles. Ich würde es für wahrscheinlicher halten, dass ein Geschenk für einen Arzt eher von einem Hospital kommt denn von einer Jagdgesellschaft, und wenn vor dem ›H‹ die Buchstaben ›C. C.‹ stehen, kommt einem sofort ›Charing Cross Hospital‹ in den Sinn.«

      »Da könnten Sie recht haben.«

      »Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür. Und wenn wir das als Arbeitshypothese nehmen, haben wir eine neue Basis für die Rekonstruktion unseres unbekannten Besuchers.«

      »Nun denn, nehmen wir an, ›C. C. H.‹ steht für ›Charing Cross Hospital‹ – welche weiteren Schlüsse können wir denn daraus ziehen?«

      »Finden Sie nicht, dass diese sich geradezu aufdrängen? Sie kennen meine Methoden. Wenden Sie sie an!«

      »Mir fällt lediglich der naheliegende Schluss ein, dass der Mann erst in London praktiziert hat, bevor er aufs Land gezogen ist.«

      »Ich glaube, wir dürfen ruhig noch ein wenig weiter gehen. Betrachten Sie die Sache aus folgendem Blickwinkel: Bei welcher Gelegenheit wird so ein Geschenk normalerweise gemacht? Wann tun Freunde sich zusammen, um jemandem als Zeichen ihrer Wertschätzung ein Präsent zu verehren? Vermutlich zu dem Zeitpunkt, als Dr Mortimer seinen Dienst im Krankenhaus quittiert hat, um eine eigene Praxis zu eröffnen. Wir wissen, dass der Stock ein Geschenk ist. Wir nehmen an, dass der Mann von einem Londoner Krankenhaus in eine Landarztpraxis gewechselt ist. Gehen wir in unseren Schlussfolgerungen zu weit, wenn wir annehmen, das Geschenk wurde ihm anlässlich seines Abschieds gemacht?«

      »Das klingt jedenfalls sehr wahrscheinlich.«

      »Sie müssen nun bedenken, dass er nicht zum festen Stab des Krankenhauses gehört haben kann, denn so eine Stellung kann nur ein Arzt bekleiden, der auch eine gut etablierte Londoner Praxis besitzt, und ein solcher würde nicht aufs Land ziehen. Was für ein Arzt war er also? Wenn er am Krankenhaus gearbeitet hat, dort aber nicht zum Stammpersonal gehörte, kann er nur ein Assistenzarzt gewesen sein – kaum mehr als ein Medizinstudent in der letzten Phase seiner Ausbildung. Vor fünf Jahren hat er seinen Dienst im Krankenhaus quittiert – das Datum steht auf dem Stock. So löst sich Ihr seriöser Hausarzt gesetzten Alters in Luft auf, mein lieber Watson, und vor unseren Augen erscheint ein junger Mann von kaum dreißig Jahren, liebenswürdig, ohne großen Ehrgeiz, zerstreut, sowie Besitzer eines Lieblingshundes, den ich grob beschreiben möchte als größer denn ein Terrier, aber kleiner als eine Dogge.«

      Ich lachte ungläubig, während Sherlock Holmes sich im Sofa zurücklehnte und kleine Rauchringe zur Zimmerdecke blies.

      »Ihre letzten Behauptungen kann ich nicht überprüfen«, sagte ich, »aber es ist unschwer möglich, genauere Angaben bezüglich seines Alters und seiner beruflichen Karriere zu finden.«

      Ich nahm von dem schmalen Bücherregal, auf dem meine medizinischen Werke stehen, das Ärzteverzeichnis herunter und schlug den Namen nach. Es gab mehrere Mortimers, aber nur einer passte auf unseren Besucher. Ich las den Eintrag laut vor:

      »Mortimer, James, M. R. C. S., 1882, Grimpen, Dartmoor, Devon. Assistenzarzt am Charing Cross Hospital 1882 –1884. Gewinner des Jackson-Preises für vergleichende Pathologie für die Abhandlung ›Ist Krankheit ein Atavismus?‹ Korrespondierendes Mitglied der Schwedischen Gesellschaft für Pathologie. Autor von ›Einige Formen des Atavismus‹ (Lancet, 1882) und ›Machen wir Fortschritte?‹ (Journal of Psychology, März 1883). Gemeindearzt für Grimpen, Thorsley und High Barrow.«

      »Keine Erwähnung einer ländlichen Jagdgesellschaft, Watson«, sagte Holmes mit verschmitztem Lächeln, »aber ein Landarzt, wie Sie scharfsinnig geschlossen haben. Mir scheint, meine Schlussfolgerungen waren nicht unberechtigt. Was aber seine persönlichen Eigenschaften betrifft, so habe ich ihn, wenn ich mich nicht irre, liebenswürdig, ohne großen Ehrgeiz und zerstreut genannt. Nun, nach meiner Erfahrung bekommt auf dieser Welt nur ein liebenswürdiger Mensch ein Abschiedsgeschenk, nur ein wenig ehrgeiziger Mann tauscht eine Karriere in London gegen eine Existenz in der Provinz, und nur ein zerstreuter Mensch lässt seinen Stock zurück statt seiner Visitenkarte, nachdem er eine Stunde lang hier in unserem Wohnzimmer gewartet hat.«

      »Aber der Hund?«

      »Hat die Gewohnheit, seinem Herrn den Stock nachzutragen. Es ist ein schwerer Stock, deshalb packt der Hund ihn fest in der Mitte; die Spuren seiner Zähne sind deutlich zu sehen. Der Kiefer des Hundes ist, nach dem Abstand der Zahnabdrücke zu schließen, meiner Meinung nach zu breit für einen Terrier und nicht breit genug für eine Dogge. Vielleicht war es – ja natürlich, beim Jupiter! Es ist ein Spaniel mit gelocktem Fell!«

      Er war aufgestanden und im Zimmer auf und ab gegangen, während er sprach. Nun stand er im Erkerfenster, und seine Stimme klang so überzeugt, dass ich ihn überrascht ansah.

      »Mein lieber Freund, wie können Sie sich dessen so sicher sein?«

      »Aus dem höchst einfachen Grund, weil ich den Hund vor unserer Türschwelle sitzen sehe – und da klingelt auch schon sein Herr. Gehen Sie nicht, Watson, ich bitte Sie. Er ist ein Kollege von Ihnen, und Ihre Gegenwart könnte von Nutzen sein. Und jetzt, Watson, erleben wir den dramatischen, schicksalhaften Moment, da ein Schritt auf der Treppe ertönt und ein Mensch in unser Leben tritt, von dem wir nicht wissen, ob er Gutes oder Böses bringt. Was begehrt Dr James Mortimer, der Mann der Wissenschaft, von Sherlock Holmes, dem Spezialisten für die Welt des Verbrechens? Herein!«

      Die äußere Erscheinung unseres Besuchers war eine Überraschung, denn ich hatte die typische Figur eines praktizierenden Landarztes erwartet. Er war sehr groß und sehr hager, mit einer langen, an einen Vogelschnabel erinnernden Nase zwischen zwei scharfen,

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