Das Erbe der Macht - Band 31: Splitterzeit. Andreas Suchanek
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Unweigerlich dachte Jen an Patricia Ashwell, die genau eine solche Version der Geschichte bevorzugt hätte. Ausgerechnet Kevin hatte die Träume der verstorbenen Mutter von Clara jetzt Wirklichkeit werden lassen.
»Mein Magen knurrt«, sagte Alex nach einer Weile.
»Selbst in der furchtbarsten Dystopie kannst du an nichts anderes denken«, erwiderte Jen.
»Ich will halt nicht vor Schwäche umgebracht werden«, konterte er. »Außerdem ist das hier nicht irgendeine Dystopie. Es ist die Gegenwart.«
»Schöne neue Welt«, murmelte Jen. »Wenn Artus mit Kevin fertig ist, werde ich ihn so was von zusammenbrüllen.«
Sie hatte noch immer Mitleid mit Kevin, selbst nach dieser von ihm angerichteten Katastrophe. Der Gedanke an Chris schmerzte auch sie jeden Tag. Doch selbst mit dem Zeitring hätte Jen es nicht versucht, ihre Mutter oder Schwester ins Leben zurückzuholen. Die Konsequenzen waren einfach zu groß. Gleich den gesamten Wall zu verhindern, Millionen von Leben dadurch zu verändern, die alte Version auszulöschen, war für sie unbegreiflich.
Die Umgebung wirkte wie eine simple Straße im Herzen von London. Es gab hier und da Schaufenster mit gewöhnlichen Auslagen, sah man von den Preisschildern ab. Alles wurde in Bernsteinkörnern und Bernsteinbrocken bemessen. Für einige sehr edle Kleidungsstücke wurden Bernsteine mit eingewobenem konstanten Zauber gefordert.
»Schau dir das an«, sagte Alex. »Für diesen Designeranzug wollen die einen Bernstein mit Flugzauber, der mindestens vierundzwanzig schwerelose Stunden ermöglicht.«
Jen wunderte es nicht mehr. Sie hatten bereits Zeiten vor dem Wall besucht, und die Entwicklung war in diese Richtung gegangen. Das hier war schlicht die konsequente Weiterführung in die Gegenwart.
Unweigerlich dachte sie an alltägliche Dinge wie die Strom- oder Wasserrechnung. Wurden die Autos mit Benzin angetrieben oder Bernsteinen? Wo hatte sich die Technik durchgesetzt, wo die Magie?
Ein Schrei erklang, der ihre Gedanken abrupt unterbrach.
»Dort vorne.« Alex nickte zum Eingang einer Seitenstraße, hatte den Essenzstab bereits gezogen.
Gemeinsam rannten sie los.
2. Auf die magische Art
Die Gasse war leer, bis auf zwei Silhouetten am anderen Ende. Alex und Jen rannten, doch ihre Schritte hallten dumpf wider, als habe jemand die Geräusche unterdrückt.
Beim Näherkommen erkannte Jen einen gut gekleideten Mann, der in Poloshirt und Chinos leger vor dem gegenüberliegenden Ausgang der Gasse stand. Sein Haar war sauber frisiert, schimmerte golden. Hier hatte definitiv Magie nachgeholfen.
»Ich sagte doch Nein«, erklärte er gerade. »Was ist nur mit euch Nimag-Gesindel, dass man sich ständig wiederholen muss.«
»Aber ich wurde eingeladen«, hauchte ein anderer Mann, wobei er das Zittern nicht unterdrücken konnte.
Er war ähnlich gekleidet wie der Magier, wenn auch nicht so perfekt gestylt. Es wirkte, als habe der Blonde einen Weichzeichner über sich gelegt, wie es im Social Media öfter geschah. Der andere Kerl war irgendwie realer.
»Du wurdest aber nicht von mir eingeladen, und letztlich ist es doch so, dass es meine Party war«, erklärte der Blonde. »Ich sage ›war‹, weil meine Laune wirklich auf einem Tiefpunkt angekommen ist. Es macht einfach keinen Sinn mehr, zurückzukehren. Stattdessen werde ich gelangweilt im Penthouse liegen. Dafür bist du verantwortlich.«
»Ich mache es wieder gut«, rang sich der Dunkelhaarige ab.
Jetzt bemerkte der Blonde Alex und Jen, sein Blick erfasste ihre Essenzstäbe und er runzelte die Stirn, sagte jedoch nichts. »Siehst du, es ist immer dasselbe mit deiner Art von Nimags. Ihr wisst eben nicht, wo euer Platz ist. Du wirst es nicht lernen, da mache ich mir keine Illusionen.« Er hob die rechte Hand. »Nimag Inflammare Infinite.«
Der Dunkelhaarige hatte nicht einmal mehr Zeit, seinen eigenen Tod zu realisieren. Magisches Feuer verbrannte ihn zu Asche.
Jen schrie auf.
Noch während ihr bewusst wurde, dass der Magier keine sichtbare Essenz genutzt und kein Symbol erschaffen hatte – die Worte hatten für den Zauber ausgereicht –, sah sie der Asche nach, die vom Wind verweht wurde.
»Ich mag es nicht, gestört zu werden«, sagte der Blonde jetzt und richtete seinen hochmütigen Blick auf Alex.
»Beim Ermorden von Menschen?«, fragte der. »Das kann ich mir vorstellen. Potesta Maxima!«
Bernsteinfarbene Essenz entflammte und schoss auf den anderen zu.
»Soll das ein Scherz sein«, sagte dieser, nachdem er den Kraftschlag einfach aufgefangen hatte. »Was kommt als Nächstes, eine Vektorumkehr?«
»Gravitate Negum«, brüllte Alex und wob das Symbol.
Der Zauber entstand und verging.
»Es ist also ein Scherz.« Er sah sich um. »Eine von den heimlichen Prüfungen des Instituts?«
Jen hatte bisher vermieden, einzugreifen. Doch sie bewegten sich hier mit Höchstgeschwindigkeit auf eine Katastrophe zu. Irgendwie musste sie das stoppen. »Ich bin Jen, das ist Alex. Und wer bist du?«
»Willst du etwa behaupten, dass du mich nicht kennst?« Er runzelte die Stirn. »Eine Prüfung sollte doch irgendwie … raffinierter stattfinden, nicht wahr? Es gibt weder Magier noch Nimags, die die wichtigen Personen der Hierarchie nicht kennen. Den Namen des Thronfolgers eines Höchsten Hauses nicht zu wissen, ist unmöglich. Ihn anzugreifen ein Todesurteil. Du solltest also besser gleich verkünden, dass dich das Institut geschickt hat.«
»Hat es«, sagte Alex.
»Zeige das Sigillum.« Der Blonde spannte die Muskeln bereits an.
Wie hatte er nur den Zauber gewirkt, ohne ein Symbol zu erschaffen? Merlin besaß die Fähigkeit, Zauber lautlos zu weben. Es gab Unsterbliche, die nach jahrelangen Studien ebenfalls dazu in der Lage waren. Doch Essenz war stets sichtbar.
Vermutlich konnten ihre Zauber deshalb so leicht abgefangen werden. Durch Worte und Symbole waren sie sofort zuordenbar. Trotzdem löste dies nicht das Rätsel um ihr Gegenüber.
»Das Sigillum, ja …« Alex schürzte die Lippen. »Ganz so einfach ist es dann doch nicht.«
»Ihr seid Magier«, sagte der Blonde. »Aber etwas an euch ist seltsam. Wieso bist du so ordinär gekleidet?«
Jen schaute unweigerlich an sich hinab. Sie trug tatsächlich noch die halb-lederne Rüstungsmontur, die Arwen zuvor angehabt hatte; Stiefel, Lederhose, eine ebensolche Weste mit Eisenaufschlägen. Doch interessanterweise betrachtete der Unbekannte bei diesen Worten Alex.
Dieser hatte andererseits in der Vergangenheit mit Illusionierungen gearbeitet und trug deshalb gewöhnliche Alltagskleidung. Die Sneakers waren etwas verschlissen, ebenso die Jeans. Aber das Shirt wirkte relativ unbeschadet, wie auch die dunkle Jacke.