Opa, erzähl mir!. Markus Zwerger

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Opa, erzähl mir! - Markus Zwerger страница 5

Opa, erzähl mir! - Markus Zwerger

Скачать книгу

aufbauen könne. Ihre eigenen Interessen stellten sie hintan. Da war bloß dieses zerbrechliche, wehrlose Kind und sie, die bettelarmen, herzensguten Menschen, die ihm bereitwillig Hilfe leisteten. Wenngleich mein Großvater dies nie so formuliert hat, bin ich mir sicher, dass ihm dies bewusst war, denn in den Gesprächen über seine Zieheltern blickte er stets dankbar und liebevoll zurück. Nach seiner frühen Reise war er an einem Ort angekommen, den er Heimat nennen konnte, da Menschen dort lebten, die ihn liebten.

      „Das war meine eigentliche Familie, ja! Allen voran meine Mutter, die als Hausfrau arbeitete und den einzigen Besitz, den wir hatten, hütete: zwei Kühe. Dann war da noch mein Vater, ein Tagelöhner, der sich zeit seines Lebens für minimales Gehalt, etwas Holz oder Nahrung auf den Feldern und in den Wäldern abschuftete. Und abschließend noch meine Geschwister, die aber allesamt viele Jahre älter waren und schon bald nach meiner Ankunft auszogen. Gelebt haben wir in einem kleinen Haus, dem Mösl, in unmittelbarer Nähe zum Dorfzentrum von Deutschnofen. Mit diesem Ort sind meine ersten Erinnerungen verknüpft, vor allem aber mit den Menschen, die dort lebten. Mit ihrer Armut und Herzensgüte. Die Unterschiede zu den anderen Bauern des Dorfes waren schlicht zu groß, als dass man nicht unter der Armut gelitten hätte: Höfe mit vielen Hektar Fläche an Besitz, da wird dir schnell bewusst, wie klein du bist! Doch verzagten wir nie, oder nur selten. An eine immer wiederkehrende Episode erinnere ich mich, in der ich meine Mutter nahe der Verzweiflung sah: Wollte sie Brot kaufen gehen, begann sie oft bitterlich zu weinen, da sie nicht genügend Geld dafür hatte. Ich konnte damals noch nicht viel beitragen, im Alter von sieben Jahren begann ich aber mitzuhelfen, und so hütete ich regelmäßig unsere Kühe.“

      Trotz der bitteren Armut scheint mein Opa am Mösl glücklich gewesen zu sein, in den Jahren seines Aufenthaltes dort ist der Ort also wahrlich zu einer Heimat für ihn geworden. Eine Heimat, an die er gern zurückdenkt, von der er immer wieder erzählt. Denn seine Wurzeln liegen dort und dort durfte er die Geborgenheit erfahren, die er in späteren Jahren oft missen würde. Als ich ihn frage, wie die Geschichte weitergeht, ob er ruhige Jahre hier verbrachte – soweit unter solchen Bedingungen möglich –, lacht er herzhaft und meint:

      „Ruhige Jahre? Für Ruhe hatte ich damals keine Zeit, nein!“

      Grinsen.

      „Mit acht Jahren bin ich umgezogen, weg vom Mösl, hin zum Unterkofl. Der Umzug war nicht sehr schwer, der Unterkofl befindet sich nämlich auch in Deutschnofen und ich konnte meine Zieheltern regelmäßig besuchen, jeden Sonntag nach dem Kirchengang machte ich mich zu ihnen auf! Natürlich war ich anfangs nicht gerade begeistert, aber ich habe mich schnell angepasst und mich mit der Situation abgefunden. Dort arbeitete ich dann regelmäßig als Hirtenjunge, oft war ich den ganzen Tag unterwegs, unabhängig von Laune und Wetter. Die Arbeit war zu erledigen und das habe ich getan! Ob es gewitterte oder nicht – ich machte mich auf, um die Kühe auf die Weiden zu führen. Bei lautem Donner ergriff mich dann solche Angst, dass ich mich zwischen die Kühe drängte, die sich unter einem Baum zusammengefunden hatten, und dort ausharrte, manchmal stundenlang. Ich nahm das aber gern in Kauf, schließlich hatte ich so einen Schlafplatz und mein Essen sicher. Das war für mich das Wichtigste, deshalb machte ich mir nichts draus. Obwohl das Essen nicht gut und selten ausreichend war.“

      Er schweigt, noch lange liegt ein Lächeln auf seinem Gesicht. Als er aber nach mehreren Minuten nicht weitererzählt, wundere ich mich und blicke ihn fragend an. Er bemerkt meinen Blick nicht und wirkt in Gedanken versunken. Wenn er sich zurückerinnert, geschieht das häufiger, doch nach kurzer Zeit hat er sich normalerweise wieder gefasst und beginnt mit einer neuen Geschichte. Diesmal verharrt er regungslos, den Blick starr auf den Boden gerichtet. Es ist ein Anblick, den ich so von Opa nicht kenne, normalerweise strömen die Worte nur so aus ihm raus, wenn er aufgefordert wird, über etwas zu sprechen, was es auch sein möge. Das macht seinen Charme aus, zu jeder Anekdote fällt ihm eine weitere ein, sodass man Stunden damit verbringen könnte, einfach nur dazusitzen und ihm zuzuhören. Umso mehr verwirrt es mich, dass er nicht die Initiative ergreift, um weiterzusprechen. Ihm fiele mit Sicherheit etwas ein. Deshalb frage ich vorsichtig nach: „Ist alles in Ordnung bei dir?“ Seine Beteuerung, dass es so sei, überzeugt mich nicht ganz, doch ich belasse es dabei. Wenn er in der passenden Stimmung ist, wird er es mir schon erzählen.

      Die Minuten verstreichen, sowohl Opa als auch ich hängen unseren Gedanken nach, wobei ich mir eher darüber Gedanken mache, was ihn beschäftigen mag. Doch bald danach hat er sich wieder gefasst und das wohlbekannte, leuchtende Lächeln formt sich auf seinem Gesicht.

      „Du willst wissen, was sonst noch alles beim Unterkofl passiert ist? Nun denn, so manches, denn ich wusste mir stets zu helfen. Manches Mal plagte mich dort der Hunger, wie so oft in meiner Kindheit, doch mich dem einfach so zu ergeben war nie meine Art. Vom immer gleichen ‚Muas‘ zum Frühstück, den eintönig schmeckenden Knödeln zu Mittag oder der mageren Suppe abends konnte ein junger Bub, wie ich es war, einfach nicht satt werden! Da ließ ich mir schon etwas einfallen: Ein guter Freund von mir wohnte auf einem Hof in der Nähe. Der war oft genauso hungrig wie ich und wollte auch endlich etwas Ordentliches essen! Also sprachen wir uns ab und warteten, bis die Bauern seines Hofes das Haus verlassen hatten. Sogleich stahl ich etwas Rahm von zu Hause, eilte zu ihm hinüber und traf ihn in der Küche. Manchmal trafen wir uns aber auch bei mir, je nachdem, was besser passte. Ich präsentierte ihm stolz den gestohlenen Rahm und er zeigte mir den entwendeten Honig, den er mitgebracht hatte, und dann ging’s so richtig los! Wir mischten die Zutaten, erwärmten sie und ließen sie dann erkalten. Das Ergebnis war eine Speise, so gut, wie ich sie selten gegessen habe. Wir schnitten alles in Scheiben und verzehrten es vor Ort, damit uns niemand erwischen würde. War das eine Freude! Na ja, du musst dir vor Augen führen, wie meine Ernährung sonst ausgesehen hat: Gelegentlich plagte mich der Hunger dermaßen, dass ich in den Schweinestall ging und den Tieren das Futter stahl. Das bestand meist aus Kartoffelschalen sowie zu kleinen, ausgemusterten Kartoffeln, doch mir war das mehr als nur gut genug. Aber satt wurde ich davon auch nicht, weswegen ich jeden Morgen vor der Bäuerin in den Hühnerstall ging, mir ein oder zwei Eier holte und sie noch vor Ort austrank! Oder ich schlich mich zu den Kühen, bevor sie gemolken wurden, und trank die Milch direkt aus dem Euter immer derselben Kuh. Ach, das waren noch Zeiten! Wie gesagt, ich fand stets einen Ausweg. Gut, eine Ausnahme gab es dann doch: Im Laufe der Zeit überführten mich Bäuerin und Bauer, weil die Kuh nie gleich viel Milch gab. Das machte sie misstrauisch, weshalb sie mich beobachteten und erwischten. Als ich auf frischer Tat ertappt wurde, fand ich keine Ausflucht mehr. Der Bauer kam auf mich zu, ohne dass ich es bemerkte, und riss mich an den Ohren weg; das reichte ihm aber nicht, im Anschluss zog er mich an den Ohren im Raum hin und her, bis sie bluteten. Da glaubte ich schon, ich hätte genug gebüßt, aber falsch gedacht! Nach kurzer Verschnaufpause wurden mir noch einige heftige Fußtritte und Watschn zuteil, damit mir nie wieder in den Sinn käme, es nochmals zu versuchen. Aber im Grunde genommen war es mir egal, ich verzagte deshalb nicht. Eine andere Sichtweise hätte mich auch nicht satt gemacht, und so wurde ich das zumindest. Wenn ich bedenke, wie sehr ich diese Taten büßen musste, kann ich getrost sagen: Das zusätzliche Essen habe ich mir verdient!

      Mehr noch: Je größer der Hunger wurde, desto kühner wurde ich. So zum Beispiel einmal, als ich den Bauern, der auch Imker war, zu den Bienenständen begleitete, um ihm zu helfen. Da gab er mir einige Wabenstücke in die Hand, die ich halten sollte, während er Arbeiten vornahm. Als er wegsah, konnte ich mich nicht mehr halten und schleckte den süßlich-glänzenden Honig in den Waben ab. Mehrmals – ich genoss es sehr. Plötzlich verspürte ich einen brennenden Schmerz auf der Zunge. Augenblicklich schwoll meine Zunge an und wurde taub, da verstand ich: Eine Biene hatte mich gestochen! Der Bauer bemerkte den Stich, sagte dazu aber nichts, ich glaube, er verdächtigte mich nicht, an seinem Honig genascht zu haben. Da hatte ich Glück!“

      Ich frage mich, wie sehr der Unterkofl wohl eine Heimat für Arthur gewesen sein mag. War es für ihn nicht vielmehr bloß ein weiterer Aufenthaltsort auf seiner einsamen Reise, deren Zweck es war, ihn zu sättigen und nachts sicher schlafen zu lassen? Es war ein Ort, den er eine Zeit lang bewohnte, nicht mehr und nicht weniger. Deshalb machte es ihm auch nichts aus, jeden Sommer auf einem benachbarten Hof

Скачать книгу