Grundeinkommen von A bis Z. Christian Müller
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Auch heute noch werden Frauen oft für die gleiche Arbeit schlechter bezahlt als Männer. Da sie es sind, welche die Kinder bekommen, fehlen sie rund um die Geburt für eine gewisse Zeit im Erwerbsleben. Viele Frauen arbeiten Teilzeit. Das ist die Situation heute. Und mit einem bedingungslosen Grundeinkommen?
«Damit wären fünfzig Jahre Frauenemanzipation zerstört», sagt die Ökonomiedozentin Amalia Mirante aus Lugano. Weil das Grundeinkommen die Frauen vom Arbeitsmarkt nähme. Aber Erwerbsarbeit bedeute auch Zugehörigkeit zur Gesellschaft und nicht nur eigenes Geld.
Das Dilemma der Bezahlung
Auf der einen Seite die Sorgearbeit, auf der anderen öffentlicher Einfluss und öffentliche Geltung und Geldverdienen, das sei das Dilemma, sagt Nadja Schnetzler. Und das löst ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht. Liegt dieses Dilemma in der Natur der Sache? Würde ein Grundeinkommen beitragen zu einem Bewusstsein vom Wert der Arbeit, der näher an der Care-Arbeit liegt? Ist das ein Beitrag zur Emanzipation?
«Der Diskurs um das bedingungslose Grundeinkommen entwickelt sich leider in die Richtung, dass das Grundeinkommen die Zukunftslösung aller Probleme sein soll», kritisiert Nadja Schnetzler. Genau das empfinden viele Frauen als störend an der Idee. Sie sehen, dass mit einem Grundeinkommen ja noch keine Lösung da ist. Verspricht es die?
Würde denn eine Bezahlung der Care-Arbeit das Dilemma lösen? Kann man eine Mutter dafür bezahlen, dass sie sich um ihr Kind kümmert? Oder dafür, dass sie die Wohnung sauber macht oder dass sie sich um ihre eigene Mutter kümmert? Da wird doch eher deutlich, dass Bezahlen auch ein Fremdkörper ist, der in die Beziehung zum anderen Menschen und zu sich selbst in der Arbeit eine Distanz einbaut.
Aber ein Einkommen braucht jeder. Das Grundeinkommen hat vielleicht eher zur Folge, dass klarer wird, dass Care-Arbeit auch Arbeit ist. Anstatt dass Care-Arbeit unbedingt zum bezahlten Job wird. Das Dilemma ist nicht aufgehoben.
«Das Grundeinkommen ist Teil der Lösung», sagt Nadja Schnetzler. «Es krempelt unsere Gesellschaft nicht völlig um, sondern es macht Aspekte von ihr sichtbar, die bisher weitgehend unsichtbar sind.»
«Die Existenzsicherung und die Erwerbsarbeit würden entkoppelt», sagt Sarah Schilliger, Soziologin an der Universität Basel, «das Grundeinkommen schafft Freiräume zum Denken, zum Ausprobieren und Handeln für alle. Einige haben das heute schon, aber anderen wird es verwehrt. Es gibt viele Leistungen, die heute gar nicht als Arbeit anerkannt werden. Viele Beiträge von Frauen zum Beispiel. Sie werden nicht als zur Wirtschaft gehörig gesehen, sondern als ‹Liebesdienst›. Bezahlte Arbeit ist nur die Spitze des Eisbergs. Das Grundeinkommen würde den Eisberg sichtbar machen.»
Demokratie
Für die Schweiz ist direkte Demokratie ein Teil der Identität. Und sie ist Voraussetzung zur Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens – weil es im Grunde dieselbe Idee ist. Die direkte Demokratie setzt Eigenverantwortung voraus und ist gleichzeitig die Form, die sie stärkt: Weil die Freiheit gegeben ist und jeder als Teilnehmer Verantwortung trägt und ernst genommen wird. Bedingungsloses Grundeinkommen in der Schweiz wäre eine weitere Pioniertat in Sachen Demokratie.
Mit der politischen Debatte über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens in der Schweiz und verschiedenen anderen Ländern weltweit geht auch die Botschaft der direkten Demokratie in die Welt. Demokratie und bedingungsloses Grundeinkommen stehen in einem Zusammenhang. Sie sind beide von einer Idee: Dass über den Menschen in ihrer Entscheidung kein höheres System des Richtigen und Wahren steht. Die Souveränität liegt beim Volk und in der Stimme jedes Einzelnen. Ernst genommene Demokratie ist Voraussetzung für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Denn es kann nur von denen eingeführt werden, die es betrifft. Und es kann nur reifen in der demokratischen Auseinandersetzung, in der alle Mitsprache und eine Stimme haben. Was für alle ist, das kann auch nur durch alle und in Abstimmung miteinander kommen. Sonst ist auch ein Grundeinkommen letztlich nur ein Instrument für alte Interessen. Von einem Herrscher oder einer Regierung von oben herab spendiert wäre es eine Loyalitätsverpflichtung.
«Eine Demokratisierung der Demokratie», nennt Andreas Gross, ehemaliger Vertreter der Sozialdemokraten im Schweizer Parlament, die Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen. «Denn die Chancengleichheit wird wesentlich erhöht, wenn die Menschen nicht mehr Angst um ihre Existenz haben und eben auch Zeit bekommen, sich um die allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Gestaltungsfragen zu kümmern.» Viele, bemerkt Andi Gross, würden diese Initiative zu einem bedingungslosen Grundeinkommen anstößig finden. Aber das sei auch gut so, sagt er, wenn etwas anstößig ist. Da würde man angestoßen. Das ist der Vorteil der direkten Demokratie, dass auch neue und ungewöhnliche Gedanken in die Gesellschaft kommen können. Die direkte Demokratie ist ein permanenter Bildungsprozess: Der Prozess und der Zeitraum einer Einführung sind notwendig als eine Weiterbildung. Dieser Entstehungszeitraum eines bedingungslosen Grundeinkommens wird oft ausgeblendet. Was jetzt noch nicht klar ist und wo Fragen offen sind, da entstehen Antworten, bessere Fragen und auch Reife. Man hört, was andere denken, und muss sogar zuhören, weil diese auch eine Stimme haben. Man hört vielleicht auch zur eigenen Überraschung, wie viele so denken wie man selbst. Und an das, was man selber denkt, richtet sich ein höherer Anspruch, wenn daraus Ernst werden kann. Menschen lernen, wenn es Ernst wird.
Darum ist die Diskussionskultur in der Schweiz relativ hoch. Die Auseinandersetzung kann polemisch sein, aber das Einverständnis steht über allem, dass der andere das Initiativrecht hat und seine Stimme zählt. Seine wie auch die eigene Stimme kann zur politischen Umsetzung führen. Darum muss man besser auf das eigene Urteil achten, als wenn es sowieso keine Rolle spielt. Das ist ähnlich wie mit einem bedingungslosen Grundeinkommen auf der wirtschaftlichen Ebene. Damit hat die eigene Stimme auch mehr Gewicht. Und es steht weniger ein vorgegebenes Richtig oder Falsch über dem, was ein Mensch für sich entscheidet. Man kann oder muss mehr auf das achten, was man wirklich will, weil es eher zur Umsetzung kommen kann.
Wo es kein Initiativrecht der Bevölkerung gibt, muss die Bürgerin, der Bürger sich öfter sagen, dass er oder sie nun mal nichts verändern kann. Wo es das Initiativrecht gibt, kann er oder sie das nicht so sagen. Da liegt es an einem selbst, wenn man nicht initiativ wird. Und wird man es mit einem Vorschlag, der für alle sein soll, und findet man nicht genügend Zustimmung, dann korrigiert einen die Wirklichkeit der anderen, dass der Vorschlag wohl noch nicht für alle ist. Das ist ein ganz anderes Erleben, als wenn einem von vorneherein keine Möglichkeit gegeben ist.
Ähnlich wäre es mit dem bedingungslosen Grundeinkommen. Man kann, wenn man will, mehr ausprobieren. Und die Resonanz lehrt einen. Keine Möglichkeit von vorneherein lässt nicht lernen. Was man nicht macht oder womit man nicht weiterkommt, liegt dann eher bei einem selbst, als dass nur die äußeren Umstände schuld wären. Neues und Ungewöhnliches hat mehr Chancen, sich in die Gesellschaft einzubringen. Das ist so in der direkten Demokratie; so wäre es mit dem bedingungslosen Grundeinkommen.
Demokratisches Grundeinkommen
Und ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre ein demokratisches Einkommen. Es wäre demokratisch festgelegt und demokratisch legitimiert. Die Existenz wäre nicht erst nach bezahlter Leistung legitim, sondern als Mensch und Mitglied der Gemeinschaft. Eine Existenzberechtigung nicht nur aus Bezahltem und Vergangenheit, sondern geöffnet in die Zukunft. Mit bedingungslosem Grundeinkommen muss man den anderen mehr achten in der Auseinandersetzung um die Arbeit und in der Arbeit selber, weil er nicht mit dem Druck zur Sicherung seiner Existenz an die Arbeit gebunden ist.
Ist direkte Demokratie vergleichbar mit dem bedingungslosen Grundeinkommen?