Grundeinkommen von A bis Z. Christian Müller
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Es könnte so aussehen, als wäre das bedingungslose Grundeinkommen ein Gegenpol zur Ökonomisierung. Aber vielleicht gießt das bedingungslose Grundeinkommen auch Öl ins Feuer einer Entwicklung, die Frank Schirrmacher mahnend so beschreibt: «In einer Welt, in der der Informationskapitalismus das Innere des Kopfes vermarktet, (…) ist die Verflüssigung von Zahlen, Identitäten, Lebenswegen, Berufen das Gebot der Stunde.» Selbstmaximierung, jeder ein Unternehmer. «Der neue Kapitalismus aber hat es geschafft, die Verantwortung auf das Ich der Menschen abzuwälzen.» Wenn erst mal jeder akzeptiert, so Schirrmacher, dass er es nur sich selbst zuzuschreiben hat oder mangelndem Glück, wenn er als Verlierer vom Platz geht, dann kann das Pokerspiel erst richtig beginnen.
Veränderungen in der Arbeitswelt und im Sozialen durch technische Entwicklungen werden hingenommen wie eine höhere Bestimmung. So kann auch die Einführung eines Grundeinkommens zu einer automatischen Folge der Automatisierung geraten ohne weitere Bewusstseinsleistung der Menschen. «Wie heute aller soziale Wandel beschrieben wird als das Ergebnis eines technologischen Determinismus», sagt Frank Schirrmacher. Um diesen Unterschied geht es: technologischer Determinismus oder Eigenleistung der Menschen? Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine parallele Entwicklung zur Digitalisierung. Aber es ist nicht dieselbe Entwicklung. Es ist insofern ein Gegengewicht zur Digitalisierung, als es beim bedingungslosen Grundeinkommen darum geht, dass der Mensch in der Entwicklung bleibt.
Das bedingungslose Grundeinkommen geht nicht von einer naiven Sichtweise aus, in welcher der Mensch von Natur aus hilfreich und gut ist. Jede Entscheidung, die ein Mensch fällt, richtet sich nach dem, was er für das Beste hält. Das heißt, worin er für sich seinen maximalen Vorteil sieht. Ob er nun Kranke pflegt oder an der Börse spekuliert. Er richtet sich nach dem, worin er seine Werte, Leidenschaften, Ziele am besten umsetzen und erleben kann. Das kann jeder bei ehrlichem Hinschauen auf sich selbst bemerken. Dieser Egoismus kann verschiedene Richtungen und Färbungen annehmen und sich auch in Selbstlosigkeit wandeln.
Im ökonomischen Anreizsystem wird der Egoismus festgelegt auf Geldgewinn. Das System sorgt dann dafür, dass dieser fixierte Egoismus zum Nutzen aller gelenkt wird und im Endeffekt Züge der Selbstlosigkeit annimmt. Aber nicht vom Individuum aus. Der Unterschied zu dem, was das bedingungslose Grundeinkommen anspricht, ist nicht moralischer Art. Intrinsische Motivation, Motivation aus eigenem Antrieb, ist moralisch nicht besser als extrinsische Motivation, Motivation durch äußere Anreize. Der Unterschied besteht darin, den Egoismus einerseits in seiner Vielfalt und Wandelbarkeit beim Menschen zu belassen und anderseits den Egoismus in seine Verantwortung zu nehmen, anstatt den Menschen festzuschreiben auf eine einzige Art des «rationalen» Egoismus. Dies, um der Berechenbarkeit Futter zu geben und den Menschen zur arbeitenden Funktionseinheit für die Allgemeinheit machen zu wollen.
Rational sind die Entscheidungen zum eigenen Vorteil längst nicht immer. Und den Vorteil aller anderen hat man dabei auch nicht unbedingt im Blick. Hat man ihn im Blick, so kommt es tatsächlich eher zum eigenen Vorteil. Der Unterschied ist, ob das ein System regelt oder ob ich das selbst erleben kann und mich daran entwickle. Selbstlosigkeit zeigen Menschen zum Beispiel gerade in unvorhergesehenen Extremsituationen, in denen sie keinen Vorteil mehr erwarten können.
Prof. Bruno Frey von der Universität Zürich ist einer der Pioniere der ökonomischen Glücksforschung und führend in der Kulturökonomie. Seine Forschung belegt, dass Anreizsysteme eine toxische Wirkung haben auf die intrinsische Motivation. Sie bringen sie zum Erliegen. Dem Gedanken des bedingungslosen Grundeinkommens kann er deshalb etwas abgewinnen. Aber Anreize, sagt Bruno Frey, seien nicht per se schlecht. Es komme auf die richtige Balance an zwischen intrinsischer Motivation und äußeren Anreizen.
«Bezahlung verändert Motive und Motivation», sagt Josef Brusa, CEO des gleichnamigen Schweizer Technologieunternehmens. Wenn Mitarbeiter immer auf die Bezahlung schauen, dann sind sie nicht voll bei der Sache. «Erfolgsprämien werden spätestens beim dritten Mal als selbstverständlich erwartet. Wenn sie dann nicht mehr gezahlt werden oder geringer sind, ist der Motivationseffekt negativ.»
Eine groß angelegte amerikanische Studie bei Schülerinnen und Schülern unter dem Titel «Leveraging Behavioral Economics to Improve Educational Performance» von 2012 kommt zu dem Ergebnis, dass Geld als Anreiz motiviert, wenn der Betrag hoch genug ist. Und wenn er zeitlich nahe zur belohnten oder geforderten Leistung gegeben wird. Nicht monetäre Anreize wie Pokale und Auszeichnungen haben allerdings einen weit höheren Motivationseffekt. Andere Studien belegen nicht nur die erste Wirkung, sondern auch die weiteren Folgen von monetären Anreizen bei Kindern: Einer Gruppe Kindern wurden in einem Experiment für das Spielen eines bestimmten Spiels, das sie gerne spielten, Geld gegeben. Einer anderen Gruppe, die dasselbe Spiel spielte, nicht. Die Motivation zum Spielen war in der ersten Gruppe durch die Bezahlung nun geringfügig größer als in der zweiten. Nach einer Weile wurde in der ersten Gruppe die Bezahlung verringert. Das führte zu leichten Irritationen und anfänglicher Unlust. Als die Bezahlung ganz eingestellt wurde, hörten die Kinder auf zu spielen. In der zweiten Gruppe spielten sie weiter. Der Wert oder Sinn und die Lust am Spielen waren in der ersten Gruppe auf die Bezahlung selbst übergegangen. Keine Bezahlung? Warum dann noch dieses Spiel spielen? Der ausbleibende Anreiz hinterlässt Leere. Nicht nur für das eine Spiel, sondern überhaupt für das Spielen hat das Folgen.
Wäre das bei einem bedingungslosen Grundeinkommen auch so? Der ausbleibende Anreiz hinterlässt Leere? Weitere Experimente wurden in ähnlicher Art durchgeführt. Einem Kind, das munter malte, wird für ein Bild Geld gegeben. Zunächst freut sich das Kind und nimmt das Geld als Anreiz für ein nächstes schönes Bild. Nach einigen Malen erhält es kein Geld mehr für sein Bild. Nun denkt das Kind, es habe schlecht gemalt. Der ausbleibende Lohn wird zum Tadel und frustriert. Das Malen wird zur Mühe, die man lässt, wenn keine Belohnung stattfindet.
Kann man sagen: Anreizsysteme schaffen Dopingfälle? Das sind Leistungen, die man später aus seiner Biografie streichen muss. Es waren nicht die eigenen. Keine bleibenden Werte.
Das Hochhalten des Anreizes, eines äußeren und nicht in der Sache liegenden Anreizes, stärkt nicht, sondern verführt zu etwas, was man selbst nicht wollen kann. Bei vielen bereits in der Schule. Das ist keine gute Basis für nachhaltige Ergebnisse. Es irritiert den Sinn und korrumpiert den Willen.
Das bedingungslose Grundeinkommen steht nicht gegen extrinsische Motivation. Auch Geld als Anreiz und Berechenbarkeit haben einen Wert. Aber das Grundeinkommen gibt der inneren Motivation einen größeren Raum, indem es die pure Existenzangst beseitigt und einem die Verantwortung für das eigene Tun nicht abnimmt.
Arbeitsplätze
Es gibt zwei gute Nachrichten: Erstens werden uns laut verschiedener Prognosen in den nächsten zwei Dekaden Maschinen und Computer bis zur Hälfte der heutigen Jobs abnehmen. Zweitens wird es genug zu tun geben für alle: vor allem Arbeiten, die Persönlichkeit verlangen und individuell Sinn stiften. Das Grundeinkommen wäre nüchtern betrachtet die Basis der kommenden Leistungsgesellschaft.
Laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Demoscope vom Dezember 2015 würden mit einem bedingungslosen Grundeinkommen insgesamt 90 % weiterhin erwerbstätig sein, 34 % der Erwerbstätigen würden weniger arbeiten wollen. 40 % möchten sich mehr in der Freiwilligenarbeit engagieren, 53 % möchten mehr Zeit mit der Familie verbringen, 54 % möchten sich mehr weiterbilden. 13 % würden gerne den Arbeitsplatz wechseln und 22 % wollen sich selbständig machen.
Die Frage, wer mit einem bedingungslosen Grundeinkommen noch arbeitet, muss man differenzieren. Sie betrifft nicht die unbezahlte Arbeit, die über die Hälfte aller geleisteten Arbeitsstunden ausmacht und das Gemeinwesen trägt. Also Freiwilligenarbeit, Care-Arbeit, Hausarbeit. Diese Arbeiten würden eher aufgewertet. Sie betrifft nicht die gut bezahlte Arbeit. Der gewohnte Lebensstandard, die laufenden Kosten und auch das Selbstverständnis lassen einen nicht einfach auf die Einkommenshöhe