Grundeinkommen von A bis Z. Christian Müller
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Wie sieht es aus bei der ungeliebten und gering bezahlten Arbeit – der sogenannten Drecksarbeit? Wenn sie unverzichtbar ist, ist sie gesellschaftlich wertvoll und müsste mehr Wertschätzung erfahren. Sie wird besser bezahlt werden müssen, wenn sie sonst niemand macht. Die Arbeitsbedingungen müssten verbessert werden, damit Menschen sie machen. Häufig sind solche Arbeiten für die Menschen, die sie tun, nicht Drecksarbeiten, sondern sie sehen einigen Sinn darin und haben andere Erlebnisse, als Außenstehende wissen können. Bei manchen Arbeiten kann man sich nicht vorstellen, dass man selbst sie freiwillig täte, und also auch nicht, dass ein anderer das macht. Das trägt zur Geringschätzung dieser Arbeiten bei und leider auch zur Geringschätzung derer, die sie tun.
Die Frage, wer dann noch arbeitet, reduziert sich letztlich auf diejenigen, die auch heute schon nichts tun. Die also auch nicht in irgendeiner Weise künstlerisch oder im sozialen Umfeld tätig sind und auch nicht einer noch so eigenartigen Idee nachgehen. Statistisch gesehen ist das heute ein ganz kleiner Teil der Bevölkerung. Den wird es mit einem bedingungslosen Grundeinkommen vielleicht auch geben.
Laut einer Studie der Oxford Martin School vom Dezember 2013 werden innerhalb der nächsten zwanzig Jahre etwa die Hälfte der heutigen Arbeitsplätze von Robotern, Datenplattformen und Algorithmen übernommen. Betroffen sind alle Branchen in allen Bereichen, wo sich Arbeit quantifizieren, analysieren und digitalisieren lässt. Was nicht ersetzt werden kann, sind laut der Studie Tätigkeiten, die Empathie, Überzeugungskraft, Originalität, Verhandlungsgeschick oder besondere motorische Fähigkeiten brauchen.
Was viele Ingenieure, Konzernchefs, Wissenschaftler weltweit über diese sogenannte Industrialisierung 4.0 sagen, zeigt Klaus Schwab, Gründer des Weltwirtschaftsforums in Davos, in Bezug auf die Schweiz auf: «Zuerst wirbelte die Digitalisierung die Medien durch, nun die Banken. Das Gesundheitswesen und die Bildung werden bald erfasst. (…) In der Schweiz fallen 200 000 Bürojobs weg. Der Mittelstand löst sich auf. Der tragende Pfeiler unserer Demokratie ist bedroht. (…) Jeder Einzelne muss bereit sein, sich ständig weiterzubilden. Und der Staat soll Strukturen schaffen, die allen ein unternehmerisches Verhalten ermöglichen. Die Zukunft gehört nicht den großen, sondern den eigenen Firmen. (…) Das Volk muss die Regeln setzen, auch für die Wirtschaft. Da sich alles so schnell ändert, besteht die Gefahr, dass Firmen Regeln setzen und ihre Regeln automatisch Gesetz werden. Nötig sind politische Prozesse, die ständige Anpassungen der Regeln an die Entwicklungen zulassen. (…) Der Wettbewerb der Zukunft wird ein Wettbewerb der Systeme sein, nicht der Produkte.» Damit meint Klaus Schwab auch eine Neustrukturierung in der Einkommensregel wie zum Beispiel ein bedingungsloses Grundeinkommen.
«Neugierig auf die Welt zu sein, mit Wandel und Veränderungen umzugehen, dauerhaft lernen zu können, Veränderungen einordnen zu können im Kontext», das hält Klaus Wellershoff, Präsident des Volkswirtschaftlichen Instituts an der Universität St. Gallen HSG, für die wichtigsten Eigenschaften, die Jugendliche lernen sollten und die auch für uns alle gelten.
Aber kommt es wirklich so, wie die Vorhersagen es zeigen? Betrifft uns das?
Die Digitalisierung verändert nicht nur das, was man sich vorstellen kann. Die Veränderungen in der Wirtschaft werden so groß sein wie dereinst beim Wandel von der Agrarwirtschaft zur Kapitalwirtschaft. Die Landwirtschaft gibt es immer noch. Effizienter als früher, nicht weniger wichtig, aber sie macht nicht mehr den Schwerpunkt der Arbeit für die meisten aus.
Was Klaus Wellershoff voraussagt, bedeutet, dass sich ein Schwerpunkt der menschlichen Arbeit in den nächsten Jahrzehnten bei personenbezogenen Dienstleistungen, kultureller und künstlerischer Arbeit auch im Kontext mit sozialer Gestaltung herausbilden wird. Mehr selbständige Arbeiten als heute, mehr Projektarbeiten und wechselnde Zusammenarbeit.
Das hieße nicht, dass wir alle dann nur ein Grundeinkommen hätten. Aber das Grundeinkommen könnte unentbehrlich und förderlich sein bei Übergängen und dabei, etwas aufzubauen, sich neu zu orientieren und in neuen Arbeiten auch zu einem guten Gesamteinkommen zu kommen. Es wäre, nüchtern betrachtet, die Basis der kommenden Leistungsgesellschaft.
Aufmerksamkeit
Ökonomie ist die Lehre vom Umgang mit knappen Gütern. Früher war es der Boden für die Nahrungsmittelerzeugung, Kohle zur Dampferzeugung als Maschinenantrieb und Finanzkapital für Investitionen in Infrastruktur, Handel und Produktion. Im Zeitalter des materiellen Überflusses ist heute die Aufmerksamkeit der Konsumenten das knappe – und deshalb kostbare – Wirtschaftsgut.
Aufmerksamkeit ist das knappe Gut unserer Zeit. Das beschreibt der US-Investor Albert Wenger in seinem Buch «Die Welt nach dem Kapitalismus». So umfassend wie der Übergang von der Agrarwirtschaft zu Industrie und Kapitalwirtschaft ist laut Wenger jetzt der Übergang von der Kapitalwirtschaft zur digitalen Industrie. Und dazu gehört für ihn ein bedingungsloses Grundeinkommen: als humanistischer Boden der Veränderung und des Fortschritts zu mehr Möglichkeiten.
«Wie viele Menschen arbeiten heute im erweiterten Sinne für Banken und die Finanzindustrie? Weltweit Abermillionen», sagte Albert Wenger in einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin «brand eins». «Wie viele beschäftigen sich damit, welcher Asteroid die Erde treffen könnte und was eventuell rechtzeitig dagegen zu tun wäre? Es sind weniger, als in einer McDonalds-Filiale arbeiten.» Wie viele Menschen richten ihre Aufmerksamkeit auf den Klimawandel und was dagegen zu tun ist? Wenger meint: «Auch hier stehen Bedrohung und Aufmerksamkeit in einem grotesk schlechten Verhältnis. Wir verschwenden unendlich viel Zeit mit Ablenkungsübungen. Stattdessen sollten wir uns öfter fragen, was wir wirklich mit dem Leben anfangen wollen.» Vollbeschäftigung in klassischer Arbeit hält Albert Wenger in Anbetracht des technischen Fortschritts für «schlichtweg anachronistisch. Stattdessen werden wir viel mehr Zeit haben, über Sinnvolles nachzudenken», so Wenger weiter. «Wir haben die historische Chance, Wissen und Kultur in einem Umfang zu erzeugen und zu teilen, der bisher undenkbar war.»
Arbeit ist Anwendung von Aufmerksamkeit. Die Arbeit richtet die Aufmerksamkeit auf etwas. Sie kann auch Aufmerksamkeit in den Sand setzen. Wie sich Arbeit selbst verzehrt und Aufmerksamkeit hohl dreht, bespricht der Anthropologe David Graeber von der London School of Economics in seinem Buch «Bürokratie. Die Utopie der Regeln». Darin rechnet er vor, dass ein Drittel der Arbeitszeit heute für unproduktive Administration verwendet werde. Für das Ausfüllen von Formularen, Anträgen, für Benchmarking, Controlling, Evaluationen. Im Gesundheitswesen, an den Universitäten, in der Wirtschaft, in der Verwaltung sowieso. Auch Computer und Softwareprogramme würden den Menschen zum Administrator machen. Nach «der Überwindung des schrecklichen, bürokratischen Sozialismus und nach dem triumphalen Sieg der Freiheit und des Marktes», so Graeber, sei der Kapitalismus zu eben der Fantasie tötenden bürokratischen Technologie geworden, die zuvor dem technokratischen Sozialismus zugeschrieben wurde. Kreativität und Initiative würden zwar beschworen, doch wer damit aufwarte, habe die geringsten Aussichten, dafür eine finanzielle Unterstützung zu finden. Die administrative Notwendigkeit sei vom Mittel zum Zweck geworden. Der neoliberale Kapitalismus stehe dem Fortschritt im Weg. Er bremse die Kreativität aus, verhindere echte Innovation, hebele die Demokratie aus und schaffe neben gigantischen Einkommen für wenige nicht mehr Wohlstand für alle, so Graeber. Das also, womit der Kapitalismus sich rechtfertige, erfülle er nicht mehr.
Soll das heißen, dass der Kapitalismus sich überlebt hat in dem, wie er geworden ist? Wohin geht die Aufmerksamkeit?
In der Arbeit für das materielle Überleben stellte sich die Frage nach der Aufmerksamkeit noch nicht als eigene Frage.