Grundeinkommen von A bis Z. Christian Müller

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Grundeinkommen von A bis Z - Christian Müller

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und Individualisierung einerseits und mit einem Rückgang klassischer Arbeit und klassischer Hierarchien andererseits. Sie stellt sich mit der Digitalisierung und der Zunahme an Information – mit der Fülle an Möglichkeiten in der realen wie in der virtuellen Welt. Sie stellt sich mit neuen Herausforderungen, die im Mainstream wie im Bezahlsystem nicht genug vorkommen. Sie stellt sich für die kulturelle Entwicklung.

      Die Aufmerksamkeit an sich zu ziehen, sie zu analysieren und als Besitz zu vermarkten, ist das große Geschäft der digi­talen Ökonomie, der Apps und Internetplattformen wie beispielsweise Google, Facebook, iTunes. Ist das Software-Programm erst einmal entwickelt, gehen die sogenannten Grenzkosten gegen null. Das heißt, die Vervielfältigung und der Verkauf des Produktes und deren Anwendung sind ohne weitere Kosten unendlich möglich. Ohne weitere Kosten heißt ohne weitere menschliche Arbeit. Kapital und Arbeit sind entkoppelt.

      Vereinfacht fasst Albert Wenger seine These, dass Aufmerksamkeit heute die knappe Ressource ist, etwa so zusammen: Zur Zeit der Sammler und Jäger war Essen die knappe Ressource. Mit der Agrarwirtschaft wurde Boden die knappe Ressource. Da der Anbau noch wenig effizient war, brauchte man viel Land, um genügend Überschüsse für einen Herrscher und für Soldaten zu produzieren. Wozu brauchte man die Soldaten? Um andere davon abzuhalten, einem das eigene Land zu nehmen und um selbst mehr Land zu erobern. Mit der Industrialisierung wurden Bodenschätze und Kapital zur knappen Ressource. Da man im Vergleich zu heute in der Produktion noch ungeschickt war, brauchte man viel Kapital für große Fabriken und Maschinen mit vergleichsweise geringer Produktivität. Kapital und Arbeit waren an­einander gekoppelt. Es waren viele Menschen nötig, um mit den Maschinen, Transportmitteln und Werkstoffen zu ar­bei­­ten.

      Doch die Vorstellungen der Agrarwirtschaft lebten bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts weiter. Kriege wurden zur Eroberung von Land und Boden geführt. Und Kriege und Re­volutionen begleiteten den Übergang zur Industrialisierung, weil altes Denken und alte Besitzstände das Neue nicht verstanden und die Bedingungen für alle nicht auf die neue Zeit umstellen wollten. So kann es wieder sein beim Übergang vom Industriezeitalter und seinem Kapitalismus in die digitale Ökonomie. Heute ist Kapital nicht mehr knapp. Und ein immer größerer Anteil der Produktion von Gütern und Dienstleistungen braucht heute vergleichsweise wenig Kapital. Zudem ist Kapital viel weniger an menschliche Arbeit gekoppelt – das heißt an ein Einkommen für Menschen – wenn Menschen nicht nur mit Maschinen arbeiten, sondern wenn Maschinen und Programme selbständig vollständige Ar­beits­bereiche übernehmen.

      Damit wird Aufmerksamkeit zur knappen Ressource. Zum einen, weil es weniger um die Produktion geht als um die Vermarktung der Aufmerksamkeit der User und Konsumenten. Zum anderen, weil es um den eigenen noch ungeschickten und wenig effizienten Umgang mit der eigenen Aufmerksamkeit geht. Der Umgang mit der eigenen Aufmerksamkeit ist wenig geübt.

      In der Schule, der Ausbildung und der Arbeit ging es lange um Disziplinierung von außen, darum, die Aufmerksamkeit zu trimmen auf von außen gesetzte Ziele und Inhalte. Die selbst geführte, eigene Aufmerksamkeit war das, was wegzutrainieren war. Für die Freizeit stehen der amputierten eigenen Aufmerksamkeit Unterhaltungsprogramme zur Verfügung. Da die Unfähigkeit zur eigenen Aufmerksamkeit und die Bedeutungslosigkeit der eigenen Aufmerksamkeit so fest in die Köpfe gesetzt wurde, wird in der Digitalisierung von vielen ebenfalls nur Freizeit gesehen. Genauso werden die Möglichkeiten, die ein bedingungsloses Grundeinkommen eröffnet, von vielen nur als Zeit für Hobby und Ferien interpretiert. Das entspricht einem Arbeitsbegriff ohne den Wert eigener Aufmerksamkeit.

      Menschen würden sich um das versammeln, was knapp ist, sagt Albert Wenger. In der Digitalisierung sieht er eine Befreiung der Menschen zu mehr Möglichkeiten. Doch der Boden dazu muss eine Renaissance der humanistischen Werte sein. Das ist für ihn das bedingungslose Grundeinkommen. Die Rahmenbedingungen für alle müssen den neuen Bedingungen entsprechen. Auch damit der Übergang vom Kapitalismus in das digitale Zeitalter nicht so viele Kriege und Gewalt bringt. Denn, staut man Entwicklungen, quält man die Menschen. In der technokratischen Behandlung der Sozialleistungen ist das zu sehen. Auch Gewalt und Kriege sind in ihrem neuen Auftreten bereits zu sehen. Dem digitalen Zeitalter muss eine menschliche Klärung vorausgehen wie die Aufklärung im 18. Jahrhundert der Industrialisierung.

      Bedingungslosigkeit

      Bedingungslos ist eigentlich ein intimer Begriff. ­Dies macht es nicht einfach, ihn mit einem alltäglichen ­Einkommen in Verbindung zu bringen. ­Während die einen ­glauben, dass die Grundlagen des Lebens bedingungslos zur Verfügung stehen, sagen andere, dass es dieses Phänomen in der Realität gar nicht gäbe.

      «Wie absurd dieser Vorschlag zu einem bedingungslosen Einkommen ist», sagt Roger Köppel, Chefredaktor des Schweizer Magazins «Die Weltwoche», «sieht man schon an dem Wort bedingungslos. Bedingungslosigkeit gibt es gar nicht, nichts ist bedingungslos.»

      «Bedingungslose Liebe ist das Größte in dieser Welt. Wer sie bekommt, hat großes Glück», sagt Warren Buffet, einer der reichsten Männer der Welt. «Mein Vater hat immer an mich geglaubt und mich unterstützt. (…) Meine Kinder bekommen bedingungslose Liebe, wie ich sie von meinem Vater bekommen habe.»

      Liebe ist bedingungslos. Sie ist ein bedingungsloses ganzes Interesse am anderen Menschen, das ihn aus sich selbst her­aus bejaht.

      Was hat es also mit diesem intimen Begriff auf sich? Wie fühlt sich bedingungslos eigentlich an? Ist das offen? Ist das schwach? Ist das Hingabe? Geht da was los? Ist das aufgehend?

      Bedingungslosigkeit – ist das ein Raum um einen herum, der haltlos und bedrohlich ist? Oder ist das ein Raum, der aus einem selbst heraus aufgeht?

      Bedingungslos muss es sein, wenn man auf einen neuen Gedanken kommen will. Sonst spinnt man nur den alten weiter. Der spinnt sich weiter bis zu einer Ideologie.

      Bedingungslos ist der Moment des Schöpferischen bei gleichzeitig voller eigener Präsenz.

      Kann man die Bedingungslosigkeit zu einem Bestandteil des Volkseinkommens machen?

      Praxis der Bedingungslosigkeit

      Von der «Zukunftsstiftung Soziales Leben» in Deutschland wurden Menschen mit einem Förderbetrag unterstützt, der keine Auflagen hatte. Der Betrag war 500 Euro pro Monat. Er wurde über drei Jahre ohne Ergebniserwartung und ohne Bedingungen ausgezahlt. Nur mit einem Interesse begleitet am anderen Menschen. Das war sehr schwierig, weil man bei ei­nem Zuspruch von Geld doch immer in Versuchung ist, nach der Effizienz zu fragen. Ist das denn auch sinnvoll? Lohnt sich das? Eine Sache oder ein Projekt zu fördern, ja, aber wie fördert man einen Menschen? Eben nur bedingungslos. (Dabei ist jede Förderung einer Stiftung letztlich nichts anderes als Einkommen für Menschen.)

      Da diese Stiftung weniger eine Antragsstiftung war, sondern auf Menschen zuging, die im weitesten Sinne gemeinnützig tätig waren, die ihrer Intention nachgingen und dies nicht in erster Linie profitorientiert, kam es auch dazu, dass jemand sich fragte: Wofür bekomme ich jetzt dieses Geld? Bei einem Antrag oder Auftrag ist das klar. Aber hier, zu was verpflichte ich mich da, wenn ich von denen Geld annehme, das keine Gegenleistung fordert? Ist das eine Verpflichtung zu etwas, was ich nicht weiß? Ist das wie bei der Mafia oder einer Sekte? Wird man da als ganze Person eingekauft?

      Diese Befürchtung haben manche auch beim bedingungslosen Grundeinkommen. Eine unausgesprochene Loya­litätsverpflichtung. In reichen Golfstaaten, wo es ein frei gegebenes Einkommen für die Landeskinder gibt, ist es das. Es ist wie ein Familieneinkommen.

      Jemand, der von der Stiftung gefördert wurde, erzählte, dass er diesen Einkommensbetrag ohne Verpflichtung nach einigen Monaten wie ein Brennglas auf die Selbstverantwortung erlebt habe. Weil da nichts war, was ihm die Verantwortung abnahm, wie bei

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