Das Neue Testament und sein Text im 2. Jahrhundert. Группа авторов

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Das Neue Testament und sein Text im 2. Jahrhundert - Группа авторов Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter (TANZ)

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dass das Problem von neutestamentlichen Paratexten gerade nicht auf die Frage nach subscriptio und inscriptio reduziert werden kann.36 Paratextuelle Informationen zum Titel können in einem Sammelkodex prinzipiell an vier Stellen vorkommen: a) am Beginn, b) am Beginn einer Kapitelliste, c) in der fortlaufenden Kopfzeile, d) am Ende.37 Diskutiert man die Edition von Sammlungen neutestamentlicher Schriften, sollte man sich darüber Gedanken machen, welche paratextuellen Formen der Titel auf die Entscheidung im Kontext der Zusammenstellung von Sammlungsersteditionen zurückgehen und inwiefern Varianten im Handschriftenbefund als Abwandlungen dieser ursprünglichen Form interpretiert werden könnten, die wiederum auf editorischen Entscheidungen anderer beruhen.

      An Trobischs Schlussfolgerungen bezüglich der großen Einheitlichkeit der Titel ändert das alles nichts. So wird man S. Petersen Recht geben müssen, wenn sie gegenüber der These Hengels einer sukzessiven Entstehung der Evangelientitel betont, dass sie „eine Konsequenz aus dem Zusammentreffen verschiedener Evangelien“38 sind. Allerdings ist zu überlegen, ob nicht das Modell „Zusammentreffen in einer Sammlung“39 mehr Plausibilität besitzt als Petersens ohne weitere Begründung vorausgesetztes dynamisches Gemeindezirkulationsmodell, bei dem der Konsens über die einheitlichen Evangelientitel im diskursiven Austausch über die Texte gefallen sein soll.40 Wirft man Trobisch an anderer Stelle vor, er könne keine positiven Belege für seine These anführen, so gilt dies für die Annahme einer sukzessiven Titelentstehung oder der These einer Titelentstehung im Kontakt umso mehr. Zudem müsste Petersen konsequenterweise dann die Entstehung der Evangelientitel und die Entstehung der Titel in den Briefsammlungen unterscheiden. Hier hat das einheitliche Erklärungsmodell Trobischs, das die Titelformulierung auf eine editorische Entscheidung zurückführt, eindeutige heuristische Vorzüge. Grünstäudl weist zudem darauf hin, dass die Titel „nur innerhalb der Teilsammlungen ‚einheitlich strukturiert sind‘“41. Dies wird von Trobisch auch nicht bestritten, der zudem die Funktion der unterschiedlichen Titelgebung im Vergleich der Teilsammlungen untereinander mit dem Redaktionskonzept insgesamt erklärt.42 Das Argument Trobischs für eine einheitliche Redaktion ist, dass die Titel in den Handschriften einheitlich überliefert sind, und nicht, dass sie über die einzelnen Teilsammlungen hinweg einheitlich gestaltet sind. Die umgekehrte Annahme, dass das NT in Form von 27 Schriften sich in einem dynamischen Sammlungs- und Ausscheidungsprozess formiert hätte, ließe aus der Sicht Trobischs eine höhere Diversität innerhalb des Handschriftenbefundes erwarten. Daher ist m. E. Grünstäudls Schlussfolgerung nicht zwingend, die Titel könnten nicht auf eine einheitliche Teilsammlungsedition im 2. Jh. zurückgehen. Für die damit verbundene zwingende Zusatzannahme, die Zählung der Briefe beruhe „auf dem Zusammentreten von zwei (bzw. im Fall der Johannesbriefe: drei) Texten“43, gilt die oben geübte Kritik an der Vereinbarkeit der Einheitlichkeit mit den Implikationen eines dynamischen Gemeindezirkulationsmodells.

      Etwas stärkere argumentative Gegenkraft haben die Einwände bezüglich der Nomina Sacra. Hieraus folgt, dass erstens alle außerkanonischen Befunde in Texten und in den archäologischen Zeugnissen44 als Reaktion auf die stilbildende Innovation einer editio princeps zurückführt werden müssen, was allerdings aus chronologischer Sicht durchaus möglich ist. Zweitens ist noch einmal hervorzuheben, dass der Herausgeber in Trobischs Modell lediglich das System, nicht aber die genaue Ausgestaltung etabliert habe. Es wäre daneben aber drittens auch möglich anzunehmen, dass der Herausgeber einen bestehenden Identitätsmarker der frühen Christen aufgegriffen haben könnte. Auch dies könnte die Verbreitung und Variabilität erklären, wäre aber immer noch kein Gegenbeweis der These Trobischs. Insgesamt sollte man aber die Beweislast, die man den Nomina Sacra für den Nachweis einer editio princeps aufbürdet, nicht allzu stark strapazieren.

      Die weiteren Einwände – zur Disparatheit der hss. Überlieferung (g) und zu den Abweichungen in der altlateinischen Überlieferung (h) – können hier nicht ausführlich thematisiert werden. Allerdings kann man im textkritischen Befund doch einige Muster und Regelmäßigkeiten bzw. statistische Auffälligkeiten erkennen, die ein Dynamizitätsparadigma wie das des „living texts“ in Frage stellen. Diesbezüglich sei angemerkt, dass das von M. Klinghardt angewandte Modell der Interferenz verschiedener Ausgaben („vorkanonisch“ – „kanonisch“) zur Erklärung von Varianten in der neutestamentlichen Textüberlieferung,45 das in der Theorie und auf der Basis des historischen Befundes konzeptionell noch zu verfeinern wäre, mutmaßlich weiterführende heuristische Potentiale bereithalten kann.46 Der Einbezug der altkirchlichen Übersetzungen (h) wäre sicher eine weiterführende Forschungsperspektive, die erkundet werden müsste. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Übersetzungen selbst schon eine eigene Tradition entwickelt haben könnten und im Sinne des Interferenz-Modells von „vorkanonischen“ Texten und Sammlungen beeinflusst sein könnten.47

      2 Sozial- und kirchengeschichtliche Argumente

      Zahlreiche weitere Argumente, die Trobischs These in der Forschung der letzten Jahre entgegengebracht worden sind, können unter der Kategorie Sozial- und Kirchengeschichte subsumiert und in fünf Hauptargumente zusammengefasst diskutiert werden:

      2.1 Die Kodexform habe schon vor einer mutmaßlichen Herausgabe der editio princeps für christliche Schriften Anwendung gefunden.1

      Dieser Anfrage möchte ich angesichts der Veränderung in der Forschungslage seit der Herausgabe von Trobischs Habilitationsschrift einige weiterführende Fragen gegenüberstellen: Muss man nicht sogar davon ausgehen, dass „vorkanonische“ Sammlungen wie z. B. eine Paulusbriefsammlung oder die Bibel Marcions in Form eines Kodex herausgegeben worden sind? Ist die Annahme der innovativen Einführung der Kodexform durch den/die Herausgeber der editio princeps eine notwendige Bedingung der These Trobischs? Kann man nicht vielmehr annehmen, dass der/die Herausgeber eine bestehende christliche Editionspraxis von Sammlungen aufnahm und weiterführte? Der Kodex wäre in der frühchristlichen Publikationspraxis damit ja nicht „durch mehrere unabhängig voneinander arbeitende Herausgeber“2 eingeführt worden, sondern einfach nur von Herausgebern und Editoren älterer, vorkanonischer Sammlungen. Dies ändert alles nichts an der Einheitlichkeit des Befundes, auf denen Trobischs Schlussfolgerungen beruhen.

      Ergänzt werden können die Schlussfolgerungen durch eine Beobachtung von Scheele an den literarischen Quellen der Alten Kirche. Er resümierte schon in den 1970er Jahren:

      „Die Verwendungsart von ‚codex‘ in den hier herangezogenen Schriftstellen […] könnte vermuten lassen, daß sich in der alten Kirche ein bestimmter Aufteilungsmodus der Schriften der Bibel mehr oder weniger einheitlich gebildet hätte. Soweit ich sehen kann, ist diese Frage noch nicht gestellt und untersucht worden“.3

      2.2 Im 2. Jh. sei es vor allem unter ökonomischen1 und technischen2 Gesichtspunkten noch nicht möglich gewesen, die neutestamentlichen Schriften in einem Kodex bzw. in einer „Vollbibel“ unterzubringen.

      Dieses Argument halte ich aus sozialgeschichtlicher Perspektive für nicht tragfähig – man denke nur an das mutmaßliche Vermögen Marcions oder an die Kosten, die durch die paulinischen Reisen entstanden sein müssen.3 Hinter diesem Argument steckt eine m. E. fragwürdige Vorstellung des frühen Christentums als „subkulturelles Phänomen“4, das vor allem für die Unterschichten attraktiv war und in dem der Austausch biblischer Schriften ausschließlich über private Netzwerkstrukturen abgelaufen ist.5 Dabei wird ein sozialromantisches Bild (das aus dem 1Kor und Thesen zum historischen Jesus abgeleitet wird und schon für das 1. Jh aus vielen Gründen fragwürdig ist) ohne Kenntnis der Verhältnisse auf das 2. Jh. übertragen. Diese weit verbreitete Vorstellung in der Forschung ist ein Grund, warum Trobischs These von einer Publikation neutestamentlicher Schriften als Anachronismus gewertet wird.6 Diese Sicht wird zusätzlich genährt von einer gewissen Skepsis in der altphilologischen Forschung gegenüber den älteren Arbeiten7 zum antiken Buchwesen.8 Allerdings wird in der Arbeit Trobischs auch nicht ganz deutlich, wie er sich die Publikation der christlichen Bibel in vier Teilsammlungen

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