Das Neue Testament und sein Text im 2. Jahrhundert. Группа авторов

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Das Neue Testament und sein Text im 2. Jahrhundert - Группа авторов Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter (TANZ)

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der Sammlung neutestamentlicher Schriften und der prozesshaft konzeptualisierten Entstehung des Kanons auf der anderen Seite.2 Dieses Junktim der Entstehung des neutestamentlichen Kanons und der Lesung der neutestamentlichen Schriften im Gottesdienst ist bis heute forschungsgeschichtlich sehr wirksam,3 aber nicht unbestritten geblieben.4 An dieser Stelle zeigt sich, wie stark die Beurteilung der Entstehung der christlichen Bibel von spezifischen Vorannahmen und der Modellierung der Geschichte des frühen Christentums abhängt. Eine tiefergehende Untersuchung des Interdependenzverhältnisses zwischen frühchristlicher Lesepraxis und Buchpublikation ist m. E. ein zentrales Forschungsdesiderat, sodass an dieser Stelle keine Entscheidung getroffen werden kann. Es scheint mir allerdings so, als beruhe die Annahme, gottesdienstliche Lesepraxis sei das entscheidende Movens gewesen, auf einer sehr dünnen Quellenbasis5 und zum Teil, wenn man die neueren Einsichten zur zentralen Rolle des Gemeinschaftsmahles für die frühchristlichen Versammlungen betrachtet, auf anachronistischen Eintragungen der späteren liturgischen Perikopenlesung.6 Dass eine gottesdienstliche Lesepraxis der entscheidende Faktor für die Entstehung des Neuen Testaments gewesen wäre, ist begründungsbedürftig und darf schon aus methodischen Gründen nicht a priori vorausgesetzt werden.

      2.5 Die Theorie Trobischs setze ein viel höheres Niveau von Strukturierung und Zentralisierung voraus als im zweiten Jh. vorhanden.1

      Dieses Trobisch häufig vorgehaltene Argument läuft ins Leere, da Trobischs These eine hierarchisierte und zentralisierte Kirche überhaupt nicht zwingend voraussetzt. Hier werden Argumente aus der älteren Diskussion über die Entstehung des christlichen Kanons fortgeschrieben, die Trobischs These etwa der forschungsgeschichtlich einflussreichen Auffassung Harnacks zuordnen, der Kanon sei eine kirchliche Gegenreaktion auf die dreifache Bedrohung der Kirche durch Marcioniten, Montanisten und den Gnostizismus.2 Trobisch versteht die Endredaktion aber vielmehr als weitgehend kontingente Entscheidung eines Einzelnen (oder einer kleinen Gruppe)3 mit einem durchaus spezifischen theologischen Interesse und einer Stoßrichtung innerhalb frühchristlicher Identitätskonstruktionsprozesse, die im Einzelnen historisch detailliert zu beschreiben wären. Aber erst in ihrer Rezeption wird die editio princeps zu einer „kanonischen“ Ausgabe.4 Wie der Erfolg dieser postulierten Ausgabe erklärt werden kann, ist eine andere Frage, die sich aber leichter erklären lässt als die Alternative, nach der sich die neutestamantlichen Schriften in einem dynamischen Prozess als Einzelschriften durchgesetzt haben müssten. Insgesamt muss daher konstatiert werden, dass die These Trobischs weitgehend quer zu den bisherigen Modellen zur Entstehung des neutestamentlichen Kanons liegt und daher eine völlig neue Diskussion erfordert.

      3 Kritik an fehlender historischer Kontextualisierung

      Trobisch wird darüber hinaus in zahlreichen Rezensionen die fehlende genaue historische Kontextualisierung entgegengehalten: Es fehle a) eine Untersuchung zur Datierung und Lokalisierung der editio princeps.1 b) Außerdem bleibe Trobisch genaue Aussagen zur Intention und Konkretisierung spezifischer historischer Faktoren, die zur Herausgabe des NT geführt haben könnten, schuldig.2 In der Bewertung dieser offenen Fragen ist die Forschung gespalten: Während diejenigen, die Trobischs These ablehnen, die offenen Fragen als fehlende Plausibilität der These werten,3 sehen andere darin Desiderata für die zukünftige Forschung. So regt etwa M. Klinghardt an, dass auf der Grundlage der Idee einer editio princeps auch die Vorgeschichte dieser Sammlung zu untersuchen wäre4 – hier hat er mit seiner jüngst fertiggestellten Arbeit zum marcionitischen/protolukanischen Evangelium schon erste große Schritte gemacht.5 Zum anderen mahnt er an, die hermeneutischen und kanonstheologischen Implikationen weiterzudenken.6 Gerade die reflexartigen Abwehrbewegungen zeigen, wie wichtig nicht zuletzt aus wissenschaftssoziologischen Gründen ein möglichst präzise ausgearbeitetes Modell zur historischen Kontextualisierung und Plausibilisierung der Ersteditionsthese ist – gerade weil sie in einem starken Spannungsverhältnis zu etablierten Modellen steht –, damit sie als Diskussionsgrundlage anerkannt wird.

      4 Das Problem der katholischen Briefsammlung

      Bislang ausgespart habe ich Anfragen an die These Trobischs, die sich auf die Sammlungseinheit der katholischen Briefe beziehen. Während die Quellen doch ein recht eindeutiges Bild bezüglich der Vierevangeliensammlung1 und der Paulusbriefsammlung2 zeichnen und die Diskussion über die Zugehörigkeit der Apokalypse als Diskussion über die Zugehörigkeit zu einer bestehenden Sammlung interpretiert werden kann, stellt sich der Quellenbefund bezüglich der katholischen Briefe disparater dar. Daher wird die frühe Rezeptionsgeschichte der katholischen Briefe in der neueren Forschung, die sich mit der Sammlungsgeschichte des Neuen Testaments beschäftigt, gleichsam als entscheidender Prüfstein herangezogen. Zu nennen sind hier insbesondere die Arbeiten von D. R. Nienhuis und W. Grünstäudl, die sich mit der These Trobischs im Rahmen ihrer Forschung zu den katholischen Briefen auseinandersetzen. Ihre Anfragen rekurrieren primär auf die Entstehungsgeschichte des 2Petr, dem im Rahmen der These Trobischs eine konstitutive Funktion für die Kohärenzbildung innerhalb des NT zukommt.3

      Während Nienhuis in Modifikation der Idee Trobischs die These vertritt, erst mit dem Hinzukommen von Jak und 2Petr im 3. Jh. zu einer bestehenden apostolischen Briefesammlung sei die katholische Briefsammlung zunächst im Osten zu ihrer finalen Form gelangt,4 stellt Grünstäudl die Hypothese auf, der 2Petr sei in der zweiten Hälfte des zweiten Jh. in Alexandrien entstanden,5 wobei ihm die bei Origenes belegbare Rezeption als terminus ante quem gilt.6 Seine Hypothese stützt sich neben der „Beachtung der fundamentalen Entsprechung, in der die theologische Konzeption des 2 Petr zu der des Clemens steht“7 auf die gründlich untersuchte Frage nach literarischen Abhängigkeitsbeziehungen, die Grünstäudl u. a. zugunsten einer Abhängigkeit des 2Petr von Justin und der ApkPetr entscheidet.8

      Die Argumentationen von Nienhuis und Grünstäudl basieren zu einem großen Teil auf der traditionellen Methodik der Forschung zum neutestamentlichen Kanon, die sich der Auswertung der Rezeption neutestamentlicher Schriften in der patristischen Literatur bedient: Vor allem das Fehlen einer Rezeption bei den „westlichen“ Autoren wird in Stellung gebracht.9 Wenn man wie Grünstäudl die Abhängigkeitsrichtung bei Justin und der ApkPetr umkehrt, findet sich bei Origenes der erste sichere, positive Rezeptionsbeleg für 2Petr.10 Das methodische Problem, von der Nicht-Rezeption darauf zu schließen, eine Schrift sei noch nicht vorhanden oder als neutestamentliche Schrift nicht anerkannt, brauche ich hier nicht weiter zu thematisieren. Vor allem zeigt aber die Diskussion um konkrete mögliche Berührungspunkte und deutliche Parallelen (v. a. zwischen 2Petr und 1/2Clem, Herm, Barn sowie Polyk), dass eine literarische Abhängigkeit der genannten Schriften vom 2Petr zwar nicht bewiesen,11 aber umgekehrt aus dem Befund heraus auch nicht widerlegt werden kann. Hier liegt eine deutlich sichtbare methodische Schwachstelle in der Argumentation von Grünstäudl.

      Während Nienhuis Euseb als Kronzeugen für seine These eines Abschlusses der katholischen Briefsammlung im 3. Jh. heranzieht,12 sieht Grünstäudl gegen Trobisch in Eusebs Erklärung, er habe erfahren, dass der als nächstes kommende (wörtl. gebrachte), zweite [Brief des Petrus] nicht im Bund sei (τὴν δὲ φερομένην δευτέραν οὐκ ἐνδιάθηκον μὲν εἶναι παρειλήφαμεν, Eus. h. e. 3,3,1), einen Beleg für die Hypothese, die 27 Schriften des NT hätten sich in einem Prozess herausgebildet.13 Die Formulierung selbst und der Kontext deuten aber eher daraufhin, dass die Stelle eine Diskussion um die Zugehörigkeit von 2Petr zu einer bereits existierenden Sammlung reflektiert (ἐνδιάθηκος), die womöglich den Titel „Neuer Bund“ trug.14 So ist die Bezeichnung πρότερος – δεύτερος am ehesten als Verweis auf die Stellung und Bezeichnung der Briefe in einer Sammlung zu verstehen, vor allem die Formulierung ἡ λεγομένη αὐτοῦ προτέρα („der als sein erster bezeichnet wird“) klingt nach einer Referenz auf eine vorhandene Überschrift.15 Einen Brief mit „erster“ zu spezifizieren, impliziert zwingend, dass ein zweiter, mit einer Ordinalzahl gekennzeichnet, existiert. Ebenso deutet das Verb σπουδάζω auf die Aufnahme in eine Schriftensammlung hin.16 Vor allem der folgende Satz

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