Kultur- und Literaturwissenschaften. Группа авторов
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Interkulturelles Lernen beruht […] auf der Einsicht, dass die eigene Wirklichkeit und die des anderen Konstruktionen sind und keiner die ‚wahre‘ Wirklichkeit besitzt. (Wendt 2000: 28)
Hieraus ergibt sich ein Modell der interpretativen Gemeinschaften, das selbständiges Handeln für Interpretation und Kompetenzmanagement erfordert. Es braucht die notwendige Strategienkompetenz (das savoir comprendre, Byram 1997) beziehungsweise eine „kritische Kompetenz“ (Roche & Roussy-Parent 2006; Roche & Webber 1995), die zum Beispiel die Auswahl, Bewertung und Kontextualisierung des Wahrgenommenen regelt (vergleiche Lösch 2003).
Krusche stellt in diesem Konstruktions- und Managementprozess die eigentlich relationale Qualität der diffusen Kategorie ‚Fremdheit‘ in den Fokus, die auf „Differenzen, Distanzen, Verschiedenheiten, Unterschiede“ (Krusche 1985a: 13) gerichtet sei. Nicht das Fremde an sich stehe im Mittelpunkt, sondern der Bezug zum Eigenen (Alterität). Zwangsläufig entstehen aus diesem relationalen Konzept Be- und Verfremdungen, die es gelte, im Sprach- und Literaturunterricht konstruktiv zu nutzen. Wie dieses relationale Konzept mittels verschiedenster Textgattungen, von der konkreten Poesie bis zu Romanen, umgesetzt werden kann, illustriert Krusche an einer umfangreichen Sammlung von Materialien für den Unterricht (Esselborn 2010, Krusche & Krechel 1984).
2.2.4 Zur Rolle literarischer Texte und anderer (medialer) Textgattungen
Mit literarischen Texten als Verdichtungen komplexer kultureller Systeme und mit unterdeterminierten lyrischen Texten als Impulse für kreative Denk- und Versprachlichungsprozesse wird versucht, eigene und fremde Kulturen zu rekonstruieren oder zu ergründen. Konkrete Poesie eignet sich unter anderem deshalb so gut, weil inhaltsschwere und aussagekräftige Texte auch von Lernern produziert werden können, die noch nicht über ein reichhaltiges Inventar sprachlicher Strukturen verfügen. Ähnlich ist auch in Literacy-Programmen – oft bereits im vorschulischen Alter – der Übergang vom Zuhören und Lesen zum eigenen Erzählen konstitutiv angelegt.
Nach dem Verfahren von Ehlers ist zwischen „innerer und äußerer Kontextualisierung“ zu unterscheiden, bei dem eine einem Text zugrundeliegende Situation zunächst in eine konzeptuelle Repräsentation (innere Kontextualisierung) umgewandelt und dann in Beziehung zu ihren nichtsprachlichen Kontexten (äußere Kontextualisierung) gesetzt wird (Ehlers 1989: 179f). Aus diesem an die Prinzipien der Rezeptionsästhetik angelehnten Verfahren ergibt sich eine Vermittlung zwischen zielkulturellem Konstrukt und der Interpretation des Lerners. Die wechselseitigen Vermittlungsprozesse, die im Wesentlichen auf der Interpretation des Betrachters beziehungsweise der Betrachterin oder des Lerners basieren, führen nur bedingt zu einer Rekonstruktion der Situation im Sinne zielkultureller Normen, sondern tragen zu der Ermittlung der ‚kulturellen Bedeutung‘ eines Konzeptes bei. Um Beliebigkeit zu verhindern, bedarf es dazu unter Umständen der Hilfe von außen, da eine konzeptuelle Repräsentation von kulturspezifischen Modellen abhängig ist.
Ein vergleichendes Verfahren zur Erarbeitung literarischer Texte mittels Hypo- und HypertexteHypo- und Hypertexten schlagen Nolden und Kramsch (1996) vor. Die kulturspezifisch geprägten und idiosynkratisch realisierten Perspektiven auf eine Geschichte lassen sich auf der Basis von grundlegenden, unter Umständen aus den Vorsprachen bekannten Konzepten und Texten (Hypotext) in selbst produzierten Hypertexten der Lerner wiedergeben (vergleiche Genette 1982). Hypo- und Hypertexte können im Anschluss – wie bei den digitalen Ethnographien – verglichen werden und als Grundlage für interkulturelle Reflexionen dienen. Lernerproduktionen zu Grimm- oder Anderson-Märchen, die in das Stamminventar vieler internationaler Erzählkulturen eingegangen sind, sind hierfür gute Illustrationen.
In den Fassungen der Studentinnen des Fortgeschrittenen-Deutschkurses einer kanadischen Universität auf der begleitenden Webseite zeigt sich, dass die von ihnen produzierten Varianten Ableitungen einer konventionalisierten englischsprachigen Übertragung (Little Red Riding Hood) der Grimm’schen Vorlage (Rotkäppchen) sind. Den Studentinnen waren ebenfalls Versionen der Grimm’schen Vorlage bekannt. Diese Ableitungsvariation kann folgendermaßen dargestellt werden (vergleiche dazu auch die Fassungen von Rotkäppchen in der Verwaltungs-, Chemiker- oder Linguistensprache bei Ritz 2000):
Abbildung 2.3: Hypertextvarietäten (Ableitungen) mit unterschiedlichen Schnittmengen der Varietäten untereinander und mit dem zugrunde liegenden Hypotext am Beispiel von Rotkäppchen-Variationen im Englischen
Nicht berücksichtigt in der Darstellung sind jedoch Mischformen aus den beiden Hypertextsequenzen, die je nach Disposition der Produzentin oder des Produzenten beliebig konstruiert werden können. Das Verfahren entspricht dem, was Wendt (1996) als Ansatz der semantischen Intertextualitätsemantische Intertextualität bezeichnet.
Das Modell von Nolden und Kramsch (1996) lehnt sich damit an textwissenschaftliche Perspektiven an, in denen Kultur als eine semiotische Konstellation von (Hyper-)Texten betrachtet wird, über die ein Ausgleich verschiedener Wissensbestände – über kulturelle Grenzen hinweg – bewirkt werden kann.
Für die Behandlung unterschiedlicher Textgattungen und ihrer medialen Realisierungen sowie als Instrument für die Bearbeitung von Texten und die Darstellung unterschiedlicher Perspektiven (Konstruktionen) bieten sich zunehmend elektronische Medien an. Die besondere Eignung elektronischer Medien und die Bedingungen ihres Einsatzes weisen einige Studien zum Medieneinsatz beim interkulturellen Lernen und Kommunizieren aus:
Die Studien von Beers (2011), Goldman-Segall (1998) und Fischhaber (2002) zur digitalen Ethnographie erläutern die Grundlagen konstruktionistischen interkulturellen Lernens und illustrieren sie anhand verschiedener Lernprojekte, zum Beispiel am kulturkontrastiven Thema Wasserwelten (Beers 2011).
Mit der Bewusstmachung medialer Einflüsse auf Wahrnehmung, Wahrheitsabbildung und Kommunikation beschäftigen sich unter anderem Kramsch und Andersen (1999). Anhand einer medial vermittelten Gerichtsverhandlung in Südamerika zeigen sie die durch kulturelle Prädispositionen geprägten Zensur- und Vorverurteilungsmechanismen auf und geben Hinweise auf die Nutzung des Verfahrens in der Sprach- und Kulturvermittlung.
Schlickau (2009) liefert instruktive Einblicke in die – oft subtile – interkulturelle Gestaltung und Wirkung elektronisch vermittelter Werbung und in die Prozesse ihrer Rezeption.
Die kulturspezifischen Präferenzen beim online-vermittelten Lernen erforschen unter anderem Reeder, Macfadyen, Roche & Chase (2004), Roche & Macfadyen (2004) und Chase, Macfadyen, Reeder & Roche (2002). Dabei gelingt es ihnen unter anderem, Kulturspezifika der öffentlichen versus privaten Kommunikation beim Lernen im Cyberspace herauszuarbeiten.
Die Arbeit von Todorova (2009) relativiert optimistische Annahmen zur Kulturspezifik des online-gestützten Lernverhaltens und zeigt, dass die beobachteten Leistungsunterschiede stärker von individuellen motivationalen Variablen als von kulturspezifischen Lerndispositionen beeinflusst sind.
Verschiedene – bereits dargestellte – Internetportale bemühen sich um den interkulturellen Austausch mittels elektronischer Kommunikationsmittel (E-Tandems, Cultura) und nutzen die Portale gleichzeitig für Forschungszwecke.
Elektronische Hypertexte haben sich als besonders geeignet zur Darstellung der Dynamiken von Textrezeption und Textproduktion erwiesen (siehe Band »Sprachenlernen und Kognition«, Lerneinheit 5.3).
2.2.5 Zusammenfassung
In dieser Lerneinheit haben wir gesehen, dass