Kultur- und Literaturwissenschaften. Группа авторов
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Wissensaneignung immer auch eine Auseinandersetzung mit dem temporären Fremden ist und damit das gesamte Wissenssystem in Bewegung gerät, dennoch frühere Bestände aktivierbar bleiben;
Fremdheit eine Konstruktion und somit relational ist, je nachdem welcher Zugriff auf Wirklichkeit (also welche Perspektive) gewählt wird;
kognitive Schemata und Modelle veränderbar sind und alternative Schemata wirksam oder entwickelt werden, wenn mentale Aufgaben durch bestehende Schemata nicht lösbar sind;
durch die Verarbeitung literarischer Texte mittels Hypertexten kulturspezifische Perspektiven auf eine Geschichte sichtbar gemacht und interkulturelle Reflexionen angeregt werden können;
durch unterschiedliche mediale Textgattungen Erweiterungen in den Wissensbeständen hergestellt werden, die (sprach- und kulturübergreifend) zu Transdifferenz führen.
2.2.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle
1 Was unterscheidet das Konzept der Transdifferenz von bisherigen Kulturauffassungen?
2 Wie hat sich das Konzept der Transdifferenz entwickelt?
3 Wie verläuft der Prozess der Veränderung von mentalen Modellen?
4 Welche Rolle spielen literarische Texte bei der Rekonstruktion von Wissensbeständen?
5 Inwiefern sind Textgattungen der elektronischen Medien geeignet, um unterschiedliche Perspektiven darzustellen?
2.3 Lingua Franca als Instrument in Wissenskulturen und Wissenschaftssprachen
Jörg Roche
Alle Welt redet von Globalisierung. Und sie tut es meist auf Englisch. Mit dem Versuch, größere Teile unserer Welt wirtschaftlich, gesellschaftlich, politisch und wissenschaftlich zusammenzubringen, korrespondiert auf sprachlicher Ebene das Streben nach einer globalen Lingua Franca. Eine solche Lingua Franca kann mehr oder weniger künstlich geschaffen, wie das Esperanto oder das Volapük, oder von einer existierenden Sprache abgeleitet sein. In beiden Fällen lehnt sich die Lingua Franca jedoch an kulturell geprägte sprachliche Systeme an, mehr oder weniger explizit und bewusst, und perpetuiert diese durch die existierenden Strukturen und sprachlichen Standardisierungsverfahren. Die Erforschung der Lingua Franca Englisch zeigt jedoch, dass die kulturspezifischen Bezüge eine wesentlich größere sprachliche Variation produzieren, als weit verbreitet angenommen wird. Daher empfiehlt es sich auch hier, den Plural Englishes zu verwenden. In dieser Lerneinheit sollen diese Variationsaspekte in der internationalen Kommunikationskultur daher vor allem aus zwei Perspektiven thematisiert werden. Den beiden Perspektiven liegt dabei ein Konzept zugrunde, das weit verbreitet (auch in der anglophonen Welt) den von Humboldt geprägten Begriff der Weltsicht trägt. Zum einen geht es um kulturelle Geprägtheit der Sprache und des Denkens, zum anderen um disziplinäre. Damit soll gezeigt werden, dass das Prinzip der kulturellen Geprägtheit konstitutiv für das Funktionieren einer Lingua Franca ist, dass es gerade dort in verschiedenen Schattierungen seine Mechanismen besonders deutlich werden lässt.
Diese Lerneinheit basiert teilweise auf Roche, Jörg (2007), Wissenskulturen und Wissenschaftssprachen – Zur Kommunikationskultur in einer pluralistischen Wissensgesellschaft. In: Rieger, Caroline; Plews, John; Lorey, Christoph (Hrsg.), Interkulturelle Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht/lntercultural Literacies and German in the Classroom. München: ludicium, 279-298.
Lernziele
In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie
verstehen, wie sehr sich kulturelle Aspekte in der Sprache abbilden, in einer Nationalsprache genauso wie in einer Fachsprache;
wissen, wie variantenreich und heterogen eine Lingua Franca wirklich ist und woher diese Variation kommt;
reflektieren, wie Sprache und Denken sich gegenseitig bedingen;
erklären können, wie und warum automatische Übersetzungsmaschinen immer versagen;
begründen können, warum fachliche Kommunikation gegenüber kulturspezifischen Einflüssen nicht immun ist;
beschreiben können, dass Wissenschaft ohne Sprache nicht existieren kann;
warum eine Lingua Franca dennoch eine Gefahr für die Bildungs- und Allgemeinsprache sein kann.
2.3.1 Lingua Franca
Es ist einer der am weitesten verbreiteten Mythen, dass Sprache eine Eins-zu-eins-Abbildung der Sachverhalte darstelle und nicht zwischen die Sachen und das Denken zu treten habe, quasi transparent wie Glas sein müsse. Wenn man sich die mangelnde Sensibilisierung bezüglich Sprachenbewusstheit in der weiten Öffentlichkeit der Gesellschaften und in den gebildeten Kreisen der Wissenschaftsgemeinschaften ansieht, dann kann man das Ausmaß eines großen Dilemmas erahnen. Savory (1967) gibt dieser reduktionistischen Auffassung in einem Motto Ausdruck, das seinem Buch The Language of Science vorangestellt ist, indem er behauptet: “There can be no doubt that science is in many ways the natural enemy of language”. Wenn diese Position auch besonders typisch für die Naturwissenschaften sein mag, so ist sie doch nicht die einzige. Die folgende von Heisenberg (1965 [1959]) formulierte Aussage differenziert wesentlich genauer:
[D]ie existierenden wissenschaftlichen Begriffe passen jeweils nur zu einem sehr begrenzten Teil der Wirklichkeit, und der andere Teil, der noch nicht verstanden ist, bleibt unendlich. (Heisenberg 1965 [1959]: 169f)
Worin drückt sich das mangelnde Sprachbewusstsein der Öffentlichkeit im Allgemeinen und der Wissenschaft im Besonderen aus und welche Auswirkungen hat es? Es ist zum Beispiel erkennbar in der äußerst sparsamen Bereitschaft von Wirtschaftsunternehmen, in funktional und kulturell adäquate Übersetzungen zu investieren. Es zeigt sich aber auch in anglisierten Studiengängen in nicht-englischsprachigen Ländern und in anglisierten Publikationsorganen, in denen eine Veröffentlichung auf Englisch gar nicht plausibel erscheint (zum Beispiel in der Germanistik). Was sind die Folgen dieses linguistischen Imperialismus?
Sie werden häufig zwar sehr schmerzhaft erlebt, aber nur selten auf die kommunikativen Ursachen zurückgeführt. Um die Reichweite zu ermessen, könnte man durchaus an die Bereiche der Politik und Gesellschaft denken. Politische und gesellschaftliche Konflikte entstehen zum Beispiel durch kommunikative Konflikte, und verhängnisvolle Entscheidungen für die Menschheit können aus mangelnder kultureller Sensibilität resultieren. Stellvertretend sei hier nur an die Entscheidung des Europäischen Patentamtes in München vom Dezember 1999 erinnert, mit der ein Verfahren der Universität Edinburgh zur genetischen Veränderung von Stammzellen von Säugetieren geschützt wird. Dieses Verfahren schließt potenziell verheerende menschliche Genexperimente wie das Klonen von Menschen mit ein, und zwar unbeabsichtigter Weise. Man übersah, dass der englische Begriff animal im Gegensatz zum Deutschen ‚Tier‘ oder ‚tierisch‘ nicht zwischen ‚human‘ beziehungsweise ‚non-human‘ unterscheidet. Nur wenn man glaubt, dass es die besagte Eins-zu-eins-Abbildung der Wirklichkeit gibt, kann man nämlich annehmen, dass die entsprechende Übertragung in eine andere Sprache ein einfacher mechanischer Vorgang per Wörterbuch sein kann. Dann würde es auch keine Rolle spielen, in welcher Sprache man veröffentlicht.
Die Problematik soll im Folgenden zunächst an