Kultur- und Literaturwissenschaften. Группа авторов
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Für den Sprecher bedeutet dies auch ein ständiges Wechselspiel zwischen kulturspezifischer und internationaler Identität, in dem er sich je unterschiedlich positionieren will und kann. Das geht laut Pölzl (2006) in folgender Weise:
Neue sprachkulturspezifische Konventionen können spontan und ad hoc, je nach Bedarf, eingeführt werden. Dabei können sich die Sprecher sowohl auf die interkulturellen Identitäten als auch auf ihre eigene Ausgangskultur beziehen und zwischen diesen unmarkiert hin- und herwechseln.
Neue sprachkulturelle Konventionen können bewusst in die Dritte-Ort-Kultur, die interkulturelle Identität, eingeführt werden, um die eigene Ausgangskultur in der interkulturellen Identität zu verorten (und ihr Raum zu geben) und diese mit anderen zu teilen.
Sprachkulturelle Normen können sich zu interkulturellen Normen entwickeln, wenn die entsprechenden Bezüge von allen oder den meisten Teilnehmern verstanden, geteilt und akzeptiert werden. Dabei gibt es entsprechend der Komplexität des Verstehens Abstufungen zwischen simplifizierter und elaborierter Form.
Es können auch sprachkulturell typische Normen einer externen Umgangssprache aufgenommen oder antizipiert werden, und zwar zur Schaffung von Solidaritätsbezügen, ohne dass die Teilnehmer dieser Kultur anwesend sind, und ohne dass diese Solidarität permanent bestehen müsste. Pölzl (2006) geht davon aus, dass Sprecher zwei (oder mehrere) Identitäten haben, die unterschiedlich repräsentiert werden: die sprachtypische und sprachkulturelle, die sich in der Funktion der lingua culturae ausdrückt, und die interkulturelle als Ausdruck eines Dritten Ortes. Sprecher können beliebig zwischen den Kulturen wechseln.
Die internationale Alltagssprache zeigt in besonders deutlicher Weise, dass Sprachkulturen immer in Bewegung und ständigen Veränderungsprozessen unterzogen sind. Im Gegensatz zur Wissenschaftssprache existiert sie demnach nicht als eine einheitliche und fixierte Variante, wie in Folge der kritischen Diskussion des Englischen als genormter Lingua Franca in den Wissenschaften unterstellt wurde, sondern immer als je spezifische Mischung von internationalem Repertoire und individuellen und situativ variierenden Einflüssen der Umgebungs- und Teilnehmerkulturen und deren Sprachen. Sie weitet die innere Mehrsprachigkeit auf die äußere (internationale) aus. Diese internationale Lingua Franca ist also eher ein in Entwicklung begriffenes, heterogenes (grammatisch mehr oder weniger korrektes) und instabiles Pidgin, das auch bei vergleichsweise stabil erscheinender Oberfläche durch konstante Aushandlungsprozesse geprägt ist, als eine verfestigte oder sich verfestigende KreolspracheKreolsprache (zu Pidgins und der Entstehung von Kreolsprachen ausführlich Lerneinheit 7.3 im Band »Mehrsprachigkeit«).
Fach- und Wissenschaftssprachen beziehen sich aufgrund ihrer Normierungsdynamik im Gegensatz zur internationalen Alltagskommunikation nur bedingt auf kulturspezifische Konzepte anderer Sprachen. Der Ausschnitt der Welt, der thematisiert wird, ist schließlich ein begrenzter, fachspezifischer, in dem die Aushandlung von Gegenständen, Methoden, Begriffen und Normierungsverfahren bereits relativ weit fortgeschritten ist. In den komplexeren fachsprachlichen Schichten haben sich daher vergleichsweise stabile, teilweise gesetzlich fixierte Referenzsysteme entwickelt. Die internationale Kommunikation funktioniert hinlänglich. Fachkulturen schaffen sich damit, wohl in Unkenntnis der dialektischen Prozesse von Standardisierung und Innovation, fachliche und sprachliche Mechanismen zur Abwehr fremder und neuer Impulse. Stringente methodische Vorschriften für Publikationen in einigen anglophonen wissenschaftlichen Zeitschriften gehören dabei zu den wirksamsten. Sie könnten dagegen von der Dynamik und Variabilität internationaler Kommunikation profitieren, wie dies beispielsweise verschiedene europäische und kanadische Zeitschriften mittels multilingualer Standards tun.
Dass die Prozesse der Standardisierung zumindest von den Proponenten einer einheitlichen Lingua Franca nur wenig durchschaut werden, mag auch daran liegen, dass für eine große Gruppe der Sprecher die Lingua Franca (Englisch) gleichzeitig ihre lingua culturae ist oder die beiden so ähnlich erscheinen, dass die Sprecher zwischen den beiden Funktionen nicht unterscheiden können. Für andere mag der Grund vorauseilender Gehorsam oder Mode sein.
2.3.4 Sprachenvielfalt – Sprachenpolitik
Sprachenvielfalt ist also auch Kultur- und Wissenschaftsvielfalt, und Kultur- und Wissenschaftsvielfalt ist Sprachenvielfalt. Beide sind dialektisch miteinander verbunden und stellen damit ein Bereicherungspotenzial und nicht Rückständigkeit dar. Weinrich (1994) hat an mehreren Stellen darauf hingewiesen, dass Wissenschaft überhaupt nur aus Sprache bestehe, ohne diese gar nicht denkbar sei (siehe dazu auch Lerneinheit 8.3 in diesem Band). Wissenschaft ohne Veröffentlichung, also Bezug auf veröffentlichte Ergebnisse und Erkenntnisse, ohne Versprachlichung in Schrift oder Wort, sei im Prinzip gar keine Wissenschaft, weil erst die Veröffentlichung wissenschaftliche Primate, wie das der Überprüfbarkeit, ermögliche. Aber auch der Prozess der Erkenntnisgewinnung läuft durch und durch über Sprache, von der Aufnahme der Forschungsergebnisse anderer Kollegen und Kolleginnen, über die Kommunikation im Labor, die kritische Diskussion in Konferenzen und auf Tagungen bis hin zur Verfertigung von Lehrbüchern.
Hier zeigt sich deutlich, dass die wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung durch und durch und von Anfang an ein kommunikativer Prozess ist, an dem die sprachliche Fassung einen wesentlichen Anteil hat. Und das gilt für alle Wissenschaften, nicht nur für die notorisch sprachförmigen Geisteswissenschaften (Weinrich 1994: 163).
Wenn es insgesamt eine so weitreichende gegenseitige Abhängigkeit von Sprache, Kultur und Wissenschaft gibt, dann ist das Konzept der Lingua Franca ein differenzierteres, als es die Sprachen- und Bildungspolitik in